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Die neue Formel des italienischen Nationalismus

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Rom, im Jänner Gerade in den Wochen der letzten akuten Krise des italienischen Sozialismus, als sich unter der Devise der Wiedervereinigung eine dritte sozialistische Partei unter Romita und Silone abspaltete, entstand in Rom eine andere politische Partei, die in viel höherem Maße die Aufmerksamkeit verdient hätte. Die Zeitungen verzeichneten zwar kurz die Gründung, beschäftigten sich aber dann wieder mit Streik und Krise.

Die neuentstandene Bewegung nennt sich Partito Nazionalista Italiano und ihr Siegel ,,P. N. I.“ fordert geradezu, und sicher nicht absichtslos, zu einer stillschweigenden Ergänzung des F heraus, um den „P. N. F.“ — Partito Nazionale Fascista — ins Gedächtnis zurückzurufen. Um gar keinen Zweifel offen zu lassen, verkündete die Parteileitung, daß man an die Schaffung einer gemeinsamen Uniform denke, das Blauhemd mit dem römischen Adler im Wappenschild. Man behauptete, es gäbe keine gesetzliche Bestimmung, die gegen den äußeren Ausdruck einer gemeinsamen politischen Idee spräche. Das Innenministerium war anderer Meinung, es berief sich auf einen Artikel der Verfassung, der die Aufstellung militärähnlicher Verbände und das Tragen von uniformähnlichen Kleidungsstücken den Parteien verbietet. Das Blauhemd wird also von den bei allen Provinzleitungen gegründeten Gamicie Azzurne („Sempre Pronti“ — die „immer Bereiten“, nennen sich diese Jugendgruppen) vorerst nur ideell getragen.

Auf der Suche nach Traditionen stieß man auf die alte Partei Corradinis, deren nationalistische Bestrebungen der Konkurrenz des erstarkenden Faschismus nicht gewachsen waren und die sich daher im Jahre 1923 mit dem P. N. F. Mussolinis fusionierte. Dieses Erbe des vorfaschistischen Nationalismus will also der P. N. I. antreten. Im übrigen inspiriert sich das Parteiprogramm an den Prinzipien der „Ordnung, der Demokratie und der Freiheit“, wie es alle anderen italienischen Parteien tun, wie weit rechts oder links sie immer 6tehen mögen. Weit größere Verwandtschaft zeigt jedoch die neue Partei mit dem von Patrissi und Selvaggi, den beiden qualunquistischen Dissidenten, im Jahre 1947 ins Leben gerufenen „Movimento per la Democrazia Sociale“, der dann bei den Wahlen einen eindeutigen Durchfall erlitt. Die italienischen Faschisten sind nämlich in zwei Gruppen aufgespalten, von denen die eine die Republik von Salö und alles, was nach dem Sturz des Faschismus im Jahre 1943 im Namen des Duce geschah, ablehnt, während sich die andere für die „Repubblica Sociale“ einsetzt. Zur ersten Gruppe gehört die „Elite“ der ehemaligen faschistischen Würdenträger, zur zweiten, im MSI (Movimento Sociale Italiano) gesammelt, die Masse der gutgläubigen kleinen Leute, die Mussolini bis zum Ende gefolgt ist. Aber während der MSI zu einem sichtbaren und politisch fest verankerten Kristallisations-kern besonders der jungen Leute werden konnte, gelang es den Elitefaschisten der Alten Garde bisher nicht, zu einer eigenen dauernden Organisation zu kommen. Diese Lücke scheint nun der P. N. I. ausfüllen zu wollen. Er bemüht sich, dem MSI einen größeren Teil seiner Anhänger abzuziehen und vor allem unter der Universitätsjugend Proseliten zu machen, sehr zum Ärger des MSI. Als historisches Datum der Parteigründung gilt offiziell der 29. Oktober, und vielleicht träumt man bereits davon, einst in den italienischen Städten eine „Via del 29 Ottobre“ zu haben. Inzwischen begnügt man sich mit der Beeinflussung der Massen durch das Bekenntnis zum überspitzten Nationalismus, mit dem man in Italien sdion so oft sein politisches Glück machen konnte. Nach den Angaben der Parteigründer zählte der P. N. I. von Anfang an bereits 35.000 Mitglieder, wozu in den letzten drei Monaten weitere 30.000 ehemalige Anhänger des MSI gestoßen seien. Aber die Mitteilungen sind, wie alle Angaben der italienischen Parteien über ihre Mitgliederzahl, mit größter Vorsicht aufzunehmen.

Generalsekretär und Unterzeichner eines zu Novemberbeginn an alle Häusermauern Roms geklebten Manifeste des P. N. I. ist Dr. Vincenzo C a p u t o, ein Politiker und Kritiker, der als Widersacher des MSI von sich hat sprechen machen. „Lotta Politica“, das offizielle Organ des MSI, warnt vor der neuen Partei und zitiert als Beweis einige Artikel von Gaputo, in denen dieser die Republik von Salö ablehnte. Caputo selbst bezeichnet sich als Antifaschist, wie es alle übrigen italienischen Parteiführer tun. Aber er bezeichnete den heutigen kommunistischen Abgeordneten Walter Audisio, der als Partisanenführer „Oberst Valerio“ im April 1945 Mussolini, Clara Petacci und die faschistischen Machthaber „hinrichtete“, bei den Gerichtsbehörden als authentischen Mörder. Vincenzo Caputo ist überzeugter Monarchist. Als er noch ein hervorragender Exponent der Bewegung Patrissis und Selvaggis war, brach er in Reden und Aufsätzen für Umberto II. eine Lanze, zu dessen treuesten Paladinen er heute noch gehört. Er bezeichnet sich selbst aber „mehr Nationalist als Monarchist“ und will damit andeuten, daß seine monarchistische Gesinnung eine persönliche Angelegenheit sei und mit der Partei selbst nichts zu tun habe. Bezüglich der Staatsform spricht er sich für ein neues Referendum aus, wie es die monarchistische Partei selbst tut. Eine Volksbefragung soll die wahren Gefühle des Volkes feststellen, ohne kleinliche Rekriminationen. Diese Einstellung hat ihm die Sympathien der italienischen monarchistischen Partei gesichert, die in ihm bereits einen möglichen Verbündeten sieht.

In der neuen Partei des P. N. I. finden wir die alten Nationalisten wieder, Professoren und Generäle, wie Professor Raffaele Di Laure, Luigi Villari, den heute auch schon hochbetagten Sohn des berühmten Historikers Pasquale Villari; während der faschistischen Zeit hat er einige devote Panegyrika über den Duce und den Faschismus verfaßt, die man heute mit höchster Belustigung liest. Wir finden den Obersten Pasquale Arena, Präsidenten des „Blauen Bandes“, den Kommandanten Di Palma, General Sorrentino, Professor Ruggero, den Advokaten Lai, die Fiumaner Legionärin und Schriftstellerin Maria Vitali, da Obersten Rossi, Professor Foschi usw. Es steht aber außer Zweifel, daß hinter diesen achtbaren, aber doch nicht sehr bedeutenden Persönlichkeiten ganz andere, wichtigere Kräfte am Werk sind, die sich wohl erst offenbaren wollen, wenn das glückhafte Geschick des P. N. I. feststeht. Man hört immer wieder die Namen B o 11 a i und Federzoni, um nur die größten Kanonen des Faschismus zu nennen. Federzoni hat sogar kürzlich die Ehrenmitgliedskarte des P. N. I. erhalten, man sieht in ihm den Hauptrepräsentanten des „Nationalismus“ im heutigen Italien. Daneben nennt man Del Croix, Balbino Giuliano, den ehemaligen Senator Leicht, alles Männer, deren hervorragende Stellung während der faschistischen Periode bekannt ist. Nur Ezio Maria Gray, der einstige Chef des republikanisch-faschistischen Rundfunks und bedeutendste Journalist jener Zeit, hält sich abseits, man weiß nicht, ob aus persönlichen Gründen oder aus politischem Einzel-gängertum.

Es entbehrt nicht eines gewissen pikanten Reizes, daß der Kommandant der Blauhemdgruppen „Sempre Pronti“, Dr. A n-tonio Edoardo Romita ist, ein Neffe des Senators Romita, eines alten sozialistischen Kämpfers und unversöhnlichen Widersachers Mussolinis und des Faschismus. Er hat es seinem Neffen äußerst übelgenommen, den Namen Romita in die Reihen seiner Gegner zu tragen.

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