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Die neue Mannschaft

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Über den eigenen Schatten zu springen ist unmöglich. Selbst für Österreichs zwei Großparteien, die in zwanzig Jahren gemeinsamen Regierens so ziemlich alles möglich gemacht hatten, was überhaupt nur möglich ist, war dieses Kunststück nicht durchzuführen. Das Ergebnis: Die „schwarze Alleinherrschaft“ — einer der zahlreichen Kinderschrecks, die im Lauf des Wahlkampfes aus der Mottenkiste geholt wurden — ist Wirklichkeit geworden.

Sicherlich: Das Wahlergebnis vom 8. März, das der ÖVP die absolute Mehrheit und Dr. Klaus einen großen persönlichen Triumph gebracht hat, drückt deutlich die Koalitionsmüdigkeit und den Wunsch nach „neuen Formen der Zusammenarbeit“, was immer die Strategen darunter verstanden haben, aus. Ob aber die Mehrheit der ÖVP-Wähler des 6. März als neue Form der Zusammenarbeit die Alleinregierung ihrer Partei gewünscht haben, erscheint eher unglaubhaft. Und auch die sozialistischen Wähler dürften in ihrer Mehrzahl nicht für eine Partei gestimmt haben, die dann, nach dem Scheitern der Kontaktgespräche, die Opposition einer Beteiligung an der Regierung vorzieht.

Nach der kürzesten Regierungsbildung; die es — seit 1945 wenigstens — je gab, stellte sich die neue Bundlesregierung dem Staatsoberhaupt zur Angelobung. Innerhalb einer Stunde — wird kolportiert — hatte der mit der Regierungsbildung beauftragte Bundesparteiobmann der Volkspartei sein Team beisammen. Den Ministerlisten, die in den letzten Tagen öffentlich oder unter der Hand weitergereicht wurden, war damit der Boden entzogen und allen Spekulationen ein Ende bereitet worden. Die Bildung des Kabinetts freilich mag zum Teil von anderen Einflüssen bestimmt gewesen sein als vom Grundsatz: ..Den richtigen Mann auf den richtigen Platz!“ So mutet es auf den ersten Blick fast wie ein Abschreibfehler an, wenn sich der langjährige Staatssekretär im Innenministerium Franz Soronics plötzlich in gleicher Eigenschaft im Sozialministerium findet, der Fachmann für bäuerliche Sozialfragen und Direktor der Bauernkrankenkasse Dr. Johann Haider dagegen als zweiter Mann in die Wiener Herrengasse ins Innenministerium gesetzt wird …

Ferner scheint bei der Regierungsbildung föderalistischen und hündischen Grundsätzen mehr Gewicht beigemessen worden zu sein als fachlichen Qualifikationen. Gewiß war zu erwarten, daß der ÖAAB sich den Wahlsieg, an dessen Zustandekommen er nicht unwesentlich beteiligt .war, bei der Zusammensetzung des Kabinetts honorieren lassen würde. Erfreulich auch, daß unter den Fachleuten, die aus dieser großen nichtmarxistischen Arbeitnehmerorganisation kommen, ein Wirtschaftsfachmann ersten Ranges, der heute knapp dreißigjährig ist, für den Sessel eines Staatssekretärs gewählt wurde.

Überraschend stark dagegen war offenbar der Einfluß gewisser Kreise der Industrie, dem es gelungen ist, die Betrauung eines Nationalratsabgeordneten mit dem Amt eines Sozialministers durch das hierzulande durchaus übliche „zu teuer“ zu verhindern und den bisherigen außenpolitischen Berater des Bundeskanzlers. dessen nüchterne Einstellung zum gesamten Fragenkomplex EWG bekannt ist, auf nicht ganz verständliche Weise zur Rückkehr in den diplomatischen Dienst zu veranlassen.

Das Zustandekommen und die Zusammensetzung der neuen Bundesregierung lassen jedoch anderseits wiederum den Schluß zu, daß die ÖVP keineswegs eto fertiges Konzept für die Alleinregierung aus der Schreibtischlade zu Ziehen brauchte, wie dies von sozialistischer Seite behauptet wird. Zu vielfältig nämlich waren die Kombinationen, die vorher angestellt wurden, zu mühsam das Lavieren des Kanzlers durch die Klippen der Interessen der Bünde und Länder.

„To change a winning team"durfte Dr. Klaus schließlich auch nicht, trotz des Widerstandes, der gegen gewisse — sagen wir — exzentrische Minister immer deutlicher zu spüren war. Wird das siegreiche Team aber unmittelbar nach dem Sieg beisammen gelassen, so kann es trotzdem in absehbarer Zeit ausgewechselt werden: Hier berühren einander einmal mehr die rauhe Welt der Politik und die des Fußballfeldes.

Es steht zur Stunde noch nicht fest, ob die Kompetenzbeschneidungen, von denen in den letzten Wochen viel die Rede war, auch dann durchgeführt werden, wenn damit ausschließlich nur die eigenen Lasten etwas anders verteilt werden. Führt man die Vorschläge aber durch, so markiert das neue Kabinett Klaus auch zugleich das Ende einer Ära der selbständigen Außenpolitik: Der Außenminister muß sich dann wohl oder übel mit der Rolle eines ' „Grüßers“ bescheiden, einer Rolle, die ihn weit unter einen Gruber, Figl — die ja „unselbständige“ Außenminister waren — und Kreisky stellt.

Es heißt, die Opposition sei stets der Reflex der Regierung: Noch fühlen sich beide Parteien etwas ungewohnt in ihren Rollen und betrachten einander vorsichtig und abwartend. Die neue Regierung wird eine Regierung der demokratischen Mitte sein, versicherte Nationalratspräsident Dr. Alfred Maleta. Demokratische Mitte: das bedeutet zuerst eine Absage an jeglichen Radikalismus, das bedeutet weiter die feste Versicherung, aus fast zwei Jahrzehnten latenten Bruderkriegs in der Ersten Republik eine Lehre gezogen zu haben. Und das bedeute letztlich, daß das neue Kabinett nicht nur für diejenigen, die am 6. März der nunmehrigen Regierungspartei ihre Stimme gegeben haben, arbeiten wird. Dies sollte sich die Opposition stets vor Augen halten.

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