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DIE OPER IM FERNSEHEN

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In regelmäßigen Abständen geistern Schlagzeilen über Mammutprojekte durch die Gazetten, die von internationalen TV-Musik- und Opernproduktionen berichten. Große Namen und populäre Titel sollen die Aufmerksamkeit des breiten Publikums sichern. Schamhaft wird allerdings verschwiegen, daß die erheblichen künstlerischen, technischen und rechtlichen Probleme dieser sehr komplexen Materie die gleichen geblieben sind und Geld allein nicht ausreicht, um diese zu bewältigen. — Im folgenden soll versucht werden, einige Gedanken über die Verbreitung der Musik durch die technischen Medien im allgemeinen und über die Produktion der Fernsehoper im besonderen darzulegen.

Selbstverständlich haben sich die technischen Medien auch der Musik jeder Richtung bemächtigt, die — falls wir die Kunstform Oper in Betracht ziehen — auch die subtilste, soziologisch und künstlerisch empfindlichste aller Kunstgattungen darstellt. Ist die Technik in diesem Falle Segen oder Fluch?

Die Kardinalfrage lautet: Wie und mit welchen eigengesetzlichen Wegen erreicht man, daß der Mensch durch technische Medien vermittelte Musik als kulturelles Gut aufnimmt, das ja nach der traditionellen Forin der Musikdarbietung zum Großteil einem bestimmten Publikum und Interessenkreis vorbehalten ist.

Der Musikliebhaber nimmt unter beträchtlichen finanziellen und zeitlichen Opfern, festlich gekleidet, an einer Veranstaltung seiner Wahl teil, um sich bewußt ein kulturelles Erlebnis zu verschaffen und sich aus dem Alltag zu erheben. Rundfunk und Fernsehen dagegen tragen von außen und ohne Bemühung des einzelnen das musikalische Kunstwerk in seinen Alltag hinein.

Für die Ausstrahlung der Oper im Fernsehen bestehen zwei Möglichkeiten: die der Übertragung und die der originalen künstlerischen Eigenproduktion. Darüber hinaus ist die Aufzeichnung und damit die Aufbewahrung solcher Opernübertragungen ein Dokument von heute noch kaum meßbarer Bedeutung für die Zukunft. Ebenso wichtig erscheint mir aber auch die eminente kulturpolitische Bedeutung und Mission des Fernsehens, die durch die Eurovision den Zuschauern in aller Welt hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Oper vermittelt und dadurch Österreichs Stellung und Ruf als Musikland weiter verbreitet. Ob es die Wiener Festwochen, die Salzburger und die Bregenzer Festspiele sind, der Fernseher ist dabei!

Umgekehrt bekommt der heimische Fernseher ebenso Übertragungen markanter kultureller Ereignisse aus anderen Ländern ins Haus geliefert. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, daß Österreich den relativ höchsten Prozentsatz an kulturellen Sendungen für die Eurovision geliefert hat.

Nach einer deutschen Statistik haben 80 Prozent der Fernseher mit der Oper erstmals durch den Bildschirm Bekanntschaft geschlossen. Scheint auch dieser Prozentsatz für österreichische Verhältnisse zu hoch, so findet doch die Bevölkerung außerhalb der Großstädte nur durch die Rundfunk-und Fernsehübertragungen regelmäßig mit der Welt der Oper Kontakt. Opern heiteren Inhalts, wie zum Beispiel der „Musikmeister“ von Pergolesi, oder Werke mit spannenden, zeitnahen Themen, wie Menottis „Der Konsul“, werden diesen Kontakt erleichtern. Handelte es sich hierbei um TV-Adaptierungen von für die Bühne geschriebene Werke, so kann die speziell für das Fernsehen geschriebene Oper die Möglichkeiten und Erfordernisse unseres Mediums in ganz anderer Weise und wesentlich funkgerechter nützen.

Das österreichische Fernsehen mit seinen relativ geringen Mitteln und wenig Studioraum hat zum Unterschied von allen anderen Operninstitutionen des Landes vier zeitgenössischen Komponisten Opernaufträge gegeben. Diese neuen Werke sind nicht in der Schreibtischlade gelandet, sondern wurden — nach monatelangen gemeinsamen Anstrengungen der Autoren, des Regisseurs und des Produzenten organisch und fernsehgerecht gewachsen — auch tatsächlich produziert und gesendet. Es handelt sich um die Opern: „Die Paßkontrolle“ von Angerer und Kühnelt, „Peter und Susanne“ von Kont und Fritsch, „Ausgerechnet und verspielt“ von Ernst Krenek und „Der Kardinal“ von Eder und Brauner. — Weitere Fernsehopern wurden in Auftrag gegeben und sind in den wesentlichsten Kompositionsabschnitten beendet: „Elga“ nach Gerhart Hauptmann von Rudolf Weishappel, „Inzwischen“ (For the time being) von W. A. Auden und Paul Kont. — Die Auftragserteilung und Produktion dieser Opern stellt eine echte Förderung und Befruchtung des österreichischen Musikschaffens der Gegenwart dar und gibt darüber hinaus den Autoren die große Chance, mit einem Schlag bei vielen 100.000 Zusehern bekannt zu werden.

Trotz einer relativ kurzen Zeitspanne an Erfahrung zeichnet sich eine interessante Entwicklung in den Methoden der TV-Studio-Opernproduktionen ab. Während in Amerika und England seit Jahrzehnten live produziert und gesendet wird, begann man im Deutschen Fernsehen, speziell im Bayerischen Rundfunk, vor etwa sieben Jahren die sogenannte Double-Oper einzuführen, ein Verfahren, mit dem der Regisseur die selbstverständliche Forderung des Komponisten negiert, daß der Sänger auf der Bühne nicht nur seine Stimme, sondern seine gesamte Persönlichkeit zur Gestaltung einer Opernpartie einzusetzen hat.

Im österreichischen Fernsehen haben wir uns mit der Methode, Sänger durch Schauspieler optisch zu ersetzen, nie beschäftigt und am Anfang mit dem Playback-Verfahren gearbeitet. Dabei wird vorerst ein Tonband mit Orchester und Gesang hergestellt, und dieselben Sänger agieren dazu dann für den Bildschirm. Viel an Impulsivität und künstlerischer Lebendigkeit, aber auch die räumliche Klangwirkung gehen dabei verloren. Ganz abgesehen davon, gelingt es nur wenigen Opernsängern, die schwierige Synchronität tatsächlich zu erreichen. Trotzdem wird dieses System von den meisten europäischen TV-Produzenten noch immer verwendet.

Als erste Station auf dem Kontinent hat, trotz des höheren technischen Einsatzes, das österreichische Fernsehen am 1. Juni 1960 mit Gottfried von Emerns Oper „Der Prozeß“ mit der Live-Produkton von Opern begonnen. Opern live zu produzieren bedeutet, daß Orchester und Sänger gleichzeitig ihren Part gestalten. Diese Leistung fand in der interessierten Musikwelt allgemein Anerkennung und Bewunderung und wurde auch 1961 im Rahmen des Prix Italia mit dem „Preis der Stadt Pisa“ ausgezeichnet.

Seit dieser Zeit werden in Österreich Studioopern nur noch in der Live-Methode produziert. Erwähnt seien hier die mit dem „Deutschen Kritikerpreis 1961“ ausgezeichneten Opern von Janäcek „Aus einem Totenhaus“, „Don Pasquale“ von Donizetti (gemeinsam mit dem WDR Köln), „Das Medium“ von Menotti, „Falstaff“ von Verdi (gemeinsam mit dem Süddeutschen Rundfunk Stuttgart), „Die heimliche Ehe“ (gemeinsam mit dem Bayerischen und Schweizer Fernsehen).

Einer der erfahrensten Experten auf dem Gebiete der Fernsehoper, Peter Herman Adler, dirigierte dieses Werk. Er war jahrzehntelang Leiter der NBC Opera Company und hat als solcher an einer der bedeutendsten amerikanischen TV-Station, „National Broadcasting Company“, über 50 Fernsehopern herausgebracht. Die bei allen diesen Produktionen verwendete Live-Methode — sie kam unterdessen auch bei BBC London und einigen westdeutschen Stationen zur Anwendung — sieht theoretisch komplizierter aus als die praktische Durchführung tatsächlich ist.

Wesentlich ist dabei, daß die technischen Möglichkeiten der Bild- und Tonübertragung nicht nur für das Endprodukt (die Fernsehoper), sondern auch für die Produktion selbst eingesetzt werden. Dirigent und Orchester sind durch Mikrophon und Lautsprecher mit den agierenden Sängern im Dekorationsstudio verbunden, ebenso wird durch Fernsehkameras das Bild und die Zeichengebung des Dirigenten in das Sängerstudio übertragen. Da dieser die Sänger auf seinem Bildschirm ebenfalls sieht, entsteht ein Kontakt, der dem zwischen Bühne und Orchesterraum im Opernhaus kaum nachsteht. Die Trennung von Orchester und Sängerstudio bringt den Vorteil, daß unabhängig von dem riesigen technischen Apparat eines TV-Studios (vier bis fünf Elektronenkameras, Mikrophongalgen, Scheinwerfer, mehrdimensional gebaute Dekorationen usw.) Orchester- und Gesangston getrennt kontrolliert und in einer koordinierten Tonhauptmischung eine optimale akustische Qualität erzielt werden kann. Mehrere Codirigenten, welche die Zeichen des Dirigenten vom Bildschirm abnehmen und direkt weitergeben, erleichtern dem Sänger das Agieren vor der Kamera, die häufig zu Großaufnahmen an ihn heranfährt.

Eine interessante Parallele ergibt sich aus der Tatsache, daß die modernen Opernhäuser den Vorteil dieser Live-Methode auf ihre Art abgewandelt haben. Wenn nämlich ein Sänger den Dirigenten nicht sehen kann, da er hinter den Kulissen zu singen hat, so bekommt er die Einsätze von einem Codirigenten, welcher den Hauptdirigenten auf einem Bildschirm sieht. Die dafür nötige unbemannte Fernsehkamera steht im Orchesterraum des Opernhauses.

Nach diesen kurzen produktionstechnischen Ausführungen noch ein Blick auf das Gebiet der Zusammenarbeit zwischen der Fernseh- und Bühnenoper. Im Rahmen des Internationalen Musikzentrums (IMZ), einer Organisation, welche sich auf wissenschaftlicher Basis mit der Verbreitung und Förderung der Musik durch die technischen Medien befaßt, fanden eine Vielzahl von internationalen Seminaren und Kongressen statt. Experten aus allen Teilen der Welt diskutierten an Hand von ausgesuchten Fernsehopernbeispielen verschiedener Stationen über ihre Erfahrungen. Praktische Resolutionen zeigten Mittel und Wege auf, den Kontakt zwischen dem Musiktheater und den technischen Medien zu vertiefen. Besonders wichtig war der internationale Kongreß im Juni 1964 „Das zeitgenössische Musiktheater“ in Hamburg. Der Verfasser stellte in seinem Referat unter anderem im Bezug auf die Bedeutung und den Einfluß der technischen Medien auf das zeitgenössische Musiktheater folgendes fest: Allein auf Grund des internationalen Wettbewerbes „Salzburger Opernpreis“ sind bisher etwa 30 neue Fernsehopern entstanden und produziert worden; auch der Prix Italia regt die Rundfunk- und Fernsehstationen seit 1960 zu Opernaufträgen an.

Das zeitgenössische Musiktheater wird durch die neuen künstlerischen Formen in den technischen Medien wesentlich beeinflußt. Durch erhöhte Forderungen an den Sänger-Darsteller in der Fernsehoper wird dieser zu einem Darstellungsstil hingeführt, von dem das Musiktheater profitiert. Stärker noch als bei der Theaterinszenierung ist im Fernsehen die Teamarbeit zwischen Regisseur, Dirigent und Technikern für das Endergebnis maßgebend. Eine möglichst frühe und enge Kontaktaufnahme zwischen dem Librettisten und dem Komponisten einerseits und dem Regisseur und den bildtechnischen Gestaltern anderseits muß, speziell bei Auftragswerken, gefordert werden.

Zusammenfassend kann ohne Übertreibung gesagt werden, daß in den Kulturzentren der Welt auch auf dem Gebiete des Fernsehens eine rege Tätigkeit entfaltet wird. Auf dem Boden realistischer Einschätzung des Publikumsgeschmackes und des Programmerfordernisses der Fernsehstationen wird auf dem Gebiete der Fernsehoper Beachtliches geleistet. Da der finanzielle, organisatorische und künstlerische Aufwand in der Relation zu anderen Produktionen bei der Fernsehoper außergewöhnlich groß ist, haben sich einige Stationen zu Coproduktionsgemeinschaften zusammengeschlossen. Das österreichische Fernsehen hat hauptsächlich mit dem Bayerischen Fernsehen und dem Schweizerischen Fernsehen, aber auch mit englischen, westdeutschen und jugoslawischen Stationen viele Opern gemeinsam produziert. Die auch mit internationalen Auszeichnungen bedachten Fernsehopern sind ein kulturpolitisch wertvoller Aktivposten. So wird aus dem traditionellen Musikland Österreich mit Hilfe der technischen Medien wertvolles Musikgut verbreitet und die dramatische Musik einem Millionenpublikum nähergebracht.

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