6677520-1961_29_06.jpg
Digital In Arbeit

Die „Partei der Füsilierten”

Werbung
Werbung
Werbung

Ein junger französischer Nationalökonom und Kommunist hatte in einer Zeitschrift eine Arbeit veröffentlicht, in welcher er auf Einsparungsmöglichkeiten in den Staatsbetrieben hinwies — Einsparungen, die praktisch auf niemandes Kosten gehen würden. Maurice T h o r e z, der Generalsekretär der KPF, ließ den jungen Mann zu sich kommen und sagte zu ihm: „Etwas kann an deinem Artikel nicht stimmen. Es widerspricht den marxistischen Grundsätzen, daß irgendeine Einsparung nicht entweder auf Kosten der Arbeiterklasse oder der Kapitalisten geht.” Der junge Mann erklärte hierauf, daß das im Prinzip zwar so sein möge, nicht aber im Fall der von ihm gemachten Vorschläge. „Aber, geh”, sagte Thorez, „dann kommt es — da wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben — letzten Endes eben dieser und ihrem Bestand zugute. Sie, respektive ihr Staat, kann das eingesparte Geld eben dann für irgendeinen anderen ihrer Zwecke verwenden. In jedem Fall aber, mein Lieber, ist es nicht die Aufgabe eines kommunistischen Kritikers, Vorschläge zu machen, durch welche die bürgerliche Position gestärkt wird.”

Diese Geschichte ist charakteristisch für die Grundhaltung, die in der — nach der italienischen — größten Kommunistischen Partei im freien Europa vorherrscht. Es scheint jedoch, daß diese Haltung der KPF in den letzten Jahren wenig gut bekommen ist. Obwohl sie immer noch 18,6 Prozent aller französischen Wählerstimmen bei den letzten Wahlen erhalten hat — 3,908.000 —, hat sie im Verlaufe der letzten Jahre 1,600.000 Stimmen eingebüßt. Manche Beobachter schrieben das der Auswirkung des ungarischen Aufstandes und seiner Unterdrückung durch die Russen zu. Nun gehören die französischen Wähler aber zu jenen, welche sich von Ereignissen, die sie nicht unmittelbar selber betreffen, wenig beeinflussen lassen. Es waren 1956 vor allem zahlenmäßig wenig ins Gewicht fallende Intellektuelle, die sich wegen Ungarn von der KPF abwandten. Tatsächlich erhielt die KPF noch 1956 fünfeinhalb Millionen Stimmen. Beim Volksentscheid über Algerien im . September 1958 hingegen wurden insgesamt nur 4,624.511 Neinstimmen abgegeben, welche sowohl sämtliche kommunistischen Anhänger als auch die Ultrarechten in sich schlossen. Bei den ersten Wahlen der Fünften Republik jedoch, im November 1958, erhielt die KPF nur noch 3.907.763 Stimmen.

Aufstand der Kronprinzen

Diese Zahlen drücken jedoch nur Momente der oft von äußerlichen Faktoren bedingten Anziehungskraft der Partei aus. Viel bedeutsamer sind bei einer dermaßen zentralistischen Partei die inneren Schwierigkeiten in der Führung, die vor einem Vierteljahr zu einer richtigen Spaltung zwischen der alten Garde in der Leitung und deren Nachwuchs geführt haben. Es handelt sich hierbei um Leute, welche ebenso zum innersten Kern der Führung gehörten und als Kronprinzen der beiden großen Alten Thorez und Jacques Duclos angesehen wurden, wie die vor mehreren Jahren ausgeschlossenen T i 11 o n und L e- coeur. Diesmal waren es:

1. Marcel Servin, Mitglied des Politischen Büros und Organisations sekretär der Partei. 2. Laurent Casanova, dessen Absetzung von noch viel dramatischerer und schwererer Auswirkung für die Partei ist, wie die Servins. Casanova war der Liebling der gesamten Partei. Sohn eines französisch-algerischen Eisenbahners, studierte er und wurde Rechtsanwalt, bis ihn Thorez in der Volksfrontzeit (1936) zu seinem Sekretär machte. Während des zweiten Weltkriegs waren Casanova und seine Frau Danielle zusammen mit Tillon und Lecoeur die Führer des von der KPF organisierten Teiles des bewaffneten Widerstandes gegen die Deutschen. Hierbei wurde Danielle gefangengenommen und in Auschwitz erschossen. Sie gilt heute als die Märtyrerin der Partei und eine Straße in der Nähe der Pariser Oper wurde nach ihr benannt. Casanova war nach 1945 einer der kommunistischen Minister im ersten Kabinett de Gaulles. Nach dem Ausscheiden der KPF war er immer noch einer ihrer Abgeordneten im Parlament. Außerdem war er für die Arbeit der Partei bei den ehemaligen Kriegsteilnehmern (einer in Frankreich seit ihrer Gründung durch Barbusse traditionell linksgerichteten und einflußreichen Organisation), in starkem Maße aber auch für die Arbeit bei den Intellektuellen und die kommunistische Friedensbewegung verantwortlich. Dadurch erhält aber das Ausscheiden Casanovas besonders düstere Aspekte für die weitere Zukunft der Partei in jenen Kreisen.

Weitere Absetzungen (es kam diesmal zu keinen Ausschlüssen, ein vielsagender Umstand) betrafen Jean P.ronteau, 13 Jahre lang Abgeordneter und Sprecher der Partei im Parlament; Andre Soquieres, ehemaliger Sekretär Thorez’ und Senator; Maurice Kriegel-Valrimont. der Rechtsexperte der Partei und •gleichfalls ehemaliger Abgeordneter; Jean K a n a p a. publizistischer Einpeitscher der Parteilirie in intellektuellen Kreisen und beauftragter Hauptgegner Pierre H e r v es, der 1956 ausgeschlossen wurde, weil er in seinem Buche „Die Revolution und die Fetische” einen Monat vor dem

20. Parteitag der KPdSU gegen den Personenkult und Dogmatismus in der französischen Partei auf getreten war. Verdammt vom Zentralkomitee wurde auch einer der meistversprechenden jungen Intellektuellen der Partei, Jean- Pierre V i g i e r, derzeit Direktor des Nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung in der französischen Republik.

Kein französischer Weg zum Sozialismus

Die Gegensätze zwischen den jungen Rebellen und den Alten, in der Führung betrafen just jene Dinge, deren Ventilierung Thorez wie kein anderer Führer einer kommunistischen Partei seit 1956 zu verhindern gewußt hatte: die ausständige Ent- stalinisierung der Partei. Oppositionelle Gemüter der Partei kolportieren schon lange einen Witz: Stalin ist gar nicht gestorben — er ist nach Frankreich geflüchtet und lebt bei Thorez als Untermieter. Als nach dem 20. Parteitag der KPdSU jene für die weitere Zukunft der KPF höchst bedrohliche Besprechung Chruschtschows mit französischen Sozialisten stattfand, in welcher der sowjetische Parteichef einräumte, daß der Sozialismus in gewissen westlichen Ländern sehr wohl durch andere als die kommunistischen Parteien und durch andere, als kommunistische Methoden erreicht werden könne, reagierten Thorez und die Seinen höchst rabiat. Thorez ging nach Moskau und setzte unter schwersten Drohungen durch, daß die Ent- stalinisierung nicht nur nicht auf die kommunistischen Auslandsparteien angewendet, sondern auch in Rußland selbst abgedämpft werden müsse. Und bei dem kurz darnach stattfindenden Kongreß der französischen Partei erschien als Vertreter der russischen Partei kein Mann der neueren Richtung, sondern der Exponent ‘ der Orthodoxie, Suslow, der die stalinistische Linie der KPF voll bestätigte.

Die Ursachen dieser seltsamen Umstände lag® undJiegen noch irnfflö darinfSfeB ‘Miewuslfcn aus strateglscH- außenpolitischen Gründen . .keine ?im Sinne einer inneren” Stäbfli’sieruftg Frankreichs wirkende KP und überhaupt einen extrem-linken und einen extrem-rechten Block mit einer schwachen Mitte brauchen. Sosehr die KPF Urbanität und Mitarbeit in den lokalen und gewerkschaftlichen Bereichen übt, sosehr ist sie bestrebt, sich in der nationalen Politik als stän dig bereite Reservearmee der Russen im Falle eines Konfliktes mit der NATO zu konservieren.

Die damit verbundene Abstinenz von der französischen Gesamtpolitik, zum Beispiel in der Algerienfrage und gegenüber de Gaulle, und die einer solchen Haltung entsprechende Sturheit und Verknöcherung in der Führung, konnte immer schwerer von den realitäts- und kontaktfreudigeren jungen Leuten auf die Dauer ertragen werden. Sie stützen sich hierbei paradoxerweise auf die in der Sowjetunion selbst vor sich gegangene Auflockerung. Sosehr André Marty zu den „Hartschädeligen” gehörte, sosehr war sein eigentlicher Konflikt mit Thorez gerade von den im französischen Kommunismus wirksamen Traditionen des radikalen Republikanis- mus beeinflußt gewesen.

Es bedürfte heute einer sehr glaubwürdigen Anstrengung einer völlig neuen KP-Führung, um die Sozialisten und andere republikanisch-demokratische Parteien zu einer neuen Einheit mit der KP auf nationaler Grundlage zu bewegen. De Gaulle selbst sucht nach einem Weg, der die Fünfte Republik auf eine breitere Grundlage als die seines personalistischen Regimes stellen könnte. In diesem Zusammenhang kann der Riß in der KP-Führung von großer Bedeutung werden. Vorläufig wird auf den Parteitagen der KPF immer noch so geredet, als ob nicht auch in Frankreich bedeutende, tiefgehende Veränderungen in der wirtschaftlichen und sozialen Struktur vor sich gegangen wären. Die Regierung de Gaulles hat bedeutende Erfolge bei der wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung der Nation, aber, auch im Aufknicken des Kolonialismus der französischen Prägung erzielt. Die realistischen jungen Leute in der KPF wissen, daß die Führung die Partei terminologisch und ideologisch in einem von der Diktatur Thorez’ und seinem stalinistischen Dogmatismus gebildeten Käfig von der tatsächlichen Entwicklung Frankreichs fernzuhalten und damit diese aufzuhalten bemüht ist. Das theoretische Um und Auf der KPF-Führung ist immer noch die Verelendungstheorie, die angesichts dessen, daß zum Beispiel heute 60 Prozent aller Investitionen in Frankreich vom Staate gelenkt werden und daß auch bei den übrigen der Staat sehr, sehr viel dreinzureden hat, vom Aberglauben zum Irrsinn wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung