"Die Partei wird immer schwächer"

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Seit der Veröffentlichung von "Neun Kommentaren über die Kommunistische Partei" durch die chinesischsprachige Zeitung des internationalen Verlags "Epoch Times" im November treten Chinesen massenhaft aus der Partei aus. Die furche sprach mit Chefredakteurin Lea Zhou über einen möglichen politischen Umbruch in China.

Die Furche: Nach der Veröffentlichung der "Neun Kommentare über die Kommunistische Partei" vergangenen November sind bereits über zwei Millionen Menschen aus der Partei ausgetreten. Welche Bedeutung messen Sie dieser Austrittswelle bei?

Lea Zhou: Sehr, sehr viel. Ich glaube, es ist das absolut größte Ereignis Chinas. Man muss der Sache viel Aufmerksamkeit schenken. Diese Welle wird noch größer werden, sie ist Ausdruck der Enttäuschung der chinesischen Bürger. Wenn wir am 16. Jahrestag des Tiananmen-Massakers (Niederschlagung der Studentenbewegung in Peking; Anm. d. Red.) vergleichen, was der größte Unterschied zwischen 1989 und 2005 ist, finden wir viele Veränderungen. Eine der größten ist für mich persönlich die Haltung der Menschen. Vor 16 Jahren haben die Studenten noch erwartet, dass sich die Partei selbst reformiert; dass es einen chinesischen Gorbatschow gibt, einen Reformer aus der Partei. Aber heutzutage ist diese Hoffnung schon längst nicht mehr existent. Das haben die Menschen durch ihre öffentlichen Austritte zum Ausdruck gebracht. Es zeigt sich aber noch etwas: wir wissen ja, dass Diktaturen immer Angst als Mittel einsetzen, um die Menschen unter Kontrolle zu bringen. Die Leute wissen, dass es viele Menschenrechtsverletzungen gibt, doch sie wollen sich mit der Partei nicht anlegen. Doch jetzt springen die Menschen über die Schatten ihrer Ängste. Das ist die erste Befreiung.

Die Furche: Wie lange hält das kommunistische Regime noch?

Zhou: Ich glaube, nicht mehr lange. Einen Terminplan habe ich natürlich nicht, aber ich denke, wenn die Menschen den Befehlen der Regierung nicht mehr folgen, dann ist das Ende da. Und das ist auch der sicherste Weg. Es wäre furchtbar, wenn es in China zu einer militärischen Auseinandersetzung käme. Aber wenn sich immer mehr Menschen innerlich von der Partei distanzieren - wenn die Soldaten und Polizisten, wie etwa in Rumänien, sagen: wir schießen nicht auf unser eigenes Volk - dann haben wir eine zweite Revolution, die sanft verläuft.

Die Furche: Bräuchte es nicht eine stärkere Opposition, um einen politischen Umsturz herbeizuführen?

Zhou: Eine Opposition hat es schon immer gegeben, und sie hat es nicht leicht. Es gibt immer Menschen, die trotz der schwierigen Lage versuchen, sich zu organisieren. Die Austritte aus der Partei deuten auf eine spirituelle Kraft hin, die China verändern könnte. Die freie Welt kämpft schon seit Jahrzehnten mit dem Kommunismus. Leider haben wir gesehen, dass die kp in China dadurch nicht schwächer, sondern stärker geworden ist. Sie kann im Moment sogar europäische Länder kommandieren - das ist eigentlich sehr ironisch. Doch diese Austrittsflut kommt aus China selbst. Das ist kein Fremdeinfluss, sondern ein Erwachen des chinesischen Geistes.

Die Furche: Man hat den Eindruck, dass westliche Medien fast überhaupt nicht über die aktuelle politische Gegenbewegung in der Volksrepublik China berichten.

Zhou: Die westlichen Medien haben der chinesischen Zivilgesellschaft über Jahre zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Man hat immer gedacht, es gibt eigentlich keinen richtigen Widerstand. Beim Fall der Berliner Mauer oder in den osteuropäischen Ländern haben wir gesehen, welch wichtige Rolle die Glaubensgemeinschaften gespielt haben. In China sehen wir heute, dass etwa der Widerstand der Falun-Gong-Bewegung (neue religiöse Bewegung, in China staatlich verfolgt; Anm. d. Red.) nie nachgelassen hat. Sie ist zwar nicht politisch, weist aber immer wieder auf Menschenrechtsverletzungen hin. Das ermutigt natürlich viele Menschen, das gleiche zu tun. Dadurch erreicht man auch etwas: in letzter Zeit gibt es ja doch mehr Berichte - wenn auch bei weitem nicht genug.

Die Furche:Wenn sich heute eine ähnlich große Demokratiebewegung formieren würde wie 1989 in Peking: würde sie in einer ähnlichen Katastrophe enden wie damals?

Zhou: Nein. Damals waren die Vorbedingungen ganz anders. Vor 16 Jahren hatten wir hauptsächlich eine Studentenbewegung, eine Bewegung von Intellektuellen. Bauern und Arbeiter waren in erster Linie nicht mit eingeschlossen. Das hat sich geändert. Bei den Austritten merken wir: da sind ganz normale Bürger dabei, aber auch hochrangige Funktionäre. Das ist eine neue Bürgerbewegung quer durch alle Sozialschichten.

Die Furche: Welche Gegenmaßnahmen trifft die Administration?

Zhou: Im März, nach dem Nationalen Kongress, hat China eine Kampagne eingeführt: sie heißt "Zur Aufbewahrung der Vorrangigkeit der Partei". Viele Funktionäre wurden einberufen, um vor der kommunistischen Flagge nochmals zu schwören, dass sie ihr Leben dem kommunistischen Kampf schenken. Und dann müssen alle Parteimitglieder auch Kurse und Prüfungen ablegen - das dauert Wochen und Monate. Seit Mitte April hat die Polizei auch wieder viele, viele Dissidenten verhaftet. Uns wurde gesagt, bei all diesen polizeilichen Anhörungen gibt es eine Kernfrage, die lautet: "Warum unterstützt du den Austritt aus der Partei? Was hast du damit zu tun?" Man reagiert also sehr wohl, aber man hat Angst, die "Neun Kommentare" überhaupt beim Namen zu nennen. Wir haben Informationen bekommen, dass sogar eine gefälschte Version in China im Umlauf ist.

Die Furche: Wie wird diese innenpolitische Entwicklung weitergehen?

Zhou: Ich denke, es wird eine Machtkonzentration geben - das heißt, die Regierung wird immer weniger Bereiche unter ihrer Kontrolle haben. In den Hochburgen wird es weiterhin Repressalien und Verfolgungen geben. Aber die Partei wird immer schwächer. Sie ist nicht mehr in der Lage, das ganze Land zu kontrollieren. Es wird große Unterschiede zwischen den Provinzen geben. Es gibt schon jetzt bestimmte Provinzen, wo die Polizisten sagen, wir machen nicht mehr mit.

Die Furche:Welche Rolle hat die chinesische Regierung bei den aktuellen Massenprotesten gegen Japan gespielt?

Zhou: Ohne die Duldung der Regierung hätten solche Proteste gar nicht zustande kommen können. Natürlich steckt da die Regierung dahinter. Ich sehe das als ein Ablenkungsmanöver. Die Spannungen zwischen Japan und China sind ja nichts Neues. Aber wieso ist es dieses Jahr zu so einer großen Auseinandersetzung gekommen, und zwar von der Regierung gesteuert? Was ist der Preis dafür, dass die Regierung riskiert, ihr Image im Welthandel zu gefährden? Wirtschaftliche Interessen können nur von politischen übertroffen werden, und das größte politische Interesse ist die Legitimation der Existenz der kp. Die Austrittswelle hat die Autorität der kp sehr stark ins Wanken gebracht. Und damit die westliche Presse sich nicht darauf fokussiert, gibt es dieses Ablenkungsmanöver. Auch das ist ein Grund dafür, warum die internationale Presse sehr wohl über den China-Japan-Konflikt berichtet, aber nicht über die Austrittswelle.

Das Gespräch führte Sebastian Fleischer.

Entfacherin des Proteststurms

Als 22-jährige Germanistik-Absolventin war Lea Zhou zwar nicht direkt an den pro-demokratischen Studentenprotesten vor 16 Jahren in China beteiligt, hat diese in ihrer Heimatstadt Peking jedoch "mit Sorgfalt beobachtet". Schon vor dem Aufkommen der Bewegung, die mit der blutigen Niederschlagung am Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen) in Peking endete, war ihr Entschluss festgestanden, nach Deutschland auszuwandern - "aus einer Art Enttäuschung". Besonders als junger Mensch spüre man, dass es in China kein Weiterkommen gebe. In Deutschland studierte Zhou zunächst Volkswirtschaftslehre. 2001 wurde sie Chefredakteurin der europäischen Ausgabe von "Dajiyuan", der chinesischsprachigen Zeitung des internationalen Verlags "Epoch Times". Vergangenen November veröffentlichte die Zeitung "Neun Kommentare über die Chinesische Kommunistische Partei" und entfachte in der Volksrepublik China damit eine beispiellose Protestbewegung. Kurz nach dem Erscheinen der Kommentare richtete "Dajiyuan" eine Internet-Plattform ein, auf der Mitglieder der kpc die Möglichkeit haben, öffentlich aus der Partei auszutreten. Mittlerweile machten über zwei Millionen Chinesen davon Gebrauch, mehr als die Hälfte von ihnen lebt in der Volksrepublik China. Als eine der Entfacherinnen dieser Austrittswelle spielt Lea Zhou im Moment

wohl eine besonders wichtige Rolle im Widerstand

gegen die kommunistische Staatsführung.

"Dajiyuan" ist die größte chinesisch-sprachige

Zeitung außerhalb der Volksrepublik China.

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