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Die politische Mitte gestärkt

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Eineinhalb Wochen vor den zweiten freien Nachkriegswahlen in Ungarn steht das Bündnis zwischen Sozialisten und dem liberalen Bund Freier Demokraten genauso fest wie die Allianz der christlich-nationalen Parteien.

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Eineinhalb Wochen vor den zweiten freien Nachkriegswahlen in Ungarn steht das Bündnis zwischen Sozialisten und dem liberalen Bund Freier Demokraten genauso fest wie die Allianz der christlich-nationalen Parteien.

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Das Demokratenforum (erster Vorwahlbericht in FURCHIC 15/1994) will sich diesmal mit den in der jetzigen Koalition schon längst unbequem gewordenen Kleinen Landwirten jedenfalls nicht mehr einlassen. Diese hatten bereits im Herbst 1990 für höchst fragwürdige Zustände in der Regierung gesorgt, die Jozsef Antall nur mit äußerster Mühe zu neutralisieren vermochte.

Auch so gibt es im Parlament noch drei Fraktionen der Kleinen Landwirte: die erste befindet sich in der Regierung als wortlos dankbarer Untermann; die zweite, angeführt vom rechtsradikalen Buhmann aller guten Geister, Jözsef Torgyan, in der Opposition - und die dritte, eine die Entscheidungen der Koalition stillschweigend mittragende Gruppe, steht zwischen den beiden. Alle drei Flügel haben sich bereits mehrfach gegenseitig aus der Partei ausgeschlossen und sind auch zur Zeit noch damit beschäftigt, einander zu verteufeln.

Als ein weitaus zuverlässigerer und auch angenehmerer Partner des Demokratenforums hat sich die Christlich-Demokratische Volkspartei bewährt. Wie im ersten Wahlkampf, so hat sie auch diesmal auf Wunsch des großen Bruders darauf verzichtet, ihr erklärt antifaschistisches und antikommunistisches Profil herauszustreichen. 1944 (siehe Zeitgeschichte FURCHE 16/1994) war sie wegen aktiven Widerstandes von den Nazis auf Leben und Tod verfolgt worden.

Nach Kriegsende bildete sie bis zur Gleichschaltung im Jahre 1948 die mutigste Partei in der Opposition zum kommunistisch unterwanderten Linken Block, der nur noch nominell von den Kleinen Landwirten geführt wurde.

Die Nachkömmlinge der einst so kühnen bürgerlichen Mitte haben sich vor einem halben Jahr dazu aufgerafft, die Existenz eines eigenen Konzeptes anzudeuten - nun heißt es, jetzt gehe es erst einmal darum, die Wahlen an der Seite des Forums zu gewinnen.

LEERES MAULHELDENTUM

Ungebeten, doch dem Demokratenforum mehr als willkommen hat sich in den vergangenen Wochen ein weiterer Koalitionspartner gemeldet: der ursprünglich liberal-radikale Bund Junger Demokraten (FIDESZ) - bis vor wenigen Monaten noch ständiger Leithammel in der oppositionellen Befehdung der christlichnationalen Regierung - will mit einem Sozial-Liberalen Bündnis nichts gemein haben. Als erste antikommunistische Partei des Demokratisierungsprozesses von 1988 - 89 könne der FIDESZ kein Bündnis mit Kräften eingehen, die nicht die geringste Neigung zeigten, zuzugeben, daß sie für das heillose Herunterwirtschaften des Landes durch ihre damaligen Genossen auch Verantwortung zu tragen hätten. Außerdem sei bei den Sozialisten der Generationenwechsel ausgeblieben.

Die vorwiegend aus gut kommunistischem Hause stammenden Jungdemokraten hoffen mit ihrer Wende zur Zeitgeschichte und Moral zumindest einen Teil ihres einstigen Wahlvolkes zurückzugewinnen, das angesichts der Debattiersucht der Partei ihr bald „leeres Maulheldentum" vorwarf und enttäuscht davonlief.

Trotz des etwas verspätet erfolgenden Wiedergewinnungsversuchs versprechen sich die Jungdemokraten einiges von ihrem Anschluß an eine christlich-nationale Allianz. Sie wollen da als liberaler Schwerpunkt für eine ausgewogene Politik sorgen; da sie über kein anderes Konzept verfügen - beziehungsweise vorerst gar nicht verfügen wollen - bedeuten sie dem Demokratenforum eine ernsthafte Chance, „tatkräftige Schichten der Gesellschaft" anzusprechen.

Ein solcher Partner, heißt es, stärke das Profil der Mitte viel wirksamer und wirkungsvoller als ein Bündnis mit den neueren politischen Gruppierungen, die in den vergangenen vier Jahren vorwiegend durch Austritte aus den größeren Parteien entstanden sind.

EINFLUSS DER TECHNOKRATEN

Als seriös, doch mit äußerst schwachem Profil gilt unter ihnen der Bund Nationaler Demokraten. Der von den einstigen Reformsozialisten Imre Pozsgay und Zöltan Birö nach ihrem Austritt aus der Sozialistischen Partei beziehungsweise dem Demokratenforum ins Leben gerufenen Partei geht es vor allem um Ehrlichkeit in der Politk.

Sie fordert die Durchführung des von der Koalition seinerzeit großspurig in Aussicht gestellten und rasch vergessenen Systemwandels im wirtschaftlichen und sozialen Bereich; das hieße die Kündigung des Bündnispaktes zwischen Regierung und der Schicht der aus der kommunistischen Ära gestärkt hervorgegangenen Technokraten, deren Nutzbeziehungen den effektiven Übergang zu marktwirtschaftlichen Verhältnissen von Anfang ah bremsten, indem sie eine Partizipation nur jenen ermöglichten, die bereit waren, sich korrumpieren zu lassen.

Es fragt sich allerdings, wie weit die Regierungen der nächsten Legislaturperioden auf die enge Mitarbeit der Technokraten verzichten können, deren Einfluß mittlerweile weit in den Bereich des Kriminellen hineinreicht.

Hinzu kommt auch noch, daß Wahlkampfparolen wie Ehrlichkeit und Fairness heutzutage keine Massen mehr anziehen. Solche Begriffe sind in Ungarn schon längst zur Mangelware geworden, oder zu einem Luxus, den sich nur wenige leisten können.

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