6793587-1970_51_03.jpg
Digital In Arbeit

Die Rederei von Verantwortung

19451960198020002020

Spötter mit schwarzem Humor sehen in dem jüngsten Eklat des ÖAAB-Obmannes Maleta durchaus positive Symptome für die Wiedergenesung der Partei: So lange sich noch jemand um den Obmannposten der ÖVP „reißt“, so lange kann es um diese Partei nicht so schlecht bestellt sein...

19451960198020002020

Spötter mit schwarzem Humor sehen in dem jüngsten Eklat des ÖAAB-Obmannes Maleta durchaus positive Symptome für die Wiedergenesung der Partei: So lange sich noch jemand um den Obmannposten der ÖVP „reißt“, so lange kann es um diese Partei nicht so schlecht bestellt sein...

Werbung
Werbung
Werbung

Nun, mag in dieser zynischen Betrachtungsweise sogar ein Körnchen Wahrheit enthalten sein, die „ganze Wahrheit“ sieht denn doch anders aus. Man mag darüber — innerhalb der Volkspartei — verschiedener Ansicht sein, ob die erste ÖVP-Aüein-regierung gute oder schlechte Politik (für wen?) gemacht hat, als Oppositionspartei ist sie — von allen unbestritten — nur noch ein Schatten ihrer selbst. An Beispielen der letzten Zeit sollen lediglich drei herausgegriffen werden:

• Die Bünde machen, was sie wollen. Jeder ist gegen jeden. Als die Bauernbundfraktion im Parlament z. B. einen Initiativantrag auf unbefristete Verlängerung der Marktordnungsgesetze einbrachte, gab es lediglich knapp mehr als 40 Prostimmen. Denn auch der Parlamentsklub funktioniert nur noch ungenügend.

• Hinsichtlich der seinerzeit unter großem Pomp eingesetzten zehn Arbeitsausschüsse, die inoffiziell als „Schattenministerien“ zu arbeiten hätten, kann man mit einigen wenigen Ausnahmen feststellen, daß ihr ohnehin schwaches Lebenslicht nur noch flackert. Die ihnen aufgetragenen Arbeiten wurden wieder in andere Entscheidungsgremien verlagert. Womit der innerbündische Proporz seine fröhlichen „Urständ“ feiern kann — Folgerung: Die auseinanderstrebenden Tendenzen der hündischen Interessen waren stärker als der Generalsekretär, der den einheitlichen Parteiwillen wie diese Ausschüsse koordinieren sollte. • Die durch die „Oberweiser Gespräche“ nach außen hin sichtbare Kluft in der Parteispitze, die zu einer Rüge Maletas bei gleichzeitigem Vertrauensbeweis für Withalm führte, ist keinesfalls gekittet, bestenfalls überkleistert.

Hört man in die Bevölkerung hinein, ergibt sich Frappierendes: Keineswegs zufrieden mit der klaffenden Lücke zwischen Versprochenem und Gehaltenem des Dr. Kreisky, aber harte Kritik an der Haltung der Volkspartei, die gar nicht mehr die Verantwortung trägt. Und da offenbart sich das Dilemma in der VP: Was ist sie nun wirklich seit dem 1. März? Wie versteht sie sich selbst in ihrer Funktion und wie will sie vom österreichischen Volk verstanden werden? Ist sie harte Opposition ä la SPÖ von 1966 bis 1970? Ist sie „zum Wohl des Staatsganzen“ braver und geduldeter Regierungskoalitionär? Oder ist sie Regierungspartei ohne Regierungsfunktion? Regierung ohne Regierungsämter, ohne Legitimation zum Regieren, ohne dazu aulgefordert oder auch nur dazu gewünscht worden zu sein? Wer die Debatten im Parlament in den letzten Tagen verfolgt, wer gesehen hat, wie „verantwortungsvoll“ die ÖVP-Fraktion Anpöbelungen durch SPÖ und FPÖ hingenommen hat, wie der stellvertretende Parteivorsitzende und Zweite Nationalratspräsident Maleta die skandalösen Entgleisungen des Sozialisten Heinz („Schwein...“ „und er ist doch ein Schwein“) nur bedauerte; wer die künstliche Empörung der SPÖ-Abge-ordneten über ungeschickte Formulierungen des Abg. Gorton bewunderte; wer den ohnmächtigen, wirkungslosen und hilflosen Grimm der VP in Sachen Wahlrechtsreform bemitleidete; wer die zielstrebige und bedingungslose Ausübung der gar nicht in diesem Ausmaß verliehenen Macht durch Kreisky bemerkte, seine kaum kaschierte parteitaktisohe Personalpolitik, seine Verschleierungstaktik bei gleichzeitiger „Trans-parenz“-Forderung, der kommt zur bestürzenden Erkenntnis, daß die ÖVP noch immer nicht erkannt hat, was Opposition bedeutet. Die ÖVP war von jeher viel stärker als die Sozialisten in ihrer Politik mehr von Persönlichkeiten geprägt als von Programmen und Ideologien. Anders formuliert: Raab, Figl, Klaus machten jeder für sich Politik nach ihren ganz persönlichen Vorstellungen, der ideologische Unterbau wurde quasi nachgeliefert.

Jeder der Genannten hatte überdies den Vorzug, in einer Zeit die Politik zu bestimmen, die diesen Politiker-typ verlangte. Mit Klaus und dem Wahlsieg vom 6. März 1966 kam die Wende. Das Experiment der ÖVP-Alleinverantwortung brachte für Gesamtösterreich ungeheuer Wertvolles, brachte Bewegung in erstarrte

Formen, und machte letztlich auch Kreiskys Sieg möglich. Nur für die Volkspartei war damit der Samen der Niederlage gelegt worden. Der Zwang zur unbedingten Disziplin (die naturgemäß nicht gelang) angesichts der mächtigen Opposition brachte es mit sich, daß sich die Volkspartei oben mit aller Kraft in ihre Position krallte und der Druck der Jungen von unten nicht ausreichte, jenen Wechsel herbeizuführen, der der völlig andersgearteten politischen Lage gerecht hätte werden können. Mit anderen Worten: Die VP stand die Phase der Alleinregierung — mühsam, aber doch — mit jenen Leuten durch, die mehr als zwanzigjährige Koalition in den Knochen hatten.

Der Wechsel seit dem 1. März 1970 (mit dem 6. März 1966 durchaus vergleichbar) sieht dieselben Leute noch immer auf ihren Sesseln. Was Wunder also, daß die ÖVP das Bild einer Partei darbietet, die sich noch immer beim Regieren wähnt?

Mit diesem Trugschluß endlich aufzuräumen, müßte oberstes Gebot sein. Es wäre höchste Zeit, mit der Phrase von der „verantwortungsbewußten“ Opposition Schluß au machen. Eine Opposition handelt nur dann verantwortungsbewußt, wenn sie sich ihrer oppositionellen Funktion besinnt, das heißt, Kontrolle durch Kritik übt. Macht kann man nur mit Macht begegnen. Alles andere ist Torheit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung