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Die Republik der zwei Monate

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Am Abend des 19. August 1960 gab Modibo Keita, Ministerpräsident des westafrikanischen Bundesstaates Mali, in einer Rundfunkansprache über Radio Mali bekannt, die Existenz des jungen Staates sei in Gefahr. Wenige Stunden später hatten die führenden Politiker des bisherigen Bundesstaates Senegal, Dia und Senghor, die Lage unter ihre Kontrolle gebracht und die Föderation mit dem vormaligen französischen Gliedstaat Sudan für erloschen erklärt. Der Bund von Mali, am 17. Jänner 1959 von den Führern beider Staaten der Communaute und im Widerspruch zu deren ursprünglichen Prinzipien begründet und von Frankreich nach langem Widerstreben anerkannt, hatte weniger als zwei Monate nach seiner Proklamierung zum unabhängigen Staat in den Morgenstunden des 20. August 1960 de facto zu bestehen aufgehört. Eine Heilung des Bruches erscheint zur Stunde mehr als unwahrscheinlich. Die De-jure-Situation läßt internationale Auswirkungen nicht ausgeschlossen erscheinen.

Das .rascfteqAweJnandenbjfichjeniii^iiujjgien,.. Bundesstaates, ist für die Entwicklung der jun~ gen^afirikanischen. Natioaalbeweguagen- j&weifek los eine tragische Erfahrung und demonstriert zugleich die Schwierigkeiten, denen die Verpflanzung aus der europäischen Tradition gewachsener Formen des politischen und staatlichen Lebens auf afrikanischem Boden im Augenblick der Emanzipation begegnet. Föderal strukturierte Staaten waren in der Geschichte Afrikas keineswegs selten, da die heterogene Zusammensetzung der afrikanischen Bevölkerung eine natürliche Voraussetzung für derartige Assoziationen bildete. Sie waren nur in der Regel entweder lose, unter der mehr nominellen Oberhoheit eines Herrschers stehende Gebilde, also Konföderationen, oder aber, den Lehensfürstentümern des europäischen Mittelalters vergleichbar, unter der starken Führung einer einzelnen Dynastie geeinte Reiche mit provin-zialer Teilautonomie. Verhältnismäßig fremd ist der afrikanischen Tradition die Idee eines Bundes gleichberechtigter Mitgliedsstaaten. Das Problem, an dem auch das neue Mali gescheitert ist, war das der Autorität seiner Führung. Mar. wird gerechterweise dieses Versagen vor einer Aufgabe, die auch in der abendländischen Geschichte nicht allzuoft eine Lösung im angestrebten Sinne gefunden hat, dem jungen Staat nicht zum Vorwurf machen dürfen. Zudem war von der ursprünglichen Absicht, die auf eine föderale Einigung aller frankoafrikanischen Staaten Westafrikas abzielte, infolge der Zurückziehung der schon gegebenen Zusage der Teilnahme von Obervolta und Dahome nur ein Teilergebnis Wirklichkeit geworden, und dieses die Vereinigung zweier verhältnismäßig ungleicher Partner. Die Führungskrise wäre in einem Bund von drei oder mehr Staaten — vielleicht — nicht so schnell akut geworden.

Zum ungleichen wirtschaftlichen Entwicklungsstand beider Länder kommt eine stark divergierende ethnische Zusammensetzung seiner Bevölkerung. Mehr als 50 Prozent der 2,3 Millionen Senegalesen bilden die im Westen des Landes ansässigen Wolof und Serer, die keine nähere Beziehung zur Bevölkerung des Sudan haben. Die Mandingovölker, die die Mehrheit der 3,7 Millionen Sudanesen ausmachen, haben an der Bevölkerung des Senegal nur einen Anteil von weniger als 10 Prozent. Weiter bilden die Fulbe und Tukulor, zum Teil nichtnegrider „weißafrikanischer“ Herkunft, eine Volksgruppe von etwa 600.000 Köpfen im Senegal, rund einer halben Million im Sudan, freilich nur mit wenigen gemeinsamen Traditionen. EHe Bevölkerung der Ostgebiete vom Sudan, Songhai, Tuareg, Dogon und andere, hat wiederum keine Beziehungen zu der des „äußersten“ Westen von Afrika.

Senegal und Sudan sind beide überwiegend islamisch. Mehr als 75 Prozent der Senegalesen und etwa 60 Prozent der Bewohner des Sudan sind Moslems, und die Devise von Mali, „Ein Volk,, ein Ziel, ein Glaube“, unterstrich überdeutlich den islamischen Charakter des Staates. Während die Zahl der einheimischen Christen im noch stark heidnischen Sudan 20.000 kaum überschreitet, lebt in Senegal — vor allem in der Sererprovinz von Sine-Salum und in den größeren Städten — eine Minderheit von gegen 200.000 (überwiegend katholischen) Christen. Ihren. Reihen entstammt von den führenden Politikern des Senegal auch Leopold, Sedar senghor.

Senghor, ist Generalsekretär der „Union Pro-jressist Senegalaise“ (UPS), die beiden Wallen vom März 1959 mit fast 683.000 Stimmen Jie überwältigende Mehrheit err.

:inen „afrikanischen Weg zum (demokratischen) Sozialismus“ und zu afrikanischer Einheit ein? :ritt. Die konservativ-moslemimsche „Parti de la olidarite Senegalaise“, mit mehr als 99.000 Stimmen damals die hauptsächliche Oppositions- ruppe unter Scheik Ahmed Tidiane Sy, be-chloß im Juni 19*0 ihre Fusion mit der UPS. sie war seinerzeit gegen die Bildung von Mali lufgetreten. Im Sudan war aus dem Zerfall les einstigen überterritorialen „Rasemblement Democratique Africain“ (RDA), der 1957 auf lern Kongreß von Bamako mit der erfolgreichen Verteidigung föderalistischer Thesen durch Seku Füre gegen den bishin unbestrittenen Führer :elix Houphouet-Boienv begann, die „Union Soudanaise“ (US) hervorgegangen, die sich ihrerseits auf mehr als 700.000 Wähler und 76 Prozent der abgegebenen Stimmen stützen kann. Diese Partei, nach dem Vorbild der „Demokratischen Partei“ Guineas organisiert, deren Sekretär einer ihrer führenden Männer, Innen-? minister Madeira Keita, lange hindurch war und die auch sonst mit Guinea vielfach engere Beziehungen unterhält, richtete im Sudan ein streng zentralisiertes Regime auf. Die Opposition wurde praktisch ausgeschaltet, einige Politiker wurden in die Iforasberge am Rande der Sahara verbannt. Die Beziehungen zu Frankreich waren zeitweilig sehr gespannt. US und UPS, die im März 1959 beschlossen, gemeinsam die „Afrikanische Föderalistische Partei“ (PFA) zu bilden, sind ungleiche Partner. Aber der schon 1959 erwartete Bruch zugunsten eines Anschlusses des Sudan an Guinea-bleibt aus. Als im Frühjahr 1960 die Verfassungskonferenz der PFA ergebnislos auseinandergeht, erwartet man ihn eigentlich doch nicht mehr ernsthaft. *

Der Gedanke, der die Führer der Länder des afrikanischen Westens dazu inspirierte, trotz aller Verschiedenheit der gegensätzlichen Kräfte auch in der jüngsten politischen Vergangenheit das Werk der afrikanischen Einigung voranzutreiben, war aus einem neuen afrikanischen Geschichtsbewußtsein erwachsen. Als erstes hatte die vormals britische Goldküste 1957 bei der Proklamierung ihrer Unabhängigkeit einen großen Namen der afrikanischen Vergangenheit gewählt: Ghana. Freilich konnte diese Namensgebung nicht Anspruch auf eine Sukzession des neuen Staates von jenem ältesten bekannten Reich der Geschichte Westafrikas erheben, das vom 4. Jahrhundert an in der Sahelzone nördlich des Niger bestand. Mali war dazu bestimmt, einen legitimen Anspruch auf Sukzession zu verkörpern.

Bereits ehe der Almoravidenfeldherr' Abiibakr ibn Omar 1077 die heidnischen Herrscher von Ghana besiegte und damit dessen Zerfall verursachte, hatte der Islam um die Mitte des 11. Jahrhunderts Eingang in dem Mandingo-fürstentum der Keita gefunden, das sich am Niger oberhalb Bamako westwärts über ein Gebiet von einigen hundert Quadratkilometern erstreckte. Der Überlieferung nach bekehrte sich König Baramenda, von seinem Volk wegen des“ ausbleibenden Regens zur Rechenschaft ge~ zogen, worauf Regen fiel, womit, der Dynastie der Thron^ erhalten blieb. Die Keita konnten auch schon frühzeitig aus Goldvorkommen Nutzen ziehen, deren Ausbeutung jafönuhderte-lang 'Monopol der Herrscher von Ghana -g&i wesen war. Malis Glanzzeit beginnt im 13. Jahrhundert. Nachdem eine Anzahl von Herrschern im Kampfe gegen den Eroberer Sumariguru Konate gefallen ist, der um 1200 auf den Trümmern des einstigen' Ghana ein ephemeres Reich Sosso begründet hat und der neun Feldzüge gegen Mali unternimmt, besiegt Sundiata (1234 bis 1255) ihn endgültig 1235 in der Schlacht bei Kivinä. Das westsudanische Heldenepos „Niani“ berichtet darüber, seine Überwindung sei einer List von Djege, der Schwester Sundiatas, zu danken gewesen. Ihr i gelang es, Sumanguru das Geheimnis zu entlocken, daß nur der Sporn eines weißen Hahnes ihn verwunden könne. Sundiata, der 1240 die alter Hauptstadt von Ghana zerstört, Ist der Begründer der Reichsmacht von Mali, das Ghanas Erbe antritt. Sein Nachfolger, der Mansa Ule (1255 bis 1270), dehnt sie nach Westen bis an den unteren Gambia aus. Nach ihm gelangt ein Usurpator auf den Thron, ehe Mali unter dem Bedeutendsten der Keita, Kankan oder Gongo Musa (1307 bis 1332), den Höhepunkt seiner Macht erreicht. Von Tekruu am mittleren Senegal erstreckt sich sein Reich nun bis östlich des Niger. Als er 1325 von seiner Pilgerfahrt nach Mekka zurückkehrt, hat sein Heerführer Sagamandia auch noch das Reich von Gao unterworfen und selbst Agades ist ihm tributpflichtig.

Diese Pilgerfahrt bildet übrigens eine Denkwürdigkeit ihrer Zeit. Die Zahlenangaben über seine Karawane, die sich zwischen 8000 und 60.000 Personen bewegen, mögen übertrieben sein, aber jedenfalls hat sie in der arabischen Welt großen Eindruck hinterlassen; auch deshalb, weil; die Freigiebigkeit der Sudanesen in der Geschäftswelt von Kairo eine jähe Preishausse und zugleich einen beträchtlichen Sturz des Goldkurses hervorrief. Auf der Rückkehr begleiten Musa arabische * Adelige, Kaufleute und der andalusische Architekt Abu Ischak El Gharnati Es-Saheli, der ihm nach Kairoter Vorbild einen prachtvollen Palast errichtet und dafür zehn Mitgal Goldes erhält. Mali verfügt zu jener Zeit über eine geregelte Verwaltung, Stätten höherer islamischer Bildung und eine prunkvolle Hofhaltung, bei der ein peinlich ausgeklügeltes Zeremoniell herrscht. Es taucht 13 39 auch erstmals auf einer europäischen Landkarte, der des Angelino Dulcat, nachmals 1375 der des Abraham Cresques und später noch mehrfach auf. .

Nach dem Tode Musa I. geht die östlichste „Provinz“ Gao verloren, als zwei am Hofe von Mali als Geiseln festgehaltenen Songhaiprinzen die Flucht gelingt. Auch der zweite große Herrscher des 14. Jahrhunderts, Mansa Suleiman (1336 bis 1359), vermag sie nicht zurückzugewinnen. Der arabische Reisende Ibn Batuta, der Mali 13 52 besucht, lobt das geringe Ausmaß verübten Unrechts in diesem Reich. Die Neger sind für ihn von allen Völkern das, welche das Unglück am meisten verabscheuen, und ihr König kennt keinen Pardon dafür. Er rühmt ferner die vollkommene Sicherheit im Lande, die Regelmäßigkeit der rituellen Gebete und den religiösen Eifer, den Koran auswendigzulernen. Er bemängelt lediglich die Nacktheit der Sklavinnen und' überhaupt aller Frauen, wenn sie vor dem Herrscher erscheinen, sowie daß eine große Anzahl Neger Aas, Hunde und Esel verzehren würden.

Die Nachrichten über Mali sind, vom Ende des 14. Jahrhunderts an, spärlicher und lassen den Verfall des Reiches nur episodenhaft erkennen. Die Ostprovinzen verzeichnen Einfälle der kriegerischen Mossi von Yatenga, die Tuareg erobern 1443 Timbuktu, das 1468 in die Hände des Songhaiherrschers Sonni Ali (1465—1492) fällt, der nun den Vormarsch nach Westen antritt und 1473 Djenne nimmt. Seine Nachfolger bringen bis 1508 fast alle Nordprovinzen Malis bis an den Senegal unter ihre Macht. 15 34 ersucht der Mansa die Portugiesen, die seit 1484 Botschafter an seinen Hof entsenden — wie vordem schon Ägypten und Marokko —, allerdings vergeblich, um Hilfe. 1546 plündern die Songhai, die bis Ende des 16. Jahrhunderts Erben deT Reichsmacht Malis bleiben, die Residenzstadt Niani.

Mali besteht noch über ein Jahrhundert weiter. Erst als sich 1666 die heidnischen Bambara-Mandingo von Segu gegen den Mansa erheben, der sie erfolglos bekämpft, und darüber sein letztes Ansehen einbüßt, kommt das Ende. Diese Schlußphase der Geschichte von Mali hat etwas von eigenartiger Größe. Der letzte Keita verläßt seine Hauptstadt und kehrt zurück in die Heimat seines Geschlechts, wo seine Nachfahren als einfache Häuptlinge fortleben. Modibo Keita, Ministerpräsident, Volksschullehrer im, Sudan •und dann des neuen Mali, ist aus seinem Geschlecht, wie auch andere Politiker im Sudan und in Guinea.

Das neue Mali ist zunächst an den Realitäten des 20. Jahrhunderts gescheitert. Ob für immer?

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