6766064-1968_35_06.jpg
Digital In Arbeit

Die schmale Mehrheit der Linken

Werbung
Werbung
Werbung

Die 233 Mandate der Zweiten Kammer verteilen sich heute wie folgt:

Die zwei Linksparteien erhielten 1966 zusammen 48,8 Prozent der Stimmen, die drei Oppositionsparteien erhielten zusammen 47,6 Prozent, auf die kleine Splitterpartei entfielen 1,8 Prozent. Heute besteht in der Zweiten Kammer eine Linksmehrheit von 121 zu 112 Mandaten; um die Mehrheitsstellung der Arbeiterparteien zu brechen, muß die Rechte mindestens fünf neue Mandate erobern — um diese magische Zahl Fünf kreisen heute alle Spekulationen.

Sollte es zum gleichen Wahlergebnis wie 1966 kommen, dann würde das einen sozialdemokratischen Verlust von acht Mandaten bedeuten. Die Situation wäre dann vollständig eindeutig: Tage Erlander würde abtreten, und es käme zur Bildung einer bürgerlichen Koalitionsregierung.

Rechnet man mit einer sozialdemokratischen Erholung um ein Prozent — was ziemlich allgemein angenommen wird —, dann käme es zu einer Mandatsverteilung von 115 zu 118 zugunsten der Rechten. Auch da wäre die Bildung der Rechtsregierung gewiß, die allerdings gezwungen sein würde, unmittelbar nach Machtantritt die Erste Kammer des Parlaments aufzulösen, da dort immer noch eine Linksmehrheit von zehn Mandaten besteht, die jeden Beschluß, der Haushaltsfragen betrifft, mit Erfolg beeinflussen könnte.

Es gibt jedoch einige weitere große Fragezeichen, die jede Voraussage zu einem gewagten Unterfangen macht: Es bedarf in dieser Situation nur ganz geringer weiterer Stimmengewinne der Sozialdemokraten (im Vergleich zur schlechten Wahl des Jahres 1966!), um in vier Wahlkreisen je ein weiteres sozialdemokratisches Mandat zu retten. Es handelt sich um die Wahlkreise Stockholm-Stadt, Värmland, Blekinge im Süden und im benachbarten Kristiansstad. In diesen Wahlkreisen braucht man nur 550 Stimmen gewinnen, um zwei Mandate — und damit auch die Parlamentsmehrheit — zu retten! Anderseits brauchen beispielsweise im Kreis Jönköping die Konservativen nur 17 Stimmen zu gewinnen, um der Regierungspartei das entscheidende Mandat abzunehmen. In so engen Grenzen können sich die Entscheidungen abspielen!

Durch lange Zeit hat sich die Arbeiterpartei dagegen gesträubt, die Regierungsmacht abzugeben, wenn die bürgerlichen Parteien unter 50 Prozent der Stimmenanzahl bleiben; man forderte nicht nur eine Mehrheit der Mandate, sondern auch eine absolute Mehrheit unter der Wählerschaft. In dieser Beziehung ist man nun einen Schritt zurückgewichen, und Tage Erlander erklärte eben in Norrköping, daß seine Regierung bei einer bürgerlichen Mandatsmehrheit sofort zurücktreten werde. Man will es nicht einmal mehr auf eine Abstimmung im Parlament ankommen lassen.

Neutrale Beobachter fragen sich oft, warum es nicht zu einer Wahlzusammenarbeit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten gekommen ist. Ein Blick auf das Wahlergebnis von 1964 zeigt, daß bei einer wahltechnischen Zusammenarbeit die Kommunisten mit ziemlicher Sicherheit zwei Mandate gewinnen und die Sozialdemokraten drei bis vier ge fährdete Mandate retten könnten. Doch die Führung der Arbeiterpartei lehnte eine Zusammenarbeit sowohl auf Landesebene als auch auf lokaler Ebene ab; sie bezeichnete noch mitten im Wahlkampf die Kommunisten als politisch unzuverlässig und deren demokratische Gesinnung als keineswegs gefestigt. So wird man getrennt marschieren und möglicherweise getrennt geschlagen werden!

Und die künftige Regierung?

Innerhalb der jetzigen Opposition diskutiert man bereits lebhaft die künftige Zusammensetzung der Regierung, und das bietet nicht gerade einen erhebenden Anblick. Der Führer der Zentrumspartei spricht immer wieder vom sozialdemokratischen Bären, der nun endlich in Schußnähe gekommen sei, und die Sozialdemokraten fragen zurück, wo man dann eigentlich die Munition gelassen habe. Es kann nicht aus- bleiben, daß man dabei an jene Bärenjagden denkt, bei denen das Fell allzu früh verteilt worden ist!

In dieser allzu großen Siegessicherheit liegt tatsächlich die große Ge fahr für die bürgerlichen Parteien, den greifbar erscheinenden Sieg abermals zu verscherzen. Kaum jemand in Schweden befürchtet von einer bürgerlichen Regierung einen Abbau der sozialen Einrichtungen — weder in Norwegen noch in Dänemark hat man etwas Ähnliches versucht! —, mit zunehmendem Mißtrauen aber beobachtet man die außenpolitischen Eskapaden des Führers der Liberalen, Sven Weden, der erst kürzlich unverhüllt von der Regierung ein Eingreifen in den tschechisch-sowjetischen Konflikt forderte und — zusammen mit dem Führer der Konservativen — eine sehr amerikafreundliche Haltung einnimmt. Das widerspricht zweifellos den Anschauungen einer großen Mehrheit des Volkes von einer neutralen Haltung der Staatsführung und kann dazu beitragen, die Widerstandskraft im bereits im Zurückweichen begriffenen sozialistischen Lager von neuem anzufachen!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung