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Die Sprache der Zahlen

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Zusammenhang zu bringen. Aber eine katholische Zeitung, das Organ der erzbischöflichen Kurie in Bologna, „L'Awenire d'Italia“, kommt zu ganz anderen Überlegungen, verweist darauf, daß die Zunahme der Kommunisten nicht erst jüngeren Datums, also direkter Effekt der „Linksöffnung“ ist, sondern im langsamen Fortschreiten von Wahl zu Wahl zu verzeichnen ist. Nur bei den Parlamentswahlen des Jahres 1958 gab es infolge der Nachwirkungen der ungarischen Erhebung eine kleine Verminderung, aber bei den Gemeindewahlen 1960 war die KP bereits wieder von 22,7 auf 24,5 Prozent vorgerückt, und es ist gar nicht

gesagt, daß der weitere Sprung nach vorn, zu 25,3 Prozent, gerade im vergangenen Jahr seine Energien gesammelt hat.

Auch der vatikanische „Osservatore Romano“, mit der heiklen Aufgabe betraut, einen Rückschritt zu kommentieren, für den die liberale Presse auch das Verhalten des Heiligen Stuhles, wenn nicht Papst Johannes XXIII. direkt verantwortlich machen möchte, erblickt keinen Grund, seine bisherigen Ansichten zu ändern. Der Kampf gegen den Kommunismus kann für ihn nicht anders als in langer, geduldiger und grundlegender Arbeit geführt werden.

Interessant wäre die Frage, woher die Kommunisten ihre Mehrstimmen genommen haben. Es hat drei Verlierer gegeben, nämlich die Christiich-Demokraten (—4,1), Linkssozialisten (—0,4), Monarchisten (—3,1) und vier Gewinner, nämlich Kommunisten (+2,6), Liberale (+3,5), Sozialdemokraten (+1,6) und Neofaschisten (+0,3). Wenn es richtig ist, wie die Gegner der „Linksöffnung“ behaupten, daß die Politik der „linken Mitte“ für die schwere Schlappe verantwortlich ist, dann müßten die Stimmen der DC an Rechtsparteien gegangen sein, in erster Linie an die Liberalen, vielleicht sogar einige an die Neofaschisten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß die Sozialdemokraten Saragats profitiert haben, die eine bedeutend ausgeglichenere, konsequentere und in mancher Hinsicht gemäßigtere Reformpolitik betrieben haben als manche zornige junge Männer auf dem linken Flügel der DC.

Wo ist aber dann die gewaltige Erbmasse aus der Auflösung des ehemals monarchistischen Besitzes hingelangt, jene 900.000 Stimmen, die Lauro und Covelli verlorengegangen sind? Hier spielen Faktoren mit, die die soziale Struktur Italiens von Grund auf verändern. Das sogenannte Unterproletariat des Südens, das in seiner politischen Unreife und in der Unsicherheit seiner sozialen Existenz neben dem primitiven Autoritätsglauben nur im Klientelwesen Geborgenheit fand, ist dank der wirtschaftliche*: Entwicklung in einen Evolutionsprozeß verwickelt. Wie rückständig die Verhältnisse im Süden dem Mitteleuropäer noch erscheinen mögen, sie sind heute ungleich besser als vor zehn, vor fünfzehn Jahren. Heute genügt es nicht

mehr, daß der reiche neapolitanische Reeder Achille Lauro einen linken Schuh verteilt, um nach gewonnenen Wahlen auch den rechten hinzuzufügen. Die Proletarier des Südens haben Lauros Schuhe nicht mehr nötig. Die Arbeitslosigkeit ist bis südlich Latium praktisch verschwunden. Den Leuten in Kalabrien und Sizilien öffnet sich die Auswanderung ins Ausland, aber auch in die Industrieregionen des Nordens Italiens, wo sie sofort absorbiert werden.

Phänomen: Binnenwanderung

Die Binnenwanderung vom Süden nach dem Norden umfaßt bereits Millionen Menschen, und das erklärt auch die Fortschritte der KP im Norden. Natürlich erklärt sie nicht alles. Es kommt die geschickte Propaganda hinzu, mit der keine andere Partei konkurrieren konnte. Togliatti, der mit samtener Stimme vom Fernsehschirm herab von den Tränen der im Süden zurückgebliebenen Mütter und Frauen sprach, weil eine ausbeuterische kapitalistische Schichte die Söhne und Gatten zur Auswanderung gezwungen hat, war ungleich wirksamer als der christlich-demokratische Minister, der statistische Angaben über die Verminderung der Arbeitslosigkeit machte. Den Kommunismus unter einem rein wirtschaftlichen Aspekt zu sehen, als ob er allein durch Elend und Arbeitslosigkeit zu erklären wäre, war ein verhängnisvoller Fehler. Während die demokratischen Regierungen bemüht waren, den Lebensstandard der Südländer zu heben, ließ sie es ohne weiteres geschehen, wenn sie es nicht geradezu begünstigten, daß alle Sektoren des kulturellen Lebens, Film, Literatur, Einflußzone des Linksextremismus wur-

den, in der die bürgerlichen Intellektuellen nur noch geduldete Außenseiter sind. Es ist merkwürdig und fatal, daß auch im Ausland die ständig von der KP ausgeübte Kontrolle, wirksam, weil unsichtbar, über die kulturelle Produktion in Italien nicht in ihrem ganzen Umfang erkannt wird.

Togliatti war es, der von der Auflösung der Monarchisten-Partei am meisten profitiert hat. Daneben ist es ihm sicherlich gelungen, den Linkssozialisten einen kleinen Prozentsatz von Stimmen abzunehmen, jener, die Nenni nicht auf dem Weg ins demokratische Lager folgen wollten. Die Partei Nennis präsentiert sich jedoch heute innerlich gefestigter, denn der linke Flügel, in Opposition zu Nenni, hat im Parlament nicht mehr vierzig, sondern nur noch dreißig Vertreter sitzen, während die autonomistische Richtung von vierzig auf fünfzig angestiegen ist. Dies kann als ein Erfolg der „Linksöffnung“ verbucht werden.

Der Schlüssel liegt bei Nenn!

Bei den Christiich-Demokraten hingegen sind die Anhänger Fanfanis weniger geworden: Während die Gruppe der sogenannten „Dorotheer“, die Anhänger des Zentrums, etwa 110 Parlamentarier umfaßt, die des ehemaligen Ministerpräsidenten Scelba etwa fünfzig, hat Fanfani nur noch 28 „Allzeit Getreue“ hinter sich. Der Kurs der „linken Mitte“ ist damit nicht gefährdet. Keiner der Gegner Fanfanis vermag heute eine andere Politik vorzuschlagen (die übrigens erst durch einen neuen Parteikongreß beschlossen werden müßte) als die der „Linksöffnung“. Eine Regierung ohne Mitwirkung der Nenni-Sozialisten ist nicht mehr möglich, es sei denn, daß der sozialistische Parteikongreß Entscheidungen trifft, die jedes Zusammengehen mit Nenni unmöglich machen. Erst in einem solchen Fall könnte sich Saragat entschließen, eine Zentrumsregierung gemeinsam mit den Liberalen zu unterstützen. Nenni geht schweren Tagen entgegen. Es könnte auch sein letzter Kampf werden. Und doch sind Christlich-Demokratische und Sozialistische Partei bereits in der gleichen Barke und keiner von beiden ist es mehr möglich, das Schifflein zu verlassen, ohne gefährlichen Abenteuern entgegenzugehen. Von beiden wird der Mut zu Entscheidungen verlangt werden, zugleich aber auch ein richtiges Maßhalten beim Geltendmachen der eigenen Ansprüche.

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