Die Stimme der Bürger Europas

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Das Europaparlament kämpft vor allem mit der geographischen und geistigen Distanz zu den Bürgern in den Heimatländern.

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Das Europaparlament kämpft vor allem mit der geographischen und geistigen Distanz zu den Bürgern in den Heimatländern.

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Das Zusammenwachsen Europas ist eine in der Geschichte einzigartige Erfolgsstory. Ich betone das nicht in blinder Euphorie, sondern als realistischer, aber begeisterter Europa-Anhänger der ersten Stunde. Staaten, die miteinander in Unfrieden lagen, Kriege gegeneinander führten, haben heute eine gemeinsame Währung, planen eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, vereinen und vergrößern den Binnenmarkt und überwinden die Teilung Europas. Mir ist aber bewusst, dass das Europäischen Parlament (EP) und mit ihm die einzelnen Parlamentarier in der Wahrnehmung der nationalen Öffentlichkeiten ein Mauerblümchendasein fristen. Zu Unrecht!

Die Aufgaben das Gemeinwohl zu bestimmen, die politischen Geschicke Europas mitzugestalten und bei Konflikten auf dem Boden des Rechts zu vermitteln, wurden in der EU vier Organen übertragen: Dem Europäischen Rat - das sind die Regierungsvertreter der Mitgliedsstaaten, dem Europäischen Parlament, der Europäischen Kommission und dem Europäischen Gerichtshof. Die Kompetenzen der einzelnen Organe wurden in den letzten 50 Jahren verändert und erweiter. Das EP spielt in allen Entscheidungsfindungsprozessen eine gewichtige Rolle. Die wenigsten wissen nämlich, dass das EP in mehr als 70 Prozent aller Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden, Mitgesetzgeber ist. Das heißt, um es klar und deutlich auszudrücken, dass in all diesen Fragen in Europa ohne dem EP nichts geht. Damit nicht genug.

Wussten Sie, dass bereits über 80 Prozent der österreichischen Wirtschaftsgesetze ihren Ursprung auf europäischer Ebene haben? Tagtäglich werden Entscheidungen getroffen, die die Zukunft unseres Landes entscheidend beeinflussen. Und es gibt keine europäische Entscheidung ohne Österreich - durch den österreichischen Regierungschef, ein Regierungsmitglied (Rat) oder/und Österreichs Europaparlamentarier.

Das EP ist das einzige vom Bürger direkt gewählte Organ der Europäischen Union und setzt sich aus 626 Abgeordneten aller 15 Mitgliedsstaaten zusammen. Das EP ist die Stimme der Bürger Europas. Dieser Aufgabe versuchen wir als Parlamentarier gerecht zu werden und bemühen uns daher um größtmögliche Nähe zu den Bürgern, um mehr Kompetenzen und öffentliche Transparenz im Diskussions- und Entscheidungsprozess. So ist das EP die einzige Institution in der Europäischen Union, die sämtliche Berichte, Stellungnahmen und Entschließungen der Öffentlichkeit zugänglich macht und öffentlich tagt.

Wir wissen, dass wir vor allem mit zwei Faktoren zu kämpfen haben: der geographischen und der geistigen Distanz zu den Bürgern unserer Heimatstaaten. Unser Anliegen ist es, diese Distanzen durch erhöhtes Engagement zu überbrücken. Unterstützt werden wir vom dynamischen Integrationsprozess, der Europa näher und näher zusammenrücken ließ. Und dennoch befinden wir uns erst am Anfang eines Prozesses, der Europa weiter vereinen und die Bande unter den Mitgliedstaaten zum Wohle aller Bürger in Europa verstärken wird. Die Schwachstellen bei der Information der und Kommunikation mit dem Bürger sind die Mitgliedsstaaten, sprich der Rat, wie es der irische "Abstimmungsunfall" verdeutlicht hat.

Ich möchte den Prozess, den wir in Europa miterleben und mitgestalten mit einem Zitat Konrad Adenauers ausdrücken: "Die Einheit Europas war ein Traum weniger. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für alle." Diese "Notwendigkeit" ist Auftrag und Aufgabe zugleich. Wir alle müssen Verantwortung übernehmen. Die Europaparlamentarier, um ihre Arbeit verständlich und den Entscheidungsprozess in Europa transparent zu machen. Doch auch jeder einzelne Bürger ist aufgerufen, Europa mitzugestalten und sich über die Vorgänge in der EU zu informieren.

Der Autor ist Europaparlamentarier und Präsidiumsmitglied der EVP-ED-Fraktion.

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