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Die stummen Kanonen

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Dieser Tage verkündete Israels Finanzminister, Pinkas Sapir, die Erhöhungen von direkten und indirekten Steuern. Obwohl eine Finanzpolitik auf deflatorischer Basis deklariert wurde, sah sich die israelische Regierung gezwungen, diese Schritte zu unternehmen, um die erhöhten Sicherheitsausgaben des Staates bewältigen zu können. Einige Tage vor der Steuererhöhung verabschiedete die Knesseth, Israels Parlament, ein Zusatzbudget von zirka 150 Millionen israelischen Pfund zu dem 4,6-Milliarden-Jahresbudget. Heute, 18 Jahre nach der Staatsgründung, sieht Israel in der Wahrung seiner Sicherheit die Hauptaufgabe jeder Regierung. Denn der waffenklirrende Waffen-„Stillstand” zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn ist im Grunde genommen der gleiche wie vor 18 Jahren. Es wäre übertrieben zu sagen, daß 2,5 Millionen Israelis in dem Menschenmeer von 100 Millionen Mohammedanern versuchen, sich über Wasser zu halten. Es herrscht vielmehr ein kalter Krieg, in dem die eine Seite ständig Drohungen ausstößt und die andere mit Ge- gendrobungen antwortet.

Drei Doktrinen

Man kann heute im allgemeinen von drei verschiedenen Auffassungen gegenüber Israel sprechen: die tunesische Doktrin, wie sie von Staatspräsident Habib Bourghi ba propagiert wird. Er fordert eine Lösung des israelisch-arabischen Konflikts auf der Basis des Teilungsplanes der UNO von 1947 und der Rückkehr der arabischen Flüchtlinge nach Israel. Obwohl Bourghibas Plan auf realpolitische Erwägungen beruht, wurde diese Auffassung weder von arabischen noch von den israelischen offiziellen Instanzen akzeptiert.

Die ägyptische Doktrin spricht von „Kein Frieden, kein Krieg”. Sie wurde von dem ägyptischen Staatspräsidenten Gamal Abdel Nasser am 31. Mai 1965 propagiert, als er erklärte, daß man nichts gegen die israelischen .Tordan-Bewässerungs- pläne unternehmen kann, da zur Zeit die internationale Situation keinen Vernichtungskrieg gegen Israel gestattet und die militärische Situation der arabischen Staaten noch keinen solchen Krieg ermöglicht.

Die dritte Konzeption ist die syrische, die einen sofortigen Krieg gegen Israel fordert, eine Idee, die bisher von keinem der anderen arabischen Staaten angenommen wurde. Dies ist auch der Grund, daß nur Syrien eine kleine Terrorgruppe ehemaliger palästinensischer Araber — „El Fatah” — unterstützt.

Trotz den verschiedenen politisehen und militärischen Niederlagen ist Ägypten die dominante Kraft im Mittleren Osten. Die ägyptische Expansionspolitik, deren Vereinigungsversuch seinerzeit mit Syrien mißlang, hat trotzdem den Traum eines Großägyptens noch nicht aufgegeben. Eines der Werkzeuge dieser Expansionspolitik ist das arabische Oberkommando, das offiziell zu dem Zweck eines künftigen Totalangriffes auf Israel geschaffen wurde. Die ägyptischen Generäle erklärten, daß ein Angriff gegen Israel nur dann gelingen kann, wenn er gleichzeitig von allen Seiten erfolgt. Um dies zu erreichen, muß eine gemeinsame Heeresleitung mit gemeinsamer Kampfdoktrin gebildet werden. Die Ägypter schlugen also vor, an den schwachen Positionen der gemeinsamen Front ägyptische Truppen zu stationieren. Doch die „schwachen Punkte”, Libanon, Jordanien und Syrien, waren nicht überzeugt, daß diese Truppenstationierungen zum Hauptzweck gegen den „israelischen Feind” gerichtet waren. Sie fürchteten viel mehr als alles andere eine nasseristische Infiltration, deren Endziel die Annexion durch Ägypten wäre.

Hier nun begannen die Waffenlieferungen des Westens und des Ostens, einmal hierhin, einmal dorthin.

Bestandsaufnahme…

Um die Situation besser veranschaulichen zu können, sind Einzelheiten über die verschiedenen Armeen im Mittleren Osten von besonderem Interesse.

Vereinigte Arabische Republik: Alle Waffengattungen insgesamt: 195.000 Mann. — Bewaffnung: Größ tenteils Sowjetunion. — Kampfdoktrin: Sowjetisch. — Dienst: Reguläre Armee und Wehrpflicht. — Panzertruppe (insgesamt zirka 1000 Tanks): T 34, 400; T 54, 350; Stalin 3, 50; SO 100, 150; Centurion 3, 32; Hotch- kis, 40. — Kampfwagen (halftrucks): BTR 152, 700. — Artillerie: 1500 Kanonen aller Größen. — Luftwaffe: 500 Kampfflugzeuge (MIG 21, MIG 19, MIG 17 und demnächst MIG 23); zirka 150 Bombenflugzeuge (Iljuschin 28, Iljuschdn 14, Antonov 12); 40 Helikopter. — Flotte:

10 Whisky-U-Boote, sowjetisch; 6 Zerstörer; 45 Torpedoboote; 7 Fregatten; 2 Torpedojäger.

Libanon: Alle Waffengattungen insgesamt: 10.000 Mann. — Bewaffnung: Westlich. — Kampfdoktrin: Französisch. — Dienst (keine Wehrpflicht): Reguläre Armee. — Panzertruppe: 40 französische AMX 13 (vor der neuen Lieferung). — Luftwaffe: 35 veraltete Flugzeuge (vor der neuen Lieferung).

Jordanien: Alle Waffengattungen insgesamt: 40.000 Mann. — Bewaffnung: Englisch und amerikanisch. — Kampfdoktrin: Englisch. — Dienst (halbregulär 30.000 Mann = Heimwehr): Reguläre Armee. — Luftwaffe: 20 bis 25 Hunter-Flugzeuge. — Panzertruppe: 2 Panzerbrigaden ausgerüstet mit Centurion- und Pattontanks.

Syrien: Gesamtarmee: 75.000 Mann. — Bewaffnung: Sowjetisch. — Kampfdoktrin: Sowjetisch. —Dienst: Regulär und teilweise Dienstpflicht. — Panzertruppe: 400 T 34 und T 54, sowjetische Tanks. — Luftwaffe: 150 MIG 21, MIG 17 und Übungsflugzeuge; außerdem 12 Iljuschin, 28 Bomber. — Flotte: 2 U-Boot- Jäger; 15 Torpedoboote; 2 Minensucher; 3 Wachtboote und 4 Raketenboote.

Israel (nach ägyptischen Quellen): Gesamtarmee aller Waffengattungen: 300.000 bis 350.000 Mann. — Bewaffnung: Westlich. — Kampfdok- trin: Israelisch. — Dienst: Allgemeine Wehrpflicht, und nur die Offiziersgrade, meistens nur die höheren, gehören der regulären Armee an. — Panzertruppe: 7 Brigaden. — Luftwaffe: 70 Mirage; 250 Kampfbomber; 30 leichte Bomber sqwie Helikopter, Transporter usw, ‘.Die ‘israelische Luftwaffe verfügt über folgende Kampfflieger: Düsenjäger Oregon, Mystere, Super- mystere, Mirage, Jagdbomber Votour sowie die Transporter Nordatlas und Stratocruiser. Ein Schulflugzeug Fuga-Magister wird in Israel zusammengesetzt, und ein neuer Helikoptertyp, Super Perlon, wurde letztens in Frankreich gekauft. — Flotte: 3 Zerstörer; 2 U-Boote; 24 Torpedoboote; 24 Küstenwachtboote.; 2 weitere U-Boote wird Israel demnächst von England erhalten.

Eine Waffe fehlt…

Die obengenannten Zahlen zeigen, daß die Ausgaben für die Bewaffnung und die Sicherheitsdienste der verschiedenen Staaten in keinem Verhältnis zu den wahren Interessen stehen. Doch sieht alles damach aus, daß einem neuen Rüstungswettlauf nur dann Einhalt geboten werden kann, wenn Ost- und Westblock ein gemeinsames Machtwort sprechen werden. Bis dahin scheint es noch sehr weit zu sein, so daß auch dieses unterentwickelte Gebiet zwar nicht aller Errungenschaften des 20. Jahrhunderts habhaft werden kann. Doch auf dem Gebiet der Rüstung fehlt bisher nur noch die Atomwaffe…

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