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Freda Meissner-Blau: Die Träume sind längst verflogen

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Die ehemalige Galionsfigur der Grünen, Freda Meissner-Blau, über deren heutige Politik und die Chancen, bei den kommenden Wahlen zuzulegen.

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Die ehemalige Galionsfigur der Grünen, Freda Meissner-Blau, über deren heutige Politik und die Chancen, bei den kommenden Wahlen zuzulegen.

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DIE FURCHE: Sie waren einst die Galionsfigur der österreichischen Ökologiebewegung. Ziehen Sie als „graue Eminenz” im Hintergrund immer noch die Fäden der Grünen?

Freda Meissner-Blau: Nein. Ich habe mich nach der Niederlegung meines Mandats aus der Parteiarbeit zurückgezogen. Wenn natürlich die Madeleine Petrovic etwas wissen möchte oder mich bittet, einen Vortrag zu halten, so mache ich das selbstverständlich immer noch sehr gerne. Aber ich bin weder „graue Eminenz” noch „Fädenzieherin” der Grünen. Es hat sich inzwischen so vieles gewandelt, daß das auch gar nicht sinnvoll wäre. Aber ich bin immer noch auf der grünen Seite, auch international.

DIE FURCHE: Es gibt immer noch den Vorwurf, Sie hätten die Grünen Ende der achtziger Jahre ganz einfach im Stich gelassen.

Meissner-Blau: Das ist ein Vorwurf, der mich tief getroffen hat. Zwar habe ich nicht die Partei alleingelassen, aber die Wähler. Ich habe nicht daran gedacht, daß auch sie enttäuscht sein könnten. Ja. Dieser Vorwurf ist sicherlich berechtigt.

DIE FURCHE: Glauben Sie, daß die Grünen heute so erfolgreich sind, weil sie inzwischen Realos geworden sind?

Meissner-Blau: Das hat sicher etwas damit zu tun. Wenn man es kritisch sieht, müßte man allerdings sagen: bis zu einem gewissen Grad bedeutet das auch einen Mangel an klarer Orientierung, an einem klar erkennbaren politischen Kompaß. Denn in dem Augenblick, wo ich an der Macht teilhaben will, muß ich natürlich Kompromisse schließen und diese Realoposition sehr stark herausstreichen. Das bedeutet eine Adaption an die möglichen Koalitionspartner. Das muß man ganz offen sagen. Ich hätte mir hingegen gewünscht, daß die Grünen die ökologischen Anliegen klarer, eindeutiger und sogar vehementer vorbringen. Sie setzen aber diesbezüglich keine klaren Prioritäten mehr.

In mancherlei Hinsicht freue ich mich natürlich über den Realokurs. Zunächst einmal, weil das Erscheinungsbild viel mehr dem entspricht, was ich mir damals gewünscht und nicht bekommen habe. Heute signalisieren die Grünen, daß sie verläßliche Partner sind. Auch das visuelle Erscheinungsbild entspricht mehr den Erwartungen. Die Inhalte sind mir hingegen zum Teil zu realistisch im Sinne von „Mit an der Macht sein wollen”. Für mich sind die Grünen als Partei heute eher nur mehr eine ganz gewöhnliche Oppositionspartei.

DIE FURCHE: Wäre Ihnen so gesehen ein Peter Pilz als Parteichef lieber?

Meissner-Blau: Nein! Das will ich so auf gar keinen Fall gesagt haben oder verstanden wissen. Im Gegenteil: Peter Pilz ist intelligent, aber mir liegt der Stil von der Madeleine Petrovic mehr, weil er nachvollziehbarer ist. Peter Pilz reagiert vielmehr auf augenblickliche Situationen, etwa mit einem tollen Sager zu irgendeiner Sache, den er dann nicht unbedingt in seiner politischen Arbeit durchzieht. Das ist gar kein Vorwurf, denn in unserer medialen Gesellschaft ist das sogar eine Notwendigkeit. Pilz deckt sicher eine Sparte ab, indem er sehr geschickt, sehr kabarettistisch und sehr gekonnt reagiert und attackiert. Die konsequentere Arbeiterin ist sicher die Madeleine.

DIE FURCHE: Wo wünschen Sie sieh deutlichere Konturen grüner Politik?

Meissner-Blau: Ich wünsche mir, daß die Lebensgrundlagen meiner Enkelkinder besser gesichert werden, als das im Moment der Fall ist. Das einzige, was den Politikern einfällt, sind alte, überholte Rezepte. Es gibt keine konsequente Energiepolitik, keine Ökosteuer, keine ökologische Revolution, die notwendig wäre. Rezepte haben wir ja alle. Wir wissen ganz genau, wie eine sinnvolle Energiepolitik ausschauen müßte, eine ebensolche Verkehrs- und Industriepolitik. Aber es fehlt an Mut, das auch umzusetzen. Und was sagt man in Wien und Brüssel? „Wir haben andere Sorgen als die Umweltfragen”. Das wird sich rächen.

DIE FURCHE: Sind die Österreicher an Umweltthemen überhaupt noch interessiert?

Meissner-Blau: Diese Frage zeigt die Schizophrenie unseres Lebens. Wir haben eine rasante Zunahme bei den Allergien, den Atemwegserkrankungen und auch beim Darmkrebs. Im selben Atemzug sagen die Leute, sie interessieren sich nicht mehr für Umweltfragen.

Wir müssen die Betroffenheit der Leute viel stärker an unserer Sache festmachen. Wenn wir nur fromm vom grünen Wald sprechen, so will das kein Mensch mehr hören. Es geht nicht an, den Leuten immer nur Schuldgefühle einzuimpfen und ihnen abstrakt vorzuwerfen, die Welt gehe unter.

DIE FURCHE: Haben Sie aufgegeben?

Meissner-Blau: Nein, ich bin nur nüchterner geworden. International ist die Situation ja oft noch schlimmer als bei uns. Ich weiß nicht, was den Menschen passieren muß, damit sie sich nicht mehr alles gefallen lassen, und die Regierung oder die EU zwingen, etwas zu tun. Solange wir eine Bevölkerung haben, die immer mehr resigniert und andere Sorgen hat -etwa den Jobverlust - wird sie sicher nicht an den schönen, grünen Wald denken.

DIE FURCHE: Fehlt den Grünen nicht auch das Gefühl für das Machbare? Schätzen sie im Grunde nur die Teilhabe an der Macht realistisch ein?

Meissner-Blau: Das ist eine sehr subtile Frage. Der letzte Teil stimmt. Bei der Einschätzung der Teilhabe an der Macht ist man realistischer geworden. Der Grund dafür ist klar: Wir haben das Pferd von hinten gesattelt. Anstatt an der Basis, in den Gemeinden und Bezirken, aufzubauen, sind wir ins Parlament gegangen. Das ist ganz bestimmt nicht ideal, andererseits hatten wir damals aber keine andere Möglichkeit.

Heute fehlt der grünen Arbeit die theoretische Basis im Form einer gründlichen Orientierungshilfe: Wohin wollen wir eigentlich, und wie können wir dorthin kommen? Die ideologische Basis wurde immer nur von der Tagespolitik abgeleitet. Aber für Änderungen ist es nicht zu spät.

DIE FURCHE: Sie wünschen sich die Grünen grüner, oppositioneller, auch ökologiebewußter. Könnte Freda Meissner-Blau wieder in die Politik einsteigen?

Meissner-Blau: Nein. Mir geht es so gut, seitdem ich aus der Politik ausgestiegen bin. Ich bin sogar gebeten worden, ins EU-Parlament zu gehen. Zwanzig Minuten lang war das für mich als EU-Kritikerin eine reizvolle Überlegung. Aber dann habe ich mir gesagt: Nein, das will ich nicht. Eine Rückkehr schließe ich aus.

DIE FURCHE: Die Grünen haben einmal viel bewegt, Stichworte Hainburg, Anti-Atom-Bewegung. Und heute?

Meissner-Blau: Die Situation ist heute ganz anders. Das wird sich auch nach den Wahlen am 17. Dezember weisen. In der jetzigen Parteienlandschaft bleibt sehr vielen Leuten auch gar nichts übrig, als die Grünen zu wählen. Ich bin mir ziemlich sicher, daß sie an Stimmen zulegen werden. Zwölf Prozent sind realistisch. Deshalb war Madeleine Petrovic ja auch für Neuwahlen.

DIE FURCHE: Werden sich nicht viele Wähler fragen: Was wiegt meine Stimme für die Grünen gegen Jörg Haider?

Meissner-Blau: Das frage ich mich auch. Was ist weniger riskant? Wen muß ich stärken, um Haider zu verhindern? Mir sagen Leute, die zehn Jahre lang grün gewählt haben: Ich wähle diesmal SPÖ. Die Situation ist im Moment noch unübersichtlich.

Das Gespräch führten Uwe Schwinghammer und Martin Link im Rahmen einer Veranstaltung des Kuratoriums für Journalistenausbildung. Redaktion: Elfi Thiemer.

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