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Nach einer Stunde Autofahrt in Richtung Süden von Karlovac aus stößt man auf eine kleine Seitenstraße, die von Gräbern gesäumt ist und unverputzten, mit Einschusslöchern übersäten Häusern. Die Straße führt zum trostlosen Grenzposten zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Dahinter liegt die 45.000 Einwohner zählende bosnische Stadt Velika Kladuˇsa.

Ein vergessener Ort. 1995 war er zur Hauptstadt der international nicht anerkannten Republik Westbosnien gemacht worden, die mit der bosnischen Regierung in Sarajevo in Konflikt geraten war und sich mit serbischen und kroatischen Milizen verbündet hatte. Das ist lange her. Heute kommen täglich Dutzende Flüchtlinge nach Velika Kladuˇsa. Für sie ist der Ort eine Zwischenstation auf der sogenannten Balkanroute geworden. Von hier versuchen sie vergeblich, nach Kroatien und dann weiter nach Deutschland oder Italien zu gelangen.

Hilfe aus der Region

Nicht weit entfernt von der Stadt und den sie umgebenden Feldern ist ein Zeltlager entstanden, in dem einige der 1200 in der Gegend gestrandeten Flüchtlinge sich aufhalten. Oder jene, die von der kroatischen oder slowenischen Polizei brutal abgeschoben worden sind. Die anderen schlafen in den Wäldern, auf Parkplätzen, in verlassenen Gebäuden oder kommen bei den Einwohnern unter. Es ist die Gastfreundschaft und Solidarität der Bewohner von Velika Kladuˇsa, die den Ort so besonders macht: Restaurants bieten kostenlos Speisen und Getränke an, Supermärkte und Eisenwarenläden verkaufen zu günstigeren Preisen, Unternehmen in der Region stellen Migranten ein. Und selbst die Polizei ist laut der befragten Flüchtlinge sehr viel toleranter als in den Nachbarstaaten.

Das Restaurant "Kod Latana" im Zentrum der Stadt beispielsweise stellt zwei freie Mahlzeiten zur Verfügung. "Auch wir sind einmal geflüchtet. Die Erinnerung daran und unser menschliches Empfinden fordern von uns, zu helfen und jeden zu respektieren, besonders, wenn er in Not ist", sagt Restaurantleiter Asim. Obwohl die Stadt zu einer der traditionell ärmsten Regionen des Landes gehört, konnte sie sich in den vergangenen Jahren dank der Überweisungen von bosnischen Gastarbeitern in Slowenien, Österreich oder Nordeuropa ganz gut entwickeln.

Die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" ist in der Gegend unterwegs, Vertreter des UN-Flüchtlingskommissariats erschienen vor Kurzem, um sich einen Eindruck von der Lage zu verschaffen. Aber die meiste Unterstützung kommt von Freiwilligen wie Adis. Er ist ein Veteran des Bosnienkrieges, in Velika Kladuˇsa bekannt und beliebt. Die kleine Gruppe "SOS Ljuta Krajina Team Kladuˇsa" mit Helfern aus ganz Europa hatte innerhalb weniger Tage Duschen aufgestellt und gemeinsam mit der Stadtverwaltung Sanitäranlagen und Elektrizität auf den Feldern aufgebaut. Aus einem alten Warenhaus wurde Kleidung besorgt.

"Es ist das erste Mal, dass ich eine solche Arbeit mache, aber jemand muss es ja tun", sagt Adis, während er mit Migranten zusammen aus Holz und Plastikfolien einen Zaun aufbaut. Daneben stehen Ärzte und desinfizieren und verbinden die Verletzungen derjenigen, die auf dem Feld im Schlamm geschlafen haben. Die Wunden, die am schwersten heilen, sind jene, die bei Aufeinandertreffen mit kroatischen Polizisten entstanden sind. Auf dem Feld trifft man immer wieder Leute mit Gipsarm oder -bein, mit Brandblasen auf dem Körper von ausgedrückten Zigaretten.

Im Zeltlager in Velika Kladuˇsa sind Libyer, Algerier, Tunesier und fünf Nigerianer. Einer von ihnen ist Moses, er trägt ein großes Kreuz um den Hals. Die verschiedenen Religionen leben an diesem Ort friedlich miteinander. Es gibt viele Christen, hauptsächlich aus Pakistan und dem Iran, wie Babak, der vor Kurzem mit seiner Frau und seinen drei Kindern das Lager erreichte. "Wir haben bereits zweimal versucht, den 'Dschungel' - diesen Namen haben die Flüchtlinge dem Wald an der Grenze zwischen Bosnien und Kroatien gegeben -hinter uns zu lassen. Aber sie haben uns immer zurückgewiesen. Wir würden gerne nach Deutschland", sagt er.

Petra, eine 26-jährige Österreicherin, die seit drei Jahren in ihren Semesterferien Flüchtlingen hilft, geht von Zelt zu Zelt und notiert in einer Liste Dinge, die die Menschen brauchen: Handtücher, Bettwäsche, Matratzen, aber vor allem gute Schuhe, um durch den Wald und über die Wiesen fliehen zu können.

Manchmal kommen Autos und bringen Essen und Kleidung. Die Kinder und Erwachsenen teilen die Dinge unter sich auf. "Ich habe in meinem Leben keine besseren Menschen kennengelernt", sagt Javed aus Afghanistan, der Politikwissenschaften studiert und bei einer internationalen Organisation in Schweden gearbeitet hat. Sein Visum lief ab, er musste nach Afghanistan. Während er seit Monaten versucht, wieder nach Schweden zurückzukehren, hilft er im Lager. Gründe dafür, sein Heimatland zu verlassen, haben die Menschen hier viele verschiedene. Omran verlor seine Eltern in Mossul, Aaresh verließ das iranische Kurdistan aus politischen Gründen, sagt er.

Fischen oder fliehen

In dem Zeltlager von Velika Kladuˇsa bricht die Nacht herein. Während in der Stadt der Muezzin zum Gebet ruft, sammeln Adis und die anderen Freiwilligen ihre Sachen ein. In der Mitte des Lagers weht eine bosnische Fahne, der Gemeindeangestellte, der den Stromgenerator am Lagereingang bewacht, setzt sich auf seinen Roller und fährt zurück in die Stadt. Jungs aus Pakistan haben sich eine Angel gebaut, um im schlammigen Fluss Fische fangen. Slimane sucht nach einem größeren Rucksack: "Wir versuchen es diese Nacht wieder, wir sind jetzt zu fünft." Velika Kladuˇsa mit seiner Burg und den Minaretten zu verlassen und nach Kroatien zurückzufahren, ist so einfach, wie in die Stadt zu kommen. Man braucht nur einen europäischen Pass.

Station Lager

Das Lager von Velika Kladuˇsa ist die letzte Station vor der bosnisch-kroatischen Grenze. Wer es bis hierher geschafft hat, dem steht das Schwierigste bevor. Denn die kroatischen Grenzpolizisten sind nicht zimperlich in der Wahl ihrer Mittel.

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