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Die Weichen noch nicht gestellt

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Mit der Landtagswahl am 22. März 1964 hat im politischen Leben des Burgenlandes eine Ubergangsperiode begonnen, deren personalpolitische Unsicherheit und Unruhe sich nicht nur auf die beiden Koalitionsparteien, sondern auf die gesamte Landespolitik auswirken wird. Im Augenblick kann man aus diesem Grunde noch keinen Fahrplan auf lange Sicht festlegen. Die Lösung verschiedener Landesprobleme ist jetzt noch komplizierter geworden. Die neue sozialistische Mehrheit hat mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen, als man dies ursprünglich angenommen hat. Der Wahlausgang hatte zwar für Österreich das 3. sozialistisch verwaltete Bundesland im Gefolge, aber landespolitisch wird die angelaufene Landtagsperiode wahrscheinlich kaum grundlegende Änderungen bringen. Wenn auch die SPÖ die entscheidenden Machtpositionen in der Legislative und in der Verwaltung übernommen hat, so wird sie sich doch auch, wie 20 Jahre hindurch die ÖVP, damit abfinden müssen, daß Machtzuwachs

noch keine Alleinherrschaft bedeutet, die ihr gestatten würde, ausschließlich die eigenen Vorstellungen und personalpolitischen Ansprüche durchzusetzen. Machtzuwachs verlangt in der gegenwärtigen politischen Situation zugleich neue Machtverteilung und .Mac^ht-streuumg. ““

Manche Funktionäre der SPÖ auf mittlerer und unterer Ebene haben gemeint, die Mehrheit im Landtag gebe der Partei das Recht und auch die Machtmittel in die Hand, dem 2. Koalitionspartner ein Diktat aufzuzwingen und mit ihm ultimativ verhandeln zu können. Sie manövrierten damit den Parteivorstand in eine Situation hinein, die für die eigene Partei und nicht nur für die ÖVP keine günstige Ausgangsbasis für weitere Verhandlungen wurde. Einsicht und Vernunft haben die SPÖ veranlaßt, das Ultimatum zurückzunehmen, geduldig weiter zu verhandeln und das Schicksal hinzunehmen, das die ÖVP als stärkste Partei mehrere Perioden hindurch mit Würde getragen hat, ohne den anderen Partner zum Befehlsemp-

fänger zu machen, der sich mit ultimativen Forderungen abfindet.

Zurücknahme des Ultimatums

In diesem Zusammenhang hat auch der große alte Mann der SPÖ, Landeshauptmannstellvertreter Bögl, einen Prestigeverlust erlitten, zumal die Öffentlichkeit in dieser., Frage den Standpunkt der Volkspartei billigt. Ein Wahlsieg mit dem Vorsprung eines Mandates, wenn auch optisch eindrucksvoll, kann eine solche Verhandlungsführung nicht rechtfertigen. Durch die Zurücknahme des Ultimatums seitens der SPÖ und durch die Bereitschaft der ÖVP, die Regierungsverhandlungen beschleunigt fortzusetzen, wurde ein Herd der politischen Unsicherheit beseitigt. Freilich sind noch lange nicht alle Hürden zur Bildung der neuen Landesregierung genommen. Es gibt allerdings Kreise in der SPÖ, die des Verhandeins überdrüssig, weil der andere Partner nicht sogleich fügsam wurde, die FPÖ ins Spiel bringen möchten, zumindestens bei der Wahl des Landeshauptmannes. Schon im Wahlkampf hatte Na-

tionalrat Robak angedeutet, daß die SPÖ mit einer häßlichen und dicken Partnerin in einer Koalitionsehe leben muß und sich daher eventuell eine schönere suchen könnte.

Allerdings haben Kreise, die mit der FPÖ liebäugeln und mit ihr die große Koalition zu Grabe tragen wollen, in der burgenländischen SPÖ derzeit kaum den nötigen Einfluß, der auch ausreichen würde, solche Absichten im Parteivorstand durchzusetzen. Angespornt durch die Mehrheit, die nunmehr die SPÖ im Landesschulrat besitzt, versucht man die Personalfragen auf dem Schulsektor aus der Landesregierung in den Landesschulrat zu verlegen, obwohl sich die beiden Koalitionspartner vor der Landtagswahl bei der Schaffung des Durchführungsgesetzes zum neuen Schulgesetz anders entschieden haben. In dieser Frage werden die Verhandlungen hart geführt. Die SPÖ sucht den Partner damit unter Druck zu setzen, daß sie unter Umständen die Wahl des Landeshauptmannes mit Hilfe der FPÖ zustande bringen könnte. Im Fall eines solchen Vorgehens würde die ÖVP die Sitzungen der Landesregierung boykottieren. Sie würde damit Landeshauptmann Bögl vor eine peinliche Situation stellen.

Die Unruhe bleibt

Die Regierungsbildung würde zwar die herrschende politische Unsicherheit im Lande aus der Welt schaffen, aber nicht die Unruhe, die der Generationswechsel und die Kämpfe um die Neuverteilung der Macht in den Führungsspitzen innerhalb der beiden Koaiitionspar-teien mit sich bringen. Aus taktischen Gründen wird man sich nach der Regierungsbildung bemühen, bei den innerparteilichen Richtungskämpfen eine Kampfpause durchzusetzen; um so mehr werden über kurz oder lang die ungelösten Machtfragen mit explosiver Kraft an die Oberfläche des Parteilebens dringen.

Eine Periode von Ausscheidungsund Nachfolgekämpfen, deren Intensität, Dauer und Begleiterscheinungen noch nicht abzusehen sind, steht in beiden Parteien bevor. Diese Entwicklung ist unvermeidbar und für das politische Lebeh jdes Burgenlandes von größter Tragweite. Die Generationsfrage, die geistige Konzeption und der Weg beider Regierungsparteien in die Zukunft — alles Fragen, die mehr oder weniger offen und ungeklärt sind — bringen Unruhe in das Parteileben und erfordern mehr Zeit für Machtkämpfe als konstruktive Politik und Parteiarbeit.

An einem Wendepunkt

Diese Machtkämpfe haben im gegenwärtigen Augenblick neben dem Ausleseprozeß auch die Funktion der ideologischen Klärung der Marschrichtung für das 3. Jahrzehnt der Zweiten Republik.

Sowohl die ÖVP als auch die SPÖ stehen ideologisch an einem Wendepunkt. Nur einen Schritt weiter in den bisher erfolgten Zuge-

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