Die Wurzeln des Tschetschenienkonfliktes

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Blutige Kriege, Um- und Aussiedlungen - seit 450 Jahren streiten Russen im Kaukasus.

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Blutige Kriege, Um- und Aussiedlungen - seit 450 Jahren streiten Russen im Kaukasus.

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Die Wurzeln des Konfliktes um Tschetschenien reichen 450 Jahre zurück. Seit Iwan IV., dem Schrecklichen, waren Rußlands Zaren bestrebt, ihr Reich nach Osten und Süden auszudehnen. Dabei stießen sie an der Schwelle zum Kaukasus auf rund 140 Bergvölker, die sich durch die Jahrhunderte dem russischen Zugriff in blutigen Aufständen widersetzten, aber auch in ständigen Kämpfen gegeneinander ihre Kräfte verbrauchten.

Als 1917/18 nach der Oktoberrevolution das Zarenreich zerbrach, als Lenin den Nationalitäten die Unabhängigkeit zusicherte (in der Hoffnung, sie würden sich der bolschewistischen Revolution anschließen) und sich südlich des Kaukasus neue Staaten - Armenien, Georgien, Aserbaidschan - bildeten, schlossen sich auch die Völker des Nordkaukasus zur Kaukasischen Bergrepublik zusammen. Sie bestand nur ein Jahr, wurde dann von der Roten Armee überrannt, die zunächst die Sozialistische Sowjetische Berg-Republik mit der Hauptstadt Wladikawkas, dem späteren Ordschonikidse, konstituierten. Sie reichte von der Grenze zu Dagestan bis zum Kuban-Schwarzmeergebiet und wurde im Norden vom Terekgebiet, im Süden vom Hochkaukasus begrenzt: 73.000 Quadratkilometer mit 800.000 Einwohnern. Aber schon 1921, noch kein Jahr nach der Proklamation, begann die Aufteilung.

Als die Widerstände gegen die Kollektivierung der Landwirtschaft aufflammten, wurden die nationalen Eliten - vor allem der Tschetschenen - vom NKWD (ein Vorgänger des KGB) liquidiert. Immer wieder kam es zu Aufständen, immer wieder zu neuen Teilungen und Verteilungen der Siedlungsgebiete der Kaukasier. "Autonome Gebiete" (innerhalb der Russisch Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik) schlossen Nationalitäten zusammen, die miteinander im Konflikt standen: Tschetschenen und Inguschen, Karatschaier und Tscherkessen, Kabardiner und Balkaren. Das Gebiet der Osseten wurde 1924 zwischen Rußland und Georgien aufgeteilt. Auch die jenseits des Kaukasus heute virulenten Konflikte um Nachitschewan und Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan gehen auf diese sowjetische Politik des "divide et impera" zurück.

Schon Anfang der dreißiger Jahre versuchte Josef Stalin durch Zwangsumsiedlungen ganzer Stämme den Widerstand zu brechen. Als dann 1942 deutsche Gebirgstruppen bis zum Hochkaukasus vorstießen und mit den Bewohnern ein halbwegs gutes Einvernehmen fanden, hatte Stalin seinen Vorwand, nach dem Rückzug der Deutschen fünf Kaukasusvölker geschlossen nach Sibirien und Kasachstan um- und statt ihrer Ukrainer und Russen anzusiedeln. 1956 stellte ein Untersuchungsbericht fest, daß unter Stalin 2,5 Millionen Menschen "umgesiedelt" worden waren, darunter mehr als 400.00 Tschetschenen und Inguschen, gegen 100.000 Karatschaier und Balkaren. 40 Prozent von ihnen waren Kinder unter 16 Jahren.

1957 holte Nikita Chruschtschow die Kaukasier wieder in ihre Heimatgebiete zurück. Kaum aber hatte Michail Gorbatschow mit dem Begriff der Perestrojka ein Signal gegeben, als auch die Kaukasusvölker sich auf ihre Eigenständigkeit beriefen und die Freiheit forderten. Mit dem tschetschenischen Sowjetgeneral Dschochar Dudajew fanden sie auch einen geschulten Anführer. Ein Ende der Konflikte ist nicht abzusehen.

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