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DieKontroverse um Goldhagen

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Wenn über ein Buch ein weltweiter Streit ausbricht, der sich über Monate hinzieht, ist das schon etwas Besonderes. Daniel Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker” (siehe FURCHK44/1996) ist eine solche Ausnahmeerscheinung. War hier nun ein Wissenschaftler am Werk, der als Polarisierer neue Perspektiven für die Betrachtung der Shoa öffnete? Spiegelt der Streit um das Buch einen Mangel an Diskussionskultur - oder das glatte Gegenteil wider? Goldhagen hatte unter anderem nachzuweisen versucht, daß der „eliminatorische Antisemitismus” von einem Großteil der Deutschen mitgetragen, ja befürwortet worden sei und so eine Voraussetzung für den Massenmord schuf. Das Pro und Kontra über diese Thesen äußerte sich zum Teil lautstark und emotional und provozierte weitere Stellungnahmen, die nun Julius H. Schoeps gesammelt und herausgegeben hat. Der Fall Gold hagen wurde zu Musterbeispiel i nes wissenscha liehen Streits, in dem sachliche Argumente, Emotionen, Vorurteile und Karriereinteressen zum Teil kaum mehr aufzulösende Mischungen eingehen. Der junge Wissenschaftler von der Harvard University hat seine Thesen eindringlich, zuweilen anmaßend und in einer die Wiederholung zum Stilprinzip erhebenden Weise vorgetragen. Dies beeindruckte viele, wie eine lange Reihe von Kritiken belegt. Etwa Richard Bernstein von der „New York Times”, der schrieb: „Doch obwohl Goldhagens Forschungsergebnisse noch einige Schwachstellen aufweisen, machen die Fülle seines Materials und seine bestechende Logik sie vergessen.”

Omar Bartov von der Butgers University, New Jersey, weist Goldhagens Anspruch auf Originalität seiner radikalen Sicht zurück, indem er sie als Neuauflage der alten Diskussion über den „deutschen Sonderweg” klassifiziert, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg eine Linie von Luther zu Hitler ziehen wollte. Volker Ulrich („Die Zeit”) hingegen räumt ein, daß Goldhagens Radikalität immerhin zum Überdenken bisheriger Sichtweisen zwinge. Peter Glotz (Universität München) stuft die Schlußfolgerungen Goldhagens als „teils richtig, aber bekannt, teils richtig, aber überzogen, teils auch falsch” ein, „doch der Band lohnt die Lektüre”. Frank Ebbinghaus bewertet Goldhagens Thesen als Auferstehung einer „wissenschaftsgeschichtlichen Leiche” und sieht darin die Kollektivschuld neu belebt. ,

Differenzierter klingt die Aussage des Wiener Historikers Walter Ma-noschek, der Antisemitismus sei jahrhundertelang ein integraler Teil der politischen Kultur gewesen und auf diese Weise eine „notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Holocaust” geworden.

Ein Kritikpunkt, der sich durch viele Aufsätze und Repliken zieht, ist der Vorwurf der „germanozentrischen Sicht” (Michael Wolfssohn, Universität der Bundeswehr München). Es fehlt der Vergleich mit den Zuständen in den Nachbarländern Rußland, Polen oder Frankreich, meint Gordon A. Craig (Stanford University). Mit den strukturellen Bedingungen der Holocaust-Forschung in einer Mediengesellschaft setzt sich Gulie Ne'eman Arad von der Universität Tel Aviv auseinander: „Da das Konventionelle als Fluch und das Originelle als Segen betrachtet wird, liegt im Versprechen einer Innovation der Schlüssel zum Wachrütteln unserer Trägheit.”

Ulrich Herbert (Universität Frei-burg) bringt die Interessenlage der Kritiker ins Spiel. Der erbitterte Widerstand gegen Goldhagen weise auch auf Versäumnisse der Forschung hin: Über der Frage, ob Hitler oder die Strukturen ausschlaggebend waren, sei die Frage nach der Mentalität und der Motivation vergessen worden. Trotz mancher Kritik sieht auch Ingrid Gilcher-Hol-tey (Universität Bielefeld) Goldhagens Herausforderung darin, daß er versuche, Erklärungen zu liefern, warum das Morden auch über den Zusammenbruch des Nationalsozialismus hinausging: Ein Motiv der Täter könne „in einer verinnerlichten Struktur von Verhaltens- und Handlungsdispositionen” des eliminatori-schen Antisemitismus liegen. (Wahrlich eine schöne wissenschaftliche Umschreibung der Tatsache, daß das Morden auch im Zusammenbruch des Dritten Reiches noch weiterging.) „Das Buch selbst, brillant, aufrüttelnd und fragwürdig zugleich ... mitsamt seiner interpretativen Originalität und seinen logischen Defekten, seiner großartigen Forschungsleistung und seinem eifernden Ton” verdiene „eine harte Diskussion” , schreibt Josef Joffe (Harvard).

Die ist nicht nur nicht zu Ende, vielmehr gab ihr der New Yorker Palästina-Spezialist Norman Finkel-stein eine neue Dimension. In einem Aufsatz, dessen Abdruck mehrere amerikanische Fachzeitschriften ablehnten, der kürzlich in London erschien und im „Spiegel” vom 18. August 1997 auszugsweise abgedruckt wurde, weist er Goldhagen eine Fülle von Widersprüchen sowie die Manipulation von Quellen und „wissenschaftliche Betrugsmanöver” vor, etwa Kürzung von Zitaten, die deren Inhalt ins Gegenteil verkehrten. Damit ist eine neue Qualität der Gold-hagen-Kritik eingeläutet.

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