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Wir leben in einer Welt abnehmender Gewalt. Warum halten die meisten diese Bemerkung für verrückt? Vielleicht wird die Welt auch deswegen als gewalttätiger wahrgenommen, weil charismatische Friedensgestalten wie Gandhi oder Martin Luther King fehlen.

Am 15. Jänner wäre Martin Luther King 75 Jahre alt geworden. Den Geburtstag als Ausgangspunkt, fragt das Dossier nach der Relevanz gewaltfreier Methoden - mehr als 35 Jahre nach der Ermordung des Bürgerrechtlers: Hat ein gegenwärtiges Welt-Gefühl der Gewalttätigkeit damit zu tun, dass charismatische Führer wie Martin Luther King fehlen? (Seite 21). Dazu Erinnerung an vergangene und gegenwärtige Vorkämpfer der Gewaltfreiheit (Seite 22, 23), sowie ein Blick auf Ansätze und Initiativen in Österreich heute (Seite 24). Redaktion: Otto Friedrich

Wir leben in einer Welt abnehmender Gewalt. Bevor Sie heftig widersprechen und sofort an die Kriege der letzten Jahre und Jahrzehnte und an die vielen anderen Grausamkeiten wie Kindesmissbrauch und Folter erinnern, möchte ich Sie bitten, sich auf meine Beobachtung einzulassen. Ich behaupte nämlich nicht, dass wir in einer Welt ohne Gewalt leben. Ich meine nur, dass in vielen Bereichen unseres Lebens die Gewalt abnimmt. Wir Menschen sind bestrebt und offensichtlich auch dazu fähig, uns weiterzuentwickeln. Die Zivilisierung des Menschen schreitet voran.

Gute Nachricht Gewalt

Warum diese Behauptung die meisten Leser für verrückt halten werden, ist einfach zu erklären: Die Medien berichten über Krieg und Zerstörung. Das ist so, seit es Kriegsberichterstattung gibt. Hier hat sich seit der Antike nicht viel verändert, im Mittelpunkt standen und stehen die Schlachten, heißen die Anführer nun Cäsar, Napoleon, Bush oder Saddam Hussein. Und auch wenn wir es nicht zugeben wollen, diese "großen Männer" üben eine starke Faszination aus, wie sonst ist es zu erklären, dass wir im Lateinunterricht Cäsars Gallischen Krieg lesen (mussten), die größte internationale Fernsehproduktion vor einem Jahr dem Leben Napoleons gewidmet war und George W. Bush 2003 die Fernsehberichterstattung dominierte.

Über die andere Seite wurde und wird bis heute nicht viel berichtet. Ein Menschenleben zu retten ist für die Medien (mit wenigen Ausnahmen) weniger berichtenswert als hunderte oder tausende Menschenleben zu vernichten. Sicher, das ist keine bemerkenswert neue Erkenntnis! So funktioniert nun einmal das die Berichterstattung dominierende Fernsehen: "Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten". Kein Wunder also, wenn wir bei der zunehmenden Gewalt-Berichterstattung den Eindruck bekommen, auch die Gewalt würde zunehmen.

Aber nicht nur das Fernsehen ist auf die Wahrnehmung von Gewalt fixiert. Das Nobelpreiskomitee in Oslo hatte seit 1901 immer wieder das Problem, keinen Kandidaten für den Friedensnobelpreis zu finden. Obwohl sich im 20. Jahrhundert immer Menschen für den Frieden eingesetzt haben, wurde der Friedensnobelpreis neuzehnmal nicht vergeben. Dies trifft vor allem für die Zeit des Ersten und Zweiten Weltkrieges zu. Jeweils ein Jahr vor Ende des Krieges ging der Friedensnobelpreis 1917 und 1944 an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Alle anderen Zeichen von Menschlichkeit wurden in Zeiten des Krieges vom Nobelkomitee nicht beachtet.

Wer gedenkt der Lebenden?

Wie sehr die geringe Achtung von Menschlichkeit und der Rettung von Leben auch nach Beendigung des Krieges anhält, zeigt ein anderes Beispiel. Am 27. Januar wird wieder an die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau gedacht. Anfang Mai werden die Gedenkveranstaltungen in der Gedenkstätte Mauthausen und ihren Nebenlagern folgen. Trotz der Erinnerung an die Befreiung der Lager und die Rettung der wenigen Überlebenden steht der Tod im Mittelpunkt. Die Holocaust-Gedenkstätten in Europa werden von den Toten bestimmt. Dass dies nicht so sein muss, zeigt der Staat Israel.

"In Dankbarkeit. Das jüdische Volk. Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt." So lautet der Text auf der Medaille zur Auszeichnung als "Gerechter unter den Völkern". Yad Vashem hat über 8.000 Nichtjuden, die während des Nationalsozialismus ihr Leben für die Rettung von Juden riskierten, in dieser Form ausgezeichnet. Das ist einmalig. Mir ist außer Israel kein Staat bekannt, der eine der höchsten Auszeichnungen ausschließlich an Retter von Leben vergibt. Hier wird nicht die Tapferkeit vor dem Feind, sondern der Respekt vor dem Leben ausgezeichnet.

Yad Vashem ist die nationale Gedenkstätte in Israel zur Erinnerung an Verfolgung und Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten. Wörtlich heißt Yad Vashem "Denkmal und Name" und geht zurück auf einen Satz des Propheten Jesaja 56,5: "Ihnen allen errichte ich in meinem Haus und in meinen Mauern ein Denkmal, ich gebe ihnen einen Namen, der mehr wert ist als Söhne und Töchter: Einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der niemals getilgt wird." Neben den Denkmälern für die ermordeten Juden und die vernichteten Gemeinden sind es jedoch die seit Mai 1962 gepflanzten Bäume der Allee der Gerechten, die Yad Vashem prägen. Wieder ist mir kein anderer Staat bekannt, der Ausländer in dieser Form in der nationalen Gedenkstätte ehrt. Und Bäume leben. Für einen Mitteleuropäer wirkt es wie ein Wunder, dass aus der trockenen Erde dieses Leben gedeihen kann.

Der uninteressante Friede

Israel ein positives Beispiel? Laut einer Umfrage ist für die Europäer Israel noch vor dem Iran und Nordkorea die größte Gefahr für den Weltfrieden. Über den Konflikt zwischen Juden und Palästinensern wird aber auch täglich, über den Iran manchmal und über Nordkorea fast nicht berichtet. Nicht anders funktioniert Werbung: Im Bewusstsein ist nur, was wir täglich sehen und hören. "Das Gute" und "das Böse" wird nur anerkannt oder verurteilt, wenn es uns groß vorgeführt wird. Entweder jeden Tag im Fernsehen, oder in einem Hollywood-Film mit Star-Besetzung.

Meiner Meinung nach wird die Welt jedoch noch aus einem anderen Grund gewalttätiger wahrgenommen, als sie ist. Es gibt keinen Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Mutter Teresa mehr. Vielleicht ist das Fehlen dieser großen charismatischen Figuren auch der Grund, warum der lächelnde 14. Dalai Lama und der kranke Papst so populär sind? Das Friedensnobelpreis-Komitee tut sich deshalb auch so schwer, jedes Jahr einen würdigen und möglichst auch bekannten Kandidaten zu finden.

In unserer Welt gibt es heute weniger Gewalt als zur Zeit Gandhis und Kings. Nicht nur in Indien und den USA gibt es mehr Verständigung und weniger Gewalt. Es fällt uns nur weniger auf, weil wir den Frieden nur als Sensation wahrnehmen können oder wollen. Das Alltägliche ist nicht interessant genug.

Der Autor, Politologe , ist Gründer und Leiter des Vereins "Dienste im Ausland", der Zivildiener zu Gedenk- und Friedensdienstprojekten im Ausland entsendet.

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