7108056-1995_40_01.jpg
Digital In Arbeit

Dieser „Friede” darf uns nicht freuen!

19451960198020002020

Kein Anlaß für Optimismus, sollte die New Yorker Rahmenvereinbarung für die künftige Polit-Ord-nung in Bosnien-Herzegowina Grundlage des Friedens sein.

19451960198020002020

Kein Anlaß für Optimismus, sollte die New Yorker Rahmenvereinbarung für die künftige Polit-Ord-nung in Bosnien-Herzegowina Grundlage des Friedens sein.

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn diese Rahmenvereinbarung hingegen lediglich als Werkzeug dienen soll, um den Weg zum Waffenstillstand freizulegen, dann mag Anlaß für einen, wenn auch sehr gedämpften, Optimismus bestehen. Die Tatsache, daß „Einigkeit” über das Dokument erzielt wurde, soll nicht darüber hinwegtäuschen; daß sehr unterschiedliche Interessen der Bosnier, der Kroaten und der Serben darin berücksichtigt werden.

Die Serben scheinen am besten wegzukommen. Es ist für sie heute kein reales Problem, die „Einheit Bosnien-Herzegowinas” anzuerkennen. Das ausgehandelte Dokument bestätigt ja die Existenz der „Re-publika Srpska” innerhalb dieses international anerkannten Staates - dafür haben die bos- nischen Serben diesen international als „verbrecherisch” eingestuften Krieg geführt. Auch das Recht auf „Sonderbeziehungen mit Nachbarstaaten” ist vorgesehen. Das bedeutet in der Realität von morgen ein „Groß-Serbien”. Dafür hat Milosevic in Belgrad den Krieg angezettelt.

Entsprechend wird die sogenannte „bosnisch-kroatische Föderation” innerhalb Bosnien-Herzegowinas anerkannt, ebenfalls mit dem Recht auf „Sonderbeziehungen”, das heißt de facto den Anschluß „Herceg-Bosnas” an Kroatien. Das kommt dem Traum Tudj-mans, in die Geschichte einzugehen als der Herrscher, der das kroatische Volk „befreite” und das mittelalterliche Groß-Kroatien wieder erstehen ließ, sehr nahe. Mit dieser Vision gewann er 1990 seinen Wahlkampf. Und mit diesem Konzept „säubert sich” Kroatien langsam aber sicher von „Ausländern”, sprich Serben und moslemischen Bosniern.

49 Prozent soll die eine, 51 Prozent die andere dieser beiden Seiten vom Gesamtterritorium Bosnien-Herzegowinas erhalten. Zum Beispiel soll es „freie und demokratische Wahlen” geben, die über die

Zusammensetzung der zwei Regierungen entscheiden. Solche Wahlen sind in einem kriegszerrütteten Land eine Illusion, besonders dann, wenn die etwa zwei Millionen Flüchtlinge nicht wahlberechtigt sein sollten.

Die Bosnier sind danach de facto keine Bosnier mehr, sondern fein säuberlich aufgeteilt in serbisch-orthodoxe Serben, kroatische Kroaten und Moslems. Wobei der tatsächliche „Lebensraum” für letztere nur innerhalb der „bosnisch-kroatischen Föderation” vorgesehen ist. Damit wird zementiert, daß die Bosnier, die keinen Krieg wollen, deren Heimat ganz Bosnien-Herzegowina war und deshalb keinen Anlaß für einen Krieg hatten, die die Opfer der nationalistischen Aggressionen und Großmachtambitionen der Serben und der Kroaten wurden, nun in eine ausweglose Situation, in einen „islamischen Staat” gedrängt werden. Daß sie für eine multikulturelle, multiethnische, multikonfessionelle Gesellschaft kämpften und noch heute kämpfen, und daß buchstäblieh jede Familie in diesem Sinne „gemischt” ist, hat die westlichen Politiker und Diplomaten bisher nicht interessiert. Sie sind heute von zwei Interessen beflügelt: das Thema Bosnien-Herzegowina vor Beginn des amerikanischen Wahlkampfes „vom Tisch” zu haben und das angeschlagene Image von EU und UNO aufzupolieren. Wäre es nicht so, hätte eine militärische Intervention der NATO, hätte ein politisches Konzept, das nicht „ethnische Säuberung” als „Realität” akzeptierte, sondern das Prinzip, daß Grenzen nicht durch Gewalt verändert und Minderheiten in jeder Hinsicht respektiert werden müssen, verfolgt, unendlich viel Leiden und Zerstörung verhindern können.

Vielleicht kann ein Waffenstillstand in eine innere politische Änderung in Serbien münden, denn erstens ist Belgrad nun einmal das Zentrum der politischen Entscheidungen in diesem Raum und zweitens ist die Unzufriedenheit mit Milosevic von nationalistischer wie von liberaler Seite immer lauter geworden. Nur ohne Milosevic aber kann ein Frieden einem Frieden ähnlich werden.

Ceterum censeo: Wenn es innerhalb Bosnien-Herzegowinas zwei „Staaten” geben darf, warum sollte dann Kosovo nicht als Republik innerhalb Serbiens anerkannt werden? Diese Republik wurde nach „freien und demokratischen” Wahlen bereits am 7. September 1990 ausgerufen - und nicht mit Gewalt geschaffen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung