6713974-1964_34_01.jpg
Digital In Arbeit

Diplomatie ohne Degen

Werbung
Werbung
Werbung

Österreich blickt mit Stolz auf eine jahrhundertealte Tradition seiner Diplomatie, die in vielfältiger Weise trotz der großen Erschütterungen unserer Zeiten bis auf den heutigen Tag fühlbar ist. Etwas von dieser altehrwürdigen Tradition der geheimnisumwitterten Diplomatie empfindet wohl jeder Bürger unseres Landes, der die barocken Pforten des Ballhausplatzes überschreitet, in dem das Herz des österreichischen auswärtigen Dienstes schlägt.

Die Männer, die in diesem Haus arbeiten, sind zwar theoretisch Beamte wie in den übrigen Ministerien, sie stellen aber tatsächlich einen ganz anderen Typus Mensch dar, als ihn der Begriff Beamter im herkömmlichen Sinn umfaßt: Auch in der Meinung des Volkes sind die Diplomaten eine besondere Spezies Mensch, eine eigene in der „großen Welt“ beheimatete Gesellschaftsschicht, die in ihrer sozialen Stellung der Klischeevorstellung von der Aristokratie von gestern gleichkommt.

Nirgendwo in unserem Gesellschaftsleben haben sich jene aristokratischen Formen, jene weltmännische Gelassenheit und Bescheidenheit so hartnäckig erhalten wie im Kreise der Diplomaten. Ein Zeichen für das Fortdauern dieses aristokratischen Lebensideals ist das kollegiale Du, dessen sich die österreichischen Diplomaten vom rang- niedrigsten bis zum ranghöchsten in ihrem Verkehr untereinander gerne bedienen.

In der Ära Gruber und Figl wurde das Außenministerium konsequent als Domäne der Volkspartei ausgebaut. Erst dem damaligen Staatssekretär Kreisky gelang es, auch eine gewisse — eher bescheidene — Anzahl von Sozialisten unterzubringen. Sein Vorschlag, die Dienstposten im Außenministerium nicht nach Prinzipien der Protektion, sondern nach einer Auswahlprüfung — dem sogenannten Examen prėalable — zu besetzen, erleichterte es jungen Sozialisten, auch die diplomatische Karriere zu ergreifen. In der Folge bewirkte dieses Examen prėalable, daß auch Kandidaten ohne eindeutiges parteipolitisches Bekenntnis auf Grund ihrer Fähigkeiten Zutritt zum diplomatischen Dienst erlangten. Das Außenministerium ist heute wohl das einzige Bundesminsterium, das die Besetzung seiner Posten nach freier Ausschreibung vornimmt.

Soll mit diesen Worten gesagt werden, daß in unserem Außenministerium sozusagen sowieso alles zum besten steht? Keineswegs: der vornehme, vom Glanz der Jahrhunderte umwobene Anstrich dieses Hauses verdeckt in der Tat eine

Fülle von Unzulänglichkeiten, unter denen nicht nur die österreichische Diplomatie, sondern letztlich auch unser Staat zu leiden hat.

In sträflicher Mißachtung der Bedeutung des Außendienstes für unser kleines Land erhält der Ballhausplatz aus dem jährlichen Bundesbudget jeweils nur eine äußerst bescheiden bemessene Summe, die ungefähr dem Defizit der Wiener Theater entspricht Eine Folge dieses finanziellen Notstandes ist es, daß Österreich mit einem lächerlich kleinen Stab von Diplomaten zu arbeiten hat, der nicht einmal numerisch ausreichen würde, um diplomatische Vertreter in alle jene Länder zu entsenden, die Österreich anerkannt hat. Zu den neuentstandenen Staaten Afrikas und Asiens unterhält unser Land daher praktisch auch keine echten diplomatischen Beziehungen: In ganz Afrika bestehen zur Zeit nur vier österreichische Missionen (Ägypten, Marokko, Nigeria und Südafrika!) während in allen übrigen 26 Staaten Österreich de facto diplomatisch nicht existiert, sondern nur durch einen weit entfernt residierenden „mitakkreditierten“ Missionschef vertreten wird. Ähnlich sind die Verhältnisse in Asien, wo nur neun Botschaften (Afghanistan, Indien, Indonesien, Iran, Japan, Libanon, Pakistan, Thailand, Türkei) für Österreich werben, während mit 14 weiteren von uns anerkannten Staaten nur formale Kontakte bestehen. Auch Lateinamerika kann vom Ballhausplatz nur sehr stiefmütterlich bedacht werden: fünf Botschafter (in Argentinien, Brasilien, Chile, Mexiko und Kolumbien) sind für diesen Kontinent, in welchem Österreich noch 14 andere Staaten anerkannt hat, zuwenig.

In Europa und Nordamerika sieht die Sache besser aus. Dort ist Österreich in fast allen Staaten vertreten, wenn auch jeweils nur mit einem Diplomatenstab — meistens nur ein Missionschef mit einem Zugeteilten, manchmal auch nur durch eine Einmannbotschaft —, der vielleicht einem kleinen Inselstaat, keineswegs aber einem mitteleuropäischen Kernland anstehen würde!

Erst ein Vergleich unserer Aufwendungen mit jenen von Ländern ungefähr gleicher Größenordnung wie die Schweiz, Schweden oder Jugoslawien macht die krasse Unterbewertung unseres auswärtigen Dienstes augenfällig. Die Schweizer bauen ihr Netz von Vertretungsbehörden in den überseeischen Gebieten planmäßig aus, die Jugoslawen sind praktisch bereits in allen diesen Ländern vertreten, und für Schweden arbeiten ungefähr dreimal so viele Diplomaten als für Österreich.

Ein kurzer Blick in den österreichischen Amtskalender belehrt uns über die Situation im Außenministerium selbst. Das Herz jedes Außenministeriums ist seine politische Sektion, die bei uns im wesentlichen in eine Abteilung für die westliche und eine für die östliche Welt geteilt ist Die gesamte westliche Welt, das heißt Westeuropa bis zum Eisernen Vorhang, Nord- und Süamerika und Afrika, muß von zwei Beamten „wahrgenommen“ werden. Die östliche Hemisphäre wird zur Zeit von drei Beamten bearbeitet! Die Freunde Südtirols dürfen frohlocken: Die Südtirol- abteilung beschäftigt zwei Beamte, womit bewiesen ist, daß uns das

Land an Etsch und Eisack zumindest soviel bedeutet wie die gesamte westliche Welt!

Drei Beamte also für die östliche Welt leistet sich das neutrale Österreich am Rande des Eisernen Vorhangs! Ihnen soll das Studium der Vorgänge in unseren kommunistischen Nachbarländern, in der gärenden Welt Asiens und den unruhigen arabischen Ländern obliegen! Wir fragen uns wohl mit Recht, wie sich Österreich in seiner besonderen Lage den Luxus leisten kann, zwar laut vernehmliche Bekenntnisse zu einer politischen Aufgabe im Donauraum abzugeben und gleichzeitig an der entscheidenden Stelle ein fatales Desinteresse an Osteuropa zu bekunden.

Eine ernste Auseinandersetzung mit der östlich-slawischen Welt, die für Österreich von Tag zu Tag wichtiger wird, kann auf diese Weise sicher nioht erfolgen. Während zum Beispiel die Österreichreferenten im tschechischen Außenministerium täglich die österreichische Presse aufmerksamst verfolgen, zirkuliert angeblich in der politischen Sektion des Ballhausplatzes überhaupt keine einzige Zeitung östlicher Provenienz!

Dieser Zustand ist keineswegs rein zufällig, sondern vielmehr die logische Konsequenz eines organisatorischen und personalpolitischen Systems, das aus unvordenklichen Zeiten stammt und einer politischen Wirklichkeit von Anno dazumal genügt haben mag. Während andere Länder längst die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Bewältigung „diplomatischer“ Probleme erkannt haben und der planmäßigen Ausbildung und systematischen Ein setzung ihrer Diplomaten größtes Interesse widmen, verschließt man sich hierzulande diesen Erkenntnissen. In einer Zeit, die die politische Wissenschaft als neue Disziplin auf den Hochschulen einführt, ist die Wissenschaft praktisch aus dem Ballhausplatz verbannt. Es ist klar, daß der Diplomat nicht Wissenschaftler ist, daß er diese Arbeit Berufeneren überlassen muß. Um so entscheidender ist deshalb seine Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftler, dessen Erkenntnisse er sich zu eigen machen muß. Das Zusammenwirken von Außenamt und wissenschaftlichen Instituten, die sich der Erforschung der politischen Wirklichkeit, insbesondere aber den Vorgängen in den kommunistischen Ländern widmen, ist ein dringendes Gebot, das sich am Ballhausplatz bislang nicht durchsetzen konnte. Aus Angst vor einer möglichen „Spezialisierung“ werden tüchtige Kräfte mitunter am falschen Platz verwendet — die Besetzung der Posten im Inland wie im Ausland erfolgt leider noch immer oft nach streng bürokratischen Prinzipien. Daß die Organisation des gesamten Hauses der maria-theresianischen Konzeption von einer hierarchischen Ministerialbürokratie entspricht und die Fülle der Verantwortung auf ganz wenige Personen verteilt, die große Masse der „Referenten“ aber zu einem in administrativem Papierkrieg sich verzehrenden „verantwortungslosen“ Schattendasein verurteilt, soll hier nicht weiter ausgeführt werden. In der Folge führt diese überholte Organisation zu Lähmung jeglicher Initiative und zu einer bloß aktenmäßigen „Erledigung“ der anfallenden Arbeit.

Formell begrüßt man natürlich besondere Kenntnisse junger Bewerber für den auswärtigen Dienst. Ein besonderes Studium im Ausland, die mühsame Erlernung fremder Sprachen wird aber schon beim Eintritt nur dürftig honoriert. Nach den geltenden Vorschriften wird die akademische Sonderausbildung bei der Festlegung des Beamtenranges viel ungünstiger „angerechnet“ als zum Beispiel ein absolviertes Gerichtsjahr, das für die weitere Arbeit eines jungen Diplomaten ziemlich bedeutungslos ist. Ohne jeden beruflichen oder materiellen Anreiz — viele Staaten gewähren zum Beispiel Sonderzulagen für besondere Sprachkenntnisse — verschwendet dieses System Talente und besondere Kenntnisse, die für die österreichische Diplomatie höchst fruchtbar angelegt werden könnten.

Wenn die sträfliche finanzielle Vernachlässigung unsere Diplomatie von vornherein schwer beeinträchtigt, so könnten wahrscheinlich manche organisatorische Veränderungen ihre Funktionsfähigkeit bedeutend heben.

Die komplizierte Welt, in der wir heute leben, stellt auch die Diplomatie vor neue, schwierige Aufgaben. Dies gilt für einen Kleinstaat wie Österreich in ganz besonderer Weise. Will Österreich mit voller Verantwortung jene Probleme meistern, die ihm seine exponierte Lage und seine besondere geschichtliche Rolle stellen, so muß es in erster Linie seinen diplomatischen Dienst zeitgemäß gestalten und ihn zu jenem Instrument formen, das allein eine wirkliche Außenpolitik erst möglich macht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung