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Diskreditierung

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Ein Land lebt vom Kredit. Vom Kredit, den seine Staatsbürger sich selbst geben, den sie, als Vertrauen, ihrer Regierung gewähren, vom Kredit endlich, den es seiner Umwelt, den anderen Völkern und Staaten, entgegenbringt und den es empfängt — in Geld, Waren, Kultur- werten.

Österreich ist ein Land, das in besonderem Maße auf diesen Kredit angewiesen ist: es würde sofort zerfallen, wenn seine sehr verschieden denkenden Staatsbürger sich gegenseitig den Kredit versagten und jene innere schweigende große Koalition auf- heben würden, die trotz Raunzen, Greinen und Klagen sich als der Kitt erwiesen hat, der uns zusammenhält: als Land und Volk, mitten unter anderen, oft sehr anderen.

Von diesem inneren Kredit sprechen wir zu selten, wie jene von Tag zu Tag sich häufenden Auslandnachrichten beweisen, die beinahe den Eindruck einer großen ferngesteuerten Welle der Diskreditierung erwecken.

Österreich hat einmal, in den Jahren vor dem Einbruch des Dritten Reiches, zu spüren bekommen, wie gefährlich ein solcher Geräuschvorhang für sein gesamtes wirtschaftliches, kulturelles und politisches Leben ist. Drohen hier doch Hilfsquellen verschüttet zu werden, die an die Existenz rühren: ein Land, das kein Vertrauen mehr bei seiner Umwelt besitzt und diesen unerträglichen Zustand hinnimmt, ohne alle Kräfte des Widerstandes aufzurufen, schreibt sich selbst ab und wird morgen abgeschrieben aus der Liste kreditfähiger Partner.

Da Österreich in vielen Ländern keine ausreichende kultur- und pressepolitische Vertretung besitzt — ein Zustand, von dem sich der Auslandreisende immer wieder überzeugen kann —, eine Vertretung, die sofort und energisch aufklärend in jedem einzelnen Fall repliziert, so fällt es den heimischen Organen zu, nach dem Rechten zu sehen, soweit dies in ihren Kräften steht.

Unmöglich, hier die Fülle der Klagen und Anklagen widerzugeben, und gar zu widerlegen, die da im letzten Jahr gegen uns laut wurden. Sie enthalten die schwerwiegendsten Vorwürfe oder ergehen sich in phantastischen Reportagen aus Wien, die unsere Stadt als das Uber- Schanghai einer westöstlichen Halbwelt, als eine Fata Morgana des Untergangs vorspiegeln.

In den letzten Tagen ging nun durch einige ob ihrer sonst seriösen Berichterstattung geachtete Schweizer Blätter und Informationsorgane ein großaufge- machter Bericht über’die großen Erfolge der Kommunistischen Partei in Österreich. Ohne nennenswerten Widerstand lasse sich unser Land von diesen subversiven Kräften unterminieren, und eine Hauptschuld treffe nach den fast wörtlich gleichlautenden Berichten, die katho- liehe Kirche. Ihr „Versagen“ habe es verschuldet, daß nur mehr ein Fünftel der Katholiken „in Österreich mehr oder weniger gleichgültig die kirchlichen

Pflichten“ erfülle; so entstehe gerade im katholischen Raum des pseudokatholischen Landes jenes riesige Vakuum, das den Kommunisten Tür und Tor öffne.

Diese Anschuldigungen sind so schwerwiegend, daß ihre gröbsten Denk- und Sachfehler hier kurz dargestellt werden müssen.

Wenn Stalin sich, nach Churchill, im letzten Krieg die Frage stellte, wie viele Divisionen der Papst mobilisieren könne, dann wiederholen nun diese erregten Stalin-Gegner diese Frage von ihrem Standpunkt aus: wieviel ist die Kirche politisch wert im Großkampf der zwei Weltmächte, was leistet sie zur inneren Mobilisierung der Massen, des Volkes gegen den Weltfeind Nr. 1? Von dieser ersten Fehlstellung aus, die eigentlich kein Katholik des 20. Jahrhunderts akzeptieren dürfte, der die Papstreden der letzten Jahre zur Weltlage verstanden hat, ergibt sich sofort die zweite Fehl- frage, die ebenso wie die erste am Wesen der Kirche und ihren heutigen Aufgaben und Möglichkeiten vorbeigeht: Was? Wie? Nur 20, Prozent „richtige“ Katholiken gibt es mehr in Österreich? Da stimmt doch etwas nicht.

Gewiß, es stimmt etwas nicht, und die Piuspäpste reden seit 30 Jahren davon: die Christenheit überhaupt hat es bis heute trotz tausend Einzelopfern und heroischen Anstrengungen nicht vermocht, die neue industrielle Gesellschaft, die mit allen ihren unerhörten Chancen und Gefährdungen in eineinhalb Jahrhunderten entstanden ist, so zu durchdringen, wie es in früheren Epochen in Missionsprozessen über Jahrhunderte und Jahrtausende hin versucht und erreicht worden ist. Es geht nicht an, der österreichischen Kirche allein eine Fehlleistung anzulasten, an deren Aufbereitung alle Christen, alle Katholiken brüderlich mitzuarbeiten haben. Und es zeugt ein solches Vorgehen von nicht sehr großem Verständnis für österreichische katholische Pionierarbeit. In Österreich wurde auf dem Gebiet des christlichen Sozialdenkens wesentliche Vorarbeit geleistet: ohne Österreich keine Rerum Novarum, keine Quadragesimo anno. Swoboda schrieb in Wien vor dem ersten Weltkrieg seine „Großstadtseelsorge , das erste fundamentale Werk auf einem der wichtigsten Frontabschnitte des inneren Ringens um den Menschen; Österreich verdankt der Weltkatholizismus die in brüderlicher Zusammenarbeit mit Deutschen und Franzosen geschaffene volksliturgische Bewegung, Europa hat nach dem Vorbild des Wiener Seelsorgeinstituts an die 50 solcher Anstalten errichtet. Die Landseelsorge, die Pflege des bäuerlichen Standes in seiner Gesamtheit als christliches Anliegen wurde hierzulande in den letzten 50 Jahren in bäuerlichen Volksbildungsinstituten begonnen, lange bevor in anderen Ländern sich auch nur bescheidene Ansätze zu zeigen begannen.

Gewiß, Wunden des österreichischen Katholizismus liegen offen zutage: das Abseitsstehen gewisse Intelligenzgruppen und der ‘breiten Massen der Arbeiterschaft, drohender Zerfall in bäuerlichen Kemkreisen, das Ressentiment kleinbürgerlicher Gruppen… Und manches andere mehr. Gibt es aber irgendein Ląnd auf der Welt, das diese Erscheinungen nicht aufzuweisen hat, und nicht selten in weit gefährlicherem Ausmaß?

Es steht uns nicht an, weiter zu „vergleichen“ oder gar zu verrechnen: das Christentum eines Volkes, wie einer Zeit, läßt sich nicht einfangen in Statistiken, so sehr diese für Detailerkenntnisse wichtig sein mögen, es läßt sich also auch nicht vergleichen mit den Zahlen politischer Parteien und Produktionsziffern der Wirtschaft und nicht bilanzhaft erfassen wie Posten einer Außenhandelsbilanz. Das aber ist es eben, was die hier angeführten Kritiken am österreichischen Katholizismus gemeinsam haben: das innige Bemühen, aus Phänomenen Bilanz zu ziehen, die man nur halb sieht, falsch einschätzt oder in ihrer eigentümlichen Bedeutung nicht versteht. Alles wird vereinfacht und vereinseitigt, falsche Alternativen und Parolen werden als Retter und Wegweiser vorgestellt. Die österreichische Wirklichkeit ist anders, vielfältiger. Mit Begriffen wie „ das Achristen- tum der liberalen Intelligenz und das Antichristentum der Sozialdemokraten kommt man ihr ebensowenig bei wie mit dem Pauschalurteil über das Versagen der katholischen Kirche in Österreich . Jakob Burdchardt, der große Schweizer, der große Europäer, hatte mit allem Vorbedacht gewarnt vor der nach ihm heraufkommenden Zeit der .terribles simplifi- cateurs“, der schrecklichen Vereinfacher, der mächtigen Einäugigen , wie ein moderner Historiker 6agen wird.

Wenn nun diese Mittel jetzt auch in anerkannt demokratischen Staaten dazu berufen werden, ein so schwieriges, vieldeutiges Phänomen wie das heutige Österreich und sein Christentum verzerrt darzustellen, dann frage sich jeder, der an diesem Spiel bewußt oder unbewußt teilnimmt, wer allein der Nutznießer dieser unbeschreiblichen Verwirrung und Verängstigung, ein muß.

.Rote Schatten fallen auf unsere Landesgrenzen , heißt es im großen Leitaufsatz einer Schweizer Wochenschrift. Sie meint damit das durch den Kommunismus zersetzte .scheinchristliche Österreich, wir aber meinen damit jene Schatten der Angst, der Selbstverwirrung, die notwendig aus unbedachten Urteilen entstehen. Wäre es nicht besser, die Probleme der Nachbarschaft so zu sehen, wie sie im eigensten Interesse gesehen werden müßten: angestrengt sauber, klar, den vielen Schwierigkeiten durch viele Umsicht, Arbeit und Bedachtheit gerecht werdend…? Gerade wenn man, wie es hier und dort der Fall zu sein scheint, dem eigenen Land einen Spiegel Vorhalten will, eignen sich als Reflexwand dazu nicht immer die Fehler und Schwächen des anderen.

Genug geredet, und mehr getan. Der uns so tief berührende Fall unserer Diskreditierung von seiten eines uns so nahestehenden Landes erzwingt die Überlegung: Was werden wir morgen tun, im Ausland, wenn Pressekampagnen dieser Art sich weiter häufen, und was werden wir im Innern tun, um einzelnen berechtigten Klagen mit jener Sorgfalt nachzugehen, die wir von der ausländischen Publizistik über Österreich für morgen erhoffen?

Das aber geht alle an: das österreichische Volk, und zumal seine berufenen Vertretungen. Es ließe sich denken, daß die höchste Repräsentanz unseres Volkes wieder einmal vor aller Welt bekundet, was uns dieses Land ist, und wie alle Gutgesinnten gewillt sind, es zu behaupten. Wichtiger aber ist das andere: der stille Gleichmut, die feste Entschlossenheit jedes einzelnen Österreichers, sich nicht verwirren zu lassen und nicht zu lassen vom Einsatz, von der Arbeit und von der Verantwortung für dieses Land im Herzen Europas Wir stehen im Sdieinwi_rferli ht: mag es unsere Schwächen aufblenden; unsere Kräfte wurzeln tiefer. Lange noch, wenn es über uns hinweggeglitten sein wird, wird das Bleibende sein: das Volk, das Land, seine Heimat) ein Glaube, durch Worte nicht zu retten, aber auch nicht zu zerstören, wenn er nämlich wirklich verwurzelt ist. Und von dieser Tatsache sich zu überzeugen, 1st jeder herzlich eingeladen, mag er kommen, von wo immer, - wenn er nur den Blick hat, zu sehen, was im Land der Berge und Seen, der Stifte und Dome gelebt, gelitten, geleistet wird, . sehr oft, ja zumeist von kleinen Leuten. Die ihre eigene Schwäche kennen und auf die Kraft Gottes trauen.

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