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Drei markante Ereignisse

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Drei Ereignisse zerrissen in den letzten Wochen den Schleier, hinter dem die Parteizentrale gerne die internen Zwiste verbergen möchte.

Anfang Februar gab der frühere Transportminister Ernest Marples bekannt, daß er nicht mehr länger als Konsulent der Parteizentrale am Smith Square angehören werde. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß die Zentrale sich von Mr. Marples gar nicht beraten ließ, daß es sich dabei um einen „non-job“, um einen Phantasieposten ohne Einfluß gehandelt hat. Nun ist Mr. Marples als sehr energischer Transportminister in bester Erinnerung, als ein Politiker, der am Fließband neue Ideen produziert. Verständlich daher, wenn er in der Parteizentrale wenig Gehör fand, einer Organisation, die in manchem an einen vornehmen, beschaulichen Klub erinnert. Außerdem dürfte Mr. Heath nie beabsichtigt haben, Mr. Marples einen wirklichen Einfluß einzuräumen, ihm das Kommando der Parteimaschine zu überlassen.

Nicht genug damit, veröffentlichten einzelne Meinungsforschungs-institute Ergebnisse von Befragungen, die für den Oppositionsführer alles andere als schmeichelhaft sind. National Opinion Polls berichtete, daß bloß 36 Prozent der Wähler mit der Leistung Mr. Heaths als Oppositionsführer zufrieden sind. Der letzte Gallup Poll lieferte ein noch grausameres Bild: nur 29 Prozent erklärten sich einverstanden, die niedrigste Prozentzahl, die ein Oppositionsführer in den letzten 30 Jahren, ja überhaupt seit Einführung der Meinungstests erhalten hat.

Nun sollte man diese Ergebnisse wiederum nicht zu tragisch nehmen. Auch ein Hugh Gaitskell oder Harold Wilson waren als Oppositionsführer hoffnungslos geschlagen. Oft genügen schon geringe taktische Fehler oder auf den ersten Blick unerklärliche Stimmungsumschwünge, um einen Politiker der Opposition bei den Wählern besser ankommen zu lassen. Im Hinblick auf die doch noch lange Frist bis zur nächsten Parlamentswahl ist das auch zunächst von untergeordneter Bedeutung. Ins Gewicht fällt um so mehr die Reaktion der Partei. Mister Heath gelang es zwar, den Schock der Niederlage vom März 1966 zu überwinden, das Ausbleiben von parlamentarischen Erfolgen beginnt allerdings langsam an den Nerven der Tories zu zerren. Noch schützt die Uneinigkeit seiner innerparteilichen Gegner den Oppositionsführer. Den einen ist er zu heftig; die anderen missen den politischen Punch; er ist zu selbstsicher, er läßt seine engsten Mitarbeiter völlig verschiedene Aussagen über die gleiche Sache verkünden; er ist von Adjutanten im Jünglingsalter umgeben; er hält die alte politische Mannschaft der Konservativen künstlich am Leben. Mr. Heath kann anscheinend nie das Richtige tun, er wird von jedermann kritisiert. Sollten diese Kritiker einmal eine gemeinsame Linie finden, wäre das Leben des Oppositionsführers in der Tat recht unangenehm. Glücklicherweise

zeichnet sich keine Entente seiner Gegner ab. Auch die Politiker, die es für unklug hielten, daß Edward Heath die Vorträge Mr. Humphrey Berkeleys für das Dritte Programm von BBC unterdrücken ließ, sind untereinander uneinig. Deshalb sagte auch ein Vorgänger Ted Heaths, so lange er (Heath) wie ein Dompteur mit Tigern und Polarbären in einem Käfig zusammen ist, könne nichts geschehen; falls er aber es unterlasse, den einen gegen den anderen auszuspielen, werden sie sich zweifellos gemeinsam gegen ihn (Heath) wenden.

Kamen die ungünstigen Ergebnisse der Meinungstests für Heath gewiß als Schock, so diente eine Untersuchung der Struktur der britischen Wählerschaft, die ein Markt-forschungsinstitut im Auftrag der konservativen Parteiführung durchführte, für viele Tories als Weckruf. Obzwar die Ergebnisse bisher streng geheimgehalten werden, sickerte immerhin durch, daß sie jenen von Mark Abram ähneln, der den „politischen Markt“ für die Arbeiterpartei durchforscht hatte. Das Ergebnis kann auch in anderen Ländern Grund zur Nachdenklichkeit sein. Denn es zeigt sich, daß die Zahl der zunächst parteimäßig nicht festgelegten Wähler viel größer ist, als man bisher anzunehmen pflegte. Gewöhnlich rechnen die britischen Wahlstrategen mit etwa 1,75 Millionen „treibender“ Wähler; Mark Abram und nunmehr das Opinion Researah Center schätzen, daß die Zahl der „.umkehrbaren“ Wähler rund fünf Millionen betrage, ganz zu schweigen von den etwa neun Millionen Briten, die sich ihre? Stimme enthalten.

Wenn diese Ergebnisse durch neuerliche Tests erhärtet werden, könnte die Reaktion der Politiker die innenpolitische Szene durchaus fühlbar ändern. Denn selbstverständlich muß ein Oppositionsführer seine Strategie anders anlegen, wenn bloß 1,75 Millionen oder fünf Millionen Wähler gewonnen werden können. In diesem Zusammenhang mag ein Bück auf das Verhalten der konservativen Oppositionsführer der letzten Jahrzehnte nicht uninteressant sein. Der große Gegenspieler Gladstones, Benjamin Disraeli, führte die Doktrin „Pflicht der Opposition ist es, zu opponieren“ ein und wartete im übrigen auf Blößen, die sich der Gegner selbst gab. Andrew Bonar Law hielt es dagegen mehr mit einer eher aktiven und konstruktiven Opposition. Die beiden letzten Oppositionsführer der Tories, Stanley Baldwin (1924, 1929 bis 1931) und Winston Churchill (1945 bis 1951), folgten wieder mehr der Linie Disraelis; sie warteten geduldig auf ihre Zeit und legten im übrigen ihre Taktik durchaus destruktiv an. Auch die Labour-Führer in Opposition wählten diese Linie.

Solange es nur um knapp zwei Millionen Wähler ging und die Wahlstrategie dem Fingerspitzengefühl und dem Zufall überlassen blieben, war ein solcher Oppositionsstil wohl richtig. (Zumindest konnten mangels Kriterien keine besseren gefunden werden.) Heute scheinen andere Taktiken am Platz zu sein. Erstens gilt es fünf Millionen Wähler zu überzeugen, gewiß keine leichte Aufgabe; zweitens bedienen sich die Parteimanager in zunehmendem Maß den modernen Managementtechniken, von Marktforschung über Werbung angefangen bis zu einer wissenschaftlich durchdachten Organisation. Denn in der modernen Massendemokratie unterscheidet sich der Politiker kaum von anderen Waren; der Verkaufsstil hat sich deshalb weitgehend angepaßt. Wer diese Tendenz bewußt übersieht, wird langfristig den kürzeren ziehen.

Die erste Reaktion eines konservativen Politikers auf die Ergebnisse der noch geheimen Analyse der Wähler: „Niemand wird uns ,gold-waterise', niemand wird die Partei nach rechts ziehen.“ Denn langsam dämmert es auch den lokalen Organisationen im Stil eines Gartenfestes, daß die Konservative Partei nur in der Mitte Zukunft hat. Und diese Mitte, die Schiedsrichter der britischen Demokratie ist, bevorzugt heute nooh Harold Wilson.

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