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Drohende Gefahren vor der Türe

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Erhards Äußerung in der Regierungserklärung, er werde in Brüssel die Interessen der deutschen Landwirtschaft „im Rahmen des Vertretbaren“ wahrnehmen, hat daher im Deutschen Bauernverband erhebliche Unruhe hervorgerufen. Das Kabinett kann in der Agrarpolitik Entscheidungen mit weitreichenden Folgen nicht ausweichen. Es wäre volkswirtschaftlich und sozialpolitisch unverantwortlich, bäuerliche Betriebe zugrundegehen zu lassen. Anderseits lassen sich viele Betriebe in ihrer heutigen Form auf die Dauer nicht mehr halten. Die Schwierigkeiten hätten sich nur durch intensive Aufklärung des zu Erwartenden unter der Landbevölkerung überwinden lassen. Ob heute, wo die Gefahren unmittelbar vor der Türe stehen, noch eine konstruktive Lösung möglich ist, bleibt abzuwarten. Die Verelendung der Kleinbauern innerhalb einer Wohlstandsgesellschaft müßte gefährliche soziale Spannungen hervorrufen. Bis jetzt hofft der Bauernverband, die Fortsetzung der Subventionspolitik erzwingen zu können. Innerhalb des Parlaments stützt er sich etwa auf dieselben Gruppen, die auch der Sehröderscben Außenpolitik reserviert gegenüberstehen. Erhard kähn sich theoretisch in" bei-! den Fällen auf eine starke Mehrheit aus FDP, SPD und Teilen der CDU CSU stützen. Nur ist die Frage, wieweit eine solche Haltung nicht neue Schwierigkeiten heraufbeschwört.

Und das Sozialpaket?

Anders liegen die Verhältnisse bei der Diskussion um das sogenannte Sozialpaket. Es handelt sich hier um miteinander verkoppelte wesentliche Neuerungen in der Sozialgesetzgebung, die insbesondere vom linken Flügel der CDU vertreten werden. Blanks Pläne einer Selbstbeteiligung bei den Krankenkosten ist bei der SPD und die einer Lohnfortzahlung bei Krankheiten für Angestellte bei der FDP und dem Arbeitgeberverband auf erheblichen Widerstand gestoßen. Versuche, zwischen den Sozialpolitikern der CDU und der FDP eine Einigung zu erzielen, sind vergangene Woche gescheitert. Wenn nun Erhard eine politische Lösung sucht, so gehen diese Bemühungen von der Erkenntnis aus, daß ohne eine klare Linie in der Sozialpolitik eine konstruktive Innenpolitik unmöglich ist. Ob ein taktisch geschickterer Mann als Arbeitsminister Blank für seine Vorlage mehr hätte, ist schwer zu entscheiden.’’Wahrscheinlich hätte aber der schon lange fällige WTechsel in diesem Ministe rium den Konflikt entschärft. Auch hier steht Erhard vor schwierigen Entscheidungen, denen er nicht aus- weichen kann.

Anderseits haben die Parteien in der Debatte um die Regierungserklärung zu erkennen gegeben, daß sie Erhard ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringen. Er kann, zunächst wenigstens, damit rechnen, daß ihm die Parteien keine grundsätzlichen Schwierigkeiten bereiten werden und quer durch die Fraktionen zu einer Zusammenarbeit mit ihm bereit sind. Von da her zeichnet sich ein neuer Stil des Regierens ab.

Verlust „selbständiger Köpfe“ rächt sich

Das ungewöhnlich ungeschickte Auftreten Brentanos hat die radikal veränderte Lage noch deutlicher gemacht. War die Ära Adenauer gekennzeichnet durch einen Regierungschef, der seine Partei vollständig beherrschte und mit Hilfe einer absoluten Mehrheit seine Absichten durchsetzte, so steht Erhard einer Opposition seiner eigenen Partei gegenüber, die er durch wechselnde Mehrheiten innerhalb des Parlaments zwar überspielen kann, die aber ein Höchstmaß von taktischem Geschick verlangt. Dazu kommt, daß durch Adenauers autoritäre Art die CDU CSU-Fraktion eine ganze Reihe selbständiger Köpfe verloren hat, die entweder, wie Nellen, zu einer anderen Partei gingen oder, wie Bucerius, aus dem politischen Leben ausschieden oder 1957 oder 1961 nicht mehr aufgestellt wurden. Die CDU CSU-Fraktion ist heute personell schlechter zusammengesetzt und der Lage weniger gewachsen als vor sieben oder acht Jahren. Es fehlen ihr Politiker, die umdenken können. Die Fraktion ist heute nur zum Teil bereit, lange gehegte Wunschbilder der außen- und innenpolitischen Lage über Bord zu werfen. Erhards nüchterne Regierungserklärung hat nur einen Teil seiner Fraktion überzeugt. Erhard benötigt daher zur Durchführung seines Programms die aktive Mitarbeit des Bundestages, der für Konrad Adenauer bestenfalls ein Objekt seiner überlegenen Taktik war. Der deutsche Parlamentarismus steht daher kgor einer neuen Situation. Es ist eine Bewährungsprobe, die für sein Schicksal entscheidend werden kann.

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