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Duell der beiden Großen

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Bonn, im März Mit den Wahlen in Oesterreich wurde ein Jahr eingeleitet, in dem die volkreichsten Völker Europas aufgerufen werden, die bisherige Wirtschafts- und Sozialpolitik ihrer Regierungen zu beurteilen. Diesen Wahlen kommt eine noch größere Bedeutung zu, wenn man sie in den weiteren Rahmen der europäischen Politik stellt. Schließlich wird jeder Staatsbürger darüber zu entscheiden haben, ob die Methoden der Europawerdung bejaht oder alle Erfolge in dieser Hinsicht in Frage gestellt werden sollen.

Nirgends dürfte diese Volksbefragung eine so dramatische Form eines Plebiszites annehmen, wie dies im Falle der Deutschen Bundesrepublik sein wird. Gleich einem Lotsen hat es Bundeskanzler Adenauer verstanden, dem Staat trotz seiner provisorischen Form eine maßgebende Stellung im europäischen Konzert zu verschaffen. Jeder Beobachter, der die Verhältnisse in Deutschland 1949/50 studierte und jetzt wieder Gelegenheit hat, die deutsche Aufbautätigkeit zu betrachten, wird nicht umhin können, die große Disziplin und Arbeitsleistung anzuerkennen.

Die Frage jedes Europäers wird lauten: Wird dieser Aufbau im Dienste einer größeren europäischen Gemeinschaft dem eigenen Volke neue Möglichkeiten eröffnen, oder steigen neuerlich die nationalen Leidenschaften auf, die in ihrem Gefolge die Struktur der Bundesrepublik und Europas erschüttern würden? Die internationale Presse weiß immer wieder von neonazistischen Formationen und Komplotten zu berichten. Einem Ramcke oder Remer wird eine Wichtigkeit zugemessen, die in keinem Verhältnis zu ihrem wirklichen Einfluß steht. Eine objektive Berichterstattung kann feststellen, daß von einer neonazistischen Gefahr überhaupt nicht gesprochen werden kann, mögen auch kleinere Kreise mit Sehnsucht an vergangene Herrlichkeiten denken oder andere Gruppen versuchen, in den demokratischen Parteien Fuß zu fassen, wofür der Fall Naumann ein Beispiel ist. Sind also in diesem Bereich nur atmosphärisch vorübergehende Störungen zu melden, so muß das E r -wichen eines allgemeinen Nationalismus liberalen Charakters als feststehend hingenommen werden. Dieser Nationalismus, der aus dem Gedankengut der kleindeutschen Geschichtsschreibung und der Bismarckschen Reichsgründung schöpft, ist vorläufig noch richtungslos. Am besten wird diese Geistesrichtung durch den Namen H-genberg und den Begriff Harzburger Front gekennzeichnet. Die politischen Beobachter sind sich darüber einig, daß die Voraussetzung für einen geistigen Zustand noch nichts mit den konkreten Entwürfen zu tun hat. Man kann auch nicht sagen, daß eine Partei allein sich dieses Gedankengutes bedient. Es sucht seine Rechtfertigung vielmehr in einer besonderen Situation des deutschen Volkes. Auf diesem Hintergrund blühen die Aussprüche und Reden jener Politiker, die vom Ausland oft falsch interpretiert wurden. Am besten wird diese neue Einstellung weiter Kreise des deutschen Volkes durch die rasche Verwirklichung der Europaplänc überwunden werden.

Europa ist daher für die maßgebenden Staatsmänner Deutschlands kein abstrakter Begriff, sondern die einzige außenpolitisch gültige Formel. Die Wähler werden also zu bestimmen haben, ob die CDU als die Hauptträgerin dieser Politik in der öffentlichen Meinung genügend Widerhall gefunden hat, oder ob die nationalen Appelle der SPD stärker wirken werden. Eine Analyse,der politischen Situation wird zum Resultat führen, daß die CDU nach wie vor einen ausschlaggebenden Faktor des politischen Lebens der Bundesrepublik darstellt. Die letzten Nachwahlen bewiesen, daß die Partei den Tiefstand von 1950/51 bereits überwunden hat. Auch das protestantische Lager, das im Bundestagspräsidenten Ehlers eine stark profilierte Persönlichkeit hervorbrachte, bekennt sich unbedingt zur Zusammenarbeit der beiden Konfessionen im politischen Raum. Schließlich legte der Parteitag der CDU in Berlin 1952 Zeugnis darüber ab, daß sich die Partei bewußt geblieben ist, eine christliche Verantwortung im öffentlichen Leben zu tragen. Ein Auseinanderfallcn in Interessengegensätze wirtschaftlicher oder sozialer Natur wäre an sich verständlich in einer Partei, die alle Klassen umfaßt; sie könnte aber vermieden werden. Durch eine geschickte Wahlpropaganda und unter der Voraussetzung, daß keine wirtschaftlichen oder politischen retardierenden Elemente eintreten, kann erwartet werden, daß die Positionen der CDU im allgemeinen gehalten werden.

Undeutlicher und verworrener liegen die Verhältnisse in den beiden anderen Regierungsparteien. Weder ist es der deutschen Partei gelungen, zur großen konservativen Partei im Stile der englischen oder skandinavischen zu erwachsen, noch vermochte die FDP, die rechtsstehenden Kreise an die Ideale eines demokratischen Rechtsstaates zu binden. Der Parteitag der Liberalen Partei in Bad Ems hat noch keine endgültige Konzeption auf diesem Gebiete entwickelt. Als wichtiger Vertreter der deutschen Großindustrie wird die Liberale Partei ihre bisherigen Wähler halten können und in einigen Ländern sogar an Stimmen zunehmen. Es erscheint notwendig, daß die Partei ein klares Programm entwickelt, um den Gefahren einer Radikalisierung, ausgehend vom rechten Flügel, zu vermeiden.

Die SPD beharrt in ihrem Negativismus gegenüber der Politik des Kanzlers. Ihre „Politiquc de rechange“ zeigt sich als ein wenig homogenes System Von Formeln und beweist eine vollständige Verkennung der weltpolitischen Situation. Nichts war bezeichnender als die Unterredung Dulles' mit Ollenhauer, in der die Blütenträume der SPD, Amerika zu einer Aenderung der Europapolitik zu bewegen, vollständig zerstoben. Darüber hinaus vermag sich die SPD auf keine Ideologie festzulegen. . Einer ihrer Hauptsprecher erklärte kürzlich dem „überlebten Marxismus“ den Krieg, ohne jedoch zu verkünden, welche Theorien die SPD künftig anzuwenden denkt. Es verdient am Rande festgehalten zu werden, daß die Sozialistische Partei seit 1945 keine offizielle Grundsatzerklärung besitzt. Nach dem Tode des großen Volkstribunen Schumacher, der überraschend schnell in Vergessenheit geraten ist, haben die typischen deutschen Parteibeamten die Führung übernommen. Sie vermochten nicht, das Feuer ihres Vorgängers weiterzutragen oder mit Phantasie und Kühnheit neue Wege zu beschreiten.

Die künftigen Wahlen werden auf alle Fälle ein Duell zwischen den beiden großen Parteien ergeben. Den regional gebundenen Formationen, wie Zentrum oder Bayernpartei, wird nur eine begrenzte Wirkung zuzusprechen sein.

Wie jedoch werden sich die Millionen Flüchtlinge politisch orientieren? Wird die oft angekündigte große Flüchtlingspartei entstehen? Eine solche Entwicklung hieße einen gefährlichen Sprengstoff in das labile soziale Gefüge des deutschen Volkes tragen. Denn ewig das Statut der Flüchtlinge zu legalisieren, müßte die Gegensätze verschärfen, und die alten Wunden könnten nie vernarben. Die Vertreter der Flüchtlinge werden daher die staatsmännische Reife und eine Sicherheit des Urteils beweisen müssen, um ihre Leidensgenossen in die bestehenden Parteien einzubauen. Nur so können sie ihren Interessen den größten Dienst erweisen.

Aber nicht nur die Flüchtlinge sind ein Faktor, der jede Kalkulation über die Zusammensetzung des zu wählenden Bundestages außerordentlich erschwert. Es stellt sich die Frage, wie sich jene Millionen entscheiden werden, die im bisherigen Parteienstaat keinen wesensgemäßen Ausdruck oder kein eigenes Symbol gefunden haben. Diese Gruppe bildete einst die Hauptwählermasse des Nationalsozialismus. Angewidert von der schwankenden und farblosen Politik der Weimarer Republik suchten sie Ordnung und Sicherheit in den extremen

Parteien, ohne von der nationalsozialistischen Ideologie restlos erfüllt zu werden. Diese Menschen fragen sich wieder, beginnen zu suchen und sind neuerlich von einer großen Unruhe erfüllt. Das Provisorium, in dem sie leben müssen, läßt sie die inneren Zusammenhänge nicht erkennen. Sie vergessen die gestaltende Kraft der europäischen Idee und übersehen die einmalige Person des Bundeskanzlers. Werden sie in die Polypenarme einer streng nationalistischen Partei gelangen oder von den Neutralitätspredigten Heinemanns, Niemöllers oder Wessels angezogen werden? Bisher hat die letztgenannte Richtung keinerlei Stoßkraft entwickelt und ist über eine schwächliche Diskussion nicht zu den harten politischen Tatsachen vorgestoßen.

Vielfach wird natürlich auch das Wahlgesetz, das derzeit zur Diskussion steht, die Aspirationen der einen unterstützen, die Wünsche anderer Parteien wieder beschneiden. Die CDU scheint einem Mehrheitswahlrecht den Vorzug zu geben, um eine stabile Regierungsmehrheit zu sichern. Die Opposition bekämpft natürlich dieses Projekt, kann aber vorläufig nur durch den Bundesrat die Innen- und Außenpolitik der Regierung angreifen. Durch die Bildung des Südweststaates verlor die CDU in der zweiten Kammer, als der Ländervertretung, die sichere Unterstützung Tübingens, Freiburgs und Stuttgarts — im ganzen zehn Stimmen. Im Südweststaat bildete sich entgegen dem klaren Entscheid der Wähler, die der CDU das Primat gaben, unter Mayer eine Regierung aus Liberalen, Sozialisten und Flüchtlingen, die sich gegenüber der Bundesregierung mehr als reserviert zeigt. Diese oft feindliche Stellungnahme aus Stuttgart und der nicht klar durchdachte Schachzug der Bundesregierung, den Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe vor der dritten Lesung der EVG-Verträge anzurufen, bedrohen nach wie vor das gesamte Werk einer restlosen Eingliederung der Bundesrepublik vor den Wahlen. Bundeskanzler Adenauer wird alles versuchen, um diese Ratifizierung als die Krönung seiner Politik den Wählern darzustellen. Es ist allerdings zu fragen, ob eine Ratifizierung ohne Verletzung der Verfassung derzeit möglich ist. Die Meinung der Bonner Kreise divergiert in diesem so wichtigen Punkt. Die Bundesregierung setzt alles daran, die Verträge mit dem Grundgesetz, als Ausdruck der deutschen Demokratie, in Einklang zu bringen, während die Opposition die Meinung vertritt, daß die Verträge und das Grundgesetz sich diametral gegenüberstehen.

Damit werden die Verträge von Paris und Bonn die wichtigsten Argumente im Wahlkampf darstellen. Diese entscheidenden Wahlen 1953 müssen daher beweisen, ob sich das deutsche Volk für die Politik des Kanzlers entschieden hat, d. h. für eine Politik des Maßes, des sozialen Ausgleichs und des Friedens. Es darf angenommen werden, daß die Wähler die einmalige Chance begreifen.

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