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Eigenbrötelei hat keinen Sinn

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DIEFURCHE: Hat Österreich aus der Geschichte gelernt ? AlX)lS mock: Ein Lieblingswort von mir, von Ingeborg Rachmann, sagt, daß die Geschichte dauernd lehrt, aber keine Schüler findet. Österreich zeigt, daß auch das Gegenteil möglich ist. Das gilt vor allem für die ältere Generation. Menschen, die aufeinander geschossen haben, fanden 1945 zueinander, um den Staat aufzubauen und die kommunistische Gefahr zu bannen. Ein besonderes Verdienst kommt hier den Sozialisten zu, denn die waren es ja, die von 1933 bis 1938 den kürzeren gezogen hatten. Die Sozialpartnerschaft, die Dialogfähigkeit ist die große Leistung dieses Landes.

DIEFURCHE: Ist nicht momentan diesbezüglich ein Bruch entstanden? mock: Natürlich haben wir auch furchtbare wirtschaftliche Fehler gemacht, finanzielle Substanz durch die Verstaatlichte verloren. Aber durch die Sozialpartnerschaft haben wir uns wirtschaftliche Reibungsverluste erspart, durch wenige Streiks, keinen Klassenkampf auch Milliarden an Schillingen. Wenn es jetzt eine etwas laute Parlamentssache gibt, darf man nicht glauben, daß deswegen gleich die Republik zusammenfällt.

DIEFURCHE: Welche außenpolitische Vision würden Siefürs 21. Jahrhundert entwerfen

MOCK: Erst einmal muß die EU-Inte-

Die Österreicher haben aus der Geschichte gelernt, sagt Alois Mock klipp und klar. Die Dialog-föhigkeit nach 1945 ist ein Beispiel dafür. gration weitgehend irreversibel gemacht werden. Das ist sie meiner Meinung nach noch nicht. Die Dämonen waren nicht tot, sie wurden nur in der Ecke abgestellt und durch schlechte Politiker wieder hervorgeholt. Das zweite ist eine weitgehende Demokratisierung des europäischen Ostens, ein Problem für mindestens eine Generation. Dann geht es drittens um die systematische Auseinandersetzung mit dem Faktum des weltweiten Wettbewerbs - Europa, Amerika, Japan, Ostasien, der pazifische Raum, der überhaupt die stärkste Dynamik entwickelt. Wir müssen doppelt da sein, solange wir nicht die ganze Außenpolitik gemeinsam machen: die Chancen nützen, die uns die EU gibt, aber auch direkte Schwerpunktsetzung in der Außenpolitik hinsichtlich des pazifischen Raumes.

DIEFURCHE: Soll Österreich mit seiner Neutralität das klassische Friedensund Konferenzland bleiben? mock: Ich bin sehr dafür, daß wir das weiterbetreiben. Nur - eine besondere Sicherheit haben wir dadurch nicht. Es besteht die Gefahr, daß wir hier sicherheitspolitischen Illusionen nachlaufen, die wir einmal bitter bezahlen müssen. Leider haben wir ein etwas gestörtes Verhältnis zur Landesverteidigung. Der andere Weg ist, alles im Verbund zu machen.

DIEFURCHE: Ist nicht der Integrationsprozeß Garant dafür, daß wir immer weniger Militär brauchen? mock: Ja und Nein. Wir brauchen in bestimmten Bereichen weniger militärische Infrastruktur zu entwickeln. Zu glauben, daß uns andere verteidigen, wenn's gefährlich wird, ist aber eine Illusion. Durch unser Verhalten bei der peace keeping-Anforderung in Somalia haben wir jetzt schon eine, sagen wir's neutral, problematische Bewertung. Man darf da nicht mehr herumtun und sagen, wo wir hingehen, darf nichts passieren.

DIEFURCHE: Was muß der nächste Außenminister vordringlich angehen? mock: Die politische Integration muß Vorrang haben. Die wichtigste Vorwärtsentwicklung, wo wir dabei sein müssen, wird die Währungsunion sein, da dürfen wir nicht in die zweite Klasse rutschen und eine de facto-Abwertung hinnehmen. Das zweite sind unsere Nachbarn, soweit sie nicht in der EU sind. Wenn wir uns hier als EU-Mitglied nur zurücklehnen, könnte sich ein Glaubwürdigkeitsdefizit anbahnen. Das dritte ist die Mitarbeit bei internationalen Behörden. Für die kleinen und mittleren Staaten ist, so sie nicht durch Allianzen abgesichert sind, wichtig, daß die Ver-rechtlichung voranschreitet, denn die Großen können sich notfalls auf ihre Atombomben verlassen. Sicherheit wird schlechthin die Aufgabe der Außenpolitik sein.

DIEFURCHE: Von der Bevölkerung wird die EU-Integration, weil konkret Greifbares fehlt, nicht mehr so akzeptiert wie vor einem Jahr.

MOCK: Wir brauchen mehr Information. Der halbe Staatsbürgerkundeunterricht müßte auf Europa ausgerichtet sein. 40 Jahre ist es uns sehr gut gegangen, da besteht die Gefahr, daß wir diese Ruhe als Selbstverständlichkeit nehmen. Wenn jemand gesagt hätte, Jugoslawien zerfällt, hätte man ihn Narr genannt; wer hat geglaubt, daß die UdSSR zerfällt? Man kann sich in der Wirtschaft irren, das ist bitter. Wenn man sich aber in der äußeren Sicherheit irrt, kann's an die Existenz gehen. Jede Landesregierung sollte drei tüchtige Leute ein, zwei Jahre nach Brüssel schicken, das nützt mehr als 15 Koordinationsgremien.

DIEFURCHE: Müssen wir also grundsätzlich umdenken und Abschied vom Patriotismus nehmen? mock: Patriotismus schadet nicht, das heißt stolz sein auf die eigene Geschichte und Kultur. Da hat Österreich viel anzubieten. Natürlich - Eii genbrötelei ist nicht mehr angebracht. Damit bleibt man hinten.

DIEFURCHE: MußmanAngsthabenvor dem Ausverkauf Österreichs? mock: Nein. Denn da hätten sich die Luxemburger ja dauernd fürchten müssen. Es liegt nur an uns, was wir aus der EU-Integration machen. Ich glaube sogar, wir haben größere Chancen als die Großen.

Mit Ex-Außenminister Alois Mock sprach Franz Gansrigier.

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