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Ein afrikanisches Kuba?

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Einen knappen Monat nach der Unabhängigkeitserklärung Sansibars hat am 12. Jänner ein Putsch dort ein afrikanisches „ancien regime“ hinweggefegt. Beunruhigende, zum Teil widerspruchsvolle Nachrichten haben mit einemmal den Namen der kleinen Insel vor der Ostküste Afrikas, die vor 75 Jahren beinahe ein Teil Deutsch-Ostafrikas geworden wäre, in die Weltöffentlichkeit getragen. Die revolutionären Machthaber haben Sansibar zur „Volksdemokratie“ ausgerufen, aber was dies bedeutet, wird erst die Zukunft lehren. Die Schlagzeile vom „afrikanischen Kuba“ basiert in ihrer Substanz vorerst auf Mutmaßungen.

Als 34. afrikanischer Staat war das der ostafrikanischen Küste vorgelagerte Inselreich, in dessen Benennung der alte Name Ostafrikas, Sendsch, fortlebt, am 9. Dezember unabhängig geworden. Für Sansibar, das neben der Hauptinsel noch das kleinere Eiland Pemba und insgesamt 340.000 Einwohner umfaßt, bedeutete dies das Ende der seit 1890 ausgeübten britischen Schutzherrschaft. Das alte, arabische Fürstentum, über das seit 1784 eine omanarabische Scherifendynastie herrschte ist dem „Wind der Veränderung“ sehr schnell erlegen.

Das alte Kolonialland, dessen Wirtschaft weitgehend auf der Monokultur der Gewürznelken beruht, hatte in den letzten Jahren eine politische Entwicklung zum konstitutionelldemokratischen Staat durchgemacht. Dies vollzog sich nicht ohne Erschütterungen. In der politischen Zukunft dieses ostafrikanischen „Malta“ oder „Cypern“ — oder wie immer die zeitgenössischen Tochterstaaten des einst meerebeherrschenden Britannien heißen mögen—waren so mit den wirtschaftlichen, sozialen und rassischen Gegensätzen eine ganze Anzahl von Klippen nicht allzutief verborgen, die ihren Zwecken dienstbar zu machen Agitatoren schon in früheren Jahren bemüht waren. Denn während die Anzahl der Europäer auf Sansibar seit der Zeit der kurzen portugiesischen Herrschaft im 16. Jahrhundert immer nur gering blieb und auch heute nur einige Hunderte beträgt, stellen auch die „Araber“ nur knapp ein Sechstel der Gesamtbevölkerung und bilden so, zusammen mit rund 20.000 Indern, eine Minderheit gegenüber der Negerbevölkerung, mit der sie freilich die islamische Religion verbindet.

Die Sozialstruktur des Inselstaates, der mit 2642 Quadratkilometer Gesamtfläche etwas größer ist wie Vorarlberg, mußte freilich mit ihrer ethnisch mitbestimmten Gliederung in drei Klassen ein einladendes Experimentierfeld für linksradikale Elemente bieten. Stellten die „Araber“ weitgehend die Schichte der Grundbesitzer, Kaufleute, des Hofes, zum Teil auch des staatlichen Apparates, die Inder dagegen die Handelstreibenden und Handwerker, war die numerische Mehrheit afrikanischer Herkunft weithin auf unselbständigen Erwerb, zum Teil auf Saisonarbeit auf den Gewürzplantagen auf Pemba angewiesen. Dazu kommt, daß ein Teil der auf Sansibar lebenden Afrikaner Nachkommen der ehemaligen vom Festland nach der Insel gebrachten Sklaven sind, so daß man nach einer tieferen Wurzel des Ressentiments gegen die arabische Oberschichte nicht zu suchen braucht Die Mehrheit von ihnen, zum Teil Kleinbauern, betrachtet sich indes als Nachkommen der angestammten Inselbevölkerung und persischer Kolonisten des frühen Mittelalters und nennt sich infolgedessen „Shirazi“.

Ihren politischen Ausdruck fand diese Situation in der Bildung der „Afro-Shirazi“-Partei, die sich auf beide Gruppen stützte und bereits bei den ersten Wahlen im Jahre 1957 die stärkste Gruppe wurde. Doch splitterte sich schon 1959 von hier eine Gruppe unter Führung des Lehrers Scheich Shamte Hamadi ab, der in persönlichen Gegensatz zu dem Führer der Afro-Shirazi, dem ehemaligen Bootsmann Abeid Kamme geraten war. Diese neue „Volkspartei von Sansibar und Pemba“ ging eine Koalition mit der unter arabischer Führung stehenden „Sansibar-Nationalisten“ des Scheich Ali Muhsin ein. Dies hatte zur Folge, daß die Afro-Shirazis, obgleich auf sie allein bei den Neuwahlen 1961 wie 1963 die Mehrheit, der abgegebenen Stimmen fiel, infolge der Wahlkreiseinteilung mandatsmäßig gegen diese Koalition in der Minderheit blieb, was die Spannung erhöhte. So kam es schon 1961 zu blutigen Auseinandersetzungen; die Wahlen 1963 konnten nur unter Anwesenheit britischer Truppen aus Kenia stattfinden. Fazit: die von der britischen Protektoratsverwaltung inspirierte Demokratie hatte, einen Weg des Ausgleichs zwischen den Volksgruppen und Klassen suchend, der stärksten, panafrikanisch orientierten Partei den Weg zur Macht nicht freigegeben, während diese den Eintritt in eine Allparteienkoalition mit ihren Gegnern strikt ablehnte.

In dieser Situation der ungelösten Konflikte suchten die Gruppen und Grüppchen des Kleinstaates Anlehnung nach verschiedenen Richtungen. Ali Muhsin und seine Sansibar-Nationalisten suchten Kontakt zu Nasser, nahmen den Verzicht des Sultans auf den historisch zu Sansibar gehörenden Küstenstreifen Kenias nicht hin und erklärten auch die Haltung Kenias und Tanganjikas gegenüber Israel als ein Hindernis für einen Beitritt Sansibars zu einer von Afro-Shirazis Kammes erstrebten ostafrikanischen Förderation.

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