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Ein Bogen ums eigentliche Thema

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Um das Hauptthema, wie der drohende Klimakollaps verhindert werden könne, wurde in Berlin ein großer Bogen gemacht. Diskussionen über den Abstimmungsmodus standen im Vordergrund.

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Um das Hauptthema, wie der drohende Klimakollaps verhindert werden könne, wurde in Berlin ein großer Bogen gemacht. Diskussionen über den Abstimmungsmodus standen im Vordergrund.

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Ich hoffe, daß wir nicht tagelang über eine Geschäftsordnung debattieren”, meinte die deutsche Umweltministerin Angela Merkel bei der Eröffnung des UN-Klimagipfels in Berlin.

Doch genau diese Befürchtung sollte eintreffen. In der ersten Woche konnten sich die 1.500 Delegierten aus 121 Landern nicht einmal über den Abstimmungsmodus, geschweige denn über Inhaltliches einigen.

Dabei ist allen Konferenzteilnehmern klar: Der bisherige Zwang zur Einstimmigkeit würde auf Dauer Stillstand bedeuten und alle wesentlichen Entscheidungen blockieren.

Aber einige Staaten streben diese Blockade bewußt an, um schärfere Maßnahmen zur Reduzierung des Treibhausgases CO; zu verhindern. Andere Länder versuchen, sich für die Zustimmung zu einer Zweidrittel- oder Dreiviertelmehrheit Konzessionen einzuhandeln.

Einige Entwicklungsstaaten wollen Finanzzusagen für die wirtschaftliche Entwicklung, andere -wie die OPEC-Staaten - drängen auf einen Sitz im Präsidiumsbüro. Bis Mittwoch gelang es den Delegationen jedenfalls nicht, den gordischen Knoten zu durchschlagen. Auch das Nachsitzen am eigentlich konferenzfreien Wochenende brachte keine entscheidende Bewegung in die Verhandlungen.

„Bisher ist nur darüber verhandelt worden, ob überhaupt weiterverhandelt wird”, kritisiert Liz Barrett -Brown vom Climate Action Network, einem internationalen Dach-verband von mehr als 160 Umweltinitiativen.

Weil die Geschäftsordnungsdebatte die erste Sitzungswoche bestimmte, bleiben für das eigentliche Konferenzthema, wie der drohende Klimakollaps verhindert werden könne, nur noch wenige Tage. Am Freitag soll die Veranstaltung in der deutschen Hauptstadt nach elf Beratungstagen zu Ende gehen.

Dabei sind im Vorfeld der Klimakonferenz in Berlin die Hoffnungen ohnehin schon gedämpft worden.

So warnte der Vorsitzende des Verhandlungskomitees der Rio-Rah-menkonvention, Raul Estada-Oyela, vor zu hohen Erwartungen: „Wir können nicht damit rechnen, daß sich hier in Berlin etwas Umwerfendes ergeben wird. Das ist ein komplizierter politischer Prozeß.”

Der Klimagipfel in Berlin ist die erste Folgekonferenz des 1992 abgehaltenen „Erdgipfels” von Rio de Janeiro. Damals ist vereinbart worden, die gerade verabschiedete Klima-Rahmenkonvention durch ein Zusatzprotokoll zu konkretisieren.

Die in Brasilien erzielte Erklärung sieht lediglich eine grundsätzliche Bereitschaft der 154 Unterzeichner-Staaten vor, Emissionen des gefährlichen Treibhausgases Kohlendioxid auf das Niveau von 1990 zu reduzieren.

Daß der CCvAusstoß nicht wieder steigen darf, darauf geht die Konvention nicht ein. Die Weichen für eine Verschärfung der Regelung sollten in Berlin gestellt werden.

Doch in den elf Vorbereitungskonferenzen seit Rio konnten sich die Abordnungen der verschiedenen Länder nicht einmal auf konkrete Vorgaben für den Klimagipfel einigen. Nur die „Allianz der kleinen Inselstaaten” legte einen Vertragsentwurf als Ergänzung zur Rio-Konven-tion vor. Darin werden die Industriestaaten aufgefordert, bis zum Jahr 2005 die CCh-Emissionen gegenüber 1990 um mindestens 20 •Prozent zu verringern.

„Wissenschaftler meinen, wir brauchen eine Reduktion um mindestens 60 Prozent. Da fordern wir vergleichsweise wenig”, erläuterte der Vertreter der Inselstaaten, Pene Lefale.

Seinen Landsleuten, die auf den verschiedenen Inseln West-Samoas im Pazifik leben, steht das Wasser im wahrsten Sinn des Wortes bis zum Hals.

Steigen die Temperaturen durch die Klimaveränderung weiter, schmelzen die Polkappen. Die Eilande West-Samoa oder die Malediven drohen dann im Meer zu versinken.

Doch die Appelle der 35 Inselstaaten verhallten im Berliner Congress Center ungehört. „Es ist eine moralische Frage, daß die, die am meisten emittieren, auch für uns kämpfen”, glaubt Lefale. Für fast 80 Prozent der weltweiten Emissionen sind die Industriestaaten verantwortlich.

Doch nur halbherzig klingen die Beteuerungen von Vertretern der „ersten Welt” wie Deutschland oder Großbritannien, den Inselstaaten-Entwurf zu unterstützen. Denn beim Klimagipfel scheint es vor allem den entwickelten Staaten darum zu gehen, strengere Regelungen zu verhindern.

Als einer der größten Bremser erwiesen sich einmal mehr die USA, die allein ein Viertel der weltweiten CCh-Emissionen verursachen. Aber auch Erdölproduzenten wie Saudi-

Arabien oder Kuweit setzten alles daran, um eine Verschärfung der Rio-Konvention abzuwenden.

Selbst die Entwicklungsländer drängten nicht mehr so einig auf Fortschritte wie noch beim Erdgipfel 1992. Schließlich wollen viele Schwellenländer ihre wirtschaftliche Entwicklung nicht durch schärfere Umweltauflagen blockiert sehen.

Ein informeller Vorschlag einzelner Länder aus dieser Staatengruppe, der Anfang dieser Woche die Runde machte, betonte zwar die Notwendigkeit zu einschränkenden Maßnahmen, schränkte diese Erkenntnis aber auf die Industriestaaten ein.

Die erforderliche Mehrheit oder gar Einstimmigkeit für den Entwurf der Inselstaaten ist somit nicht in Sicht. So reduzierte sich das Ziel der Konsultationen in Berlin darauf, ein Mandat für weitere Verhandlungen zu erreichen.

Bis zur nächsten Konferenz 1997 in Tokio soll ein Protokoll ausgearbeitet werden, das dann verabschiedet werden kann. „Dem ersten Schritt in Rio muß ein zweiter folgen”, drängt die deutsche Umweltministerin Merkel „auf konkrete Vorgaben”.

Doch nach dem bisherigen Stand der Verhandlungen in Berlin ist nicht einmal sicher, ob überhaupt ein Beschluß über weitere Verhandlungen zustandekommt.

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