Ein EU-Netz für die Gesundheitssysteme

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Die EU-Kommission hat eine neue EU-Gesundheitsstrategie vorgelegt. Alle Mitgliedstaaten sollen vernetzt werden um rasch auf Gesundheitsgefahren reagieren zu können. Doch es hagelt auch Kritik.

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Die EU-Kommission hat eine neue EU-Gesundheitsstrategie vorgelegt. Alle Mitgliedstaaten sollen vernetzt werden um rasch auf Gesundheitsgefahren reagieren zu können. Doch es hagelt auch Kritik.

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Der Bereich Gesundheit ist seit vielen Jahren im EU-Vertrag festgeschrieben. Es soll ein "hohes Gesundheitsschutzniveau gewährleistet werden". "Eine hübsche aber leere Phrase", kommentierte ein führender EU-Gesundheitsbeamter.

Doch in den letzten beiden Jahren hat sich auf diesem Gebiet einiges getan, seit in der 1999 veröffentlichten Mitteilung über die Entwicklung der Gemeinschaftspolitik im Bereich öffentlicher Gesundheit festgelegt wurde, dass ehrgeizigere gesundheitspolitische Strategien der Gemeinschaft erforderlich sind. Nicht nur Schutz und Vorsorge, sondern nunmehr auch die Verbesserung der Gesundheit aller Bürger innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist jetzt deklariertes Ziel. Mit der Ankündigung eines Entwurfes für eine neue EU-Gesundheitsstrategie durch die Kommission im Mai dieses Jahres ist die Diskussion der künftigen EU-Gesundheitspolitik nun voll im Gange.

Der Sozial- und Politikwissenschafter, Bernard Merkel, leitender Administrator der Direktion öffentliche Gesundheit der EU in Luxemburg, stellte beim dritten European Health Forum Gastein (EHFG) Ende September diesen Vorschlag der Kommission für die neue EU Gesundheitsstrategie vor. Diese beinhalten ein breitgefächertes Programm, das als Ersatz für die acht Gesundheitsprogramme dienen soll, die heuer und im nächsten Jahr auslaufen werden (etwa die Programme zur Gesundheitsförderung, Krebs-, Aids- und Suchtprävention). "Ziel ist es, die Erfahrungen der einzelnen Staaten zu vereinen um rasch reagieren zu können", so Merkel. "Wenn alles gut geht und es schnell läuft, kann das neue EU Gesundheitsprogramm im kommenden Jahr bereits laufen."

Die Schwerpunkte der neuen EU Gesundheitsstrategie sind: Es wird ein umfassendes Informationssystem eingerichtet. Durch die Sammlung aller Daten durch die Mitgliedstaaten soll die Möglichkeiten geschaffen werden, rasch auf Gesundheitsgefahren reagieren zu können, die von den einzelnen Mitgliedsstaaten nicht allein bewältigt werden können. Strategien im Kampf gegen Krankheiten beziehungsweise zur Gesundheitsförderung sind zentrale Elemente. Bestimmten Risiken, kann nur durch Zusammenarbeit auf Gemeinschafts- und internationaler Ebene begegnet werden. "Es ist gefährlich anzunehmen, ein einzelner Mitgliedstaat könne die Gesundheit seiner Bürger völlig aus eigener Anstrengung schützen. Bestimmte Gefahren und Risiken, insbesondere übertragbare Krankheiten, machen an Staatsgrenzen nicht halt", argumentiert EU-Kommissar David Byrne, für Gesundheit und Verbraucherschutz zuständiges Mitglied der Kommission. Aber auch durch Luft-, Wasserverschmutzung oder resistente Mikroorganismen hervorgerufene Gesundheitsprobleme müssen staatsübergreifend angegangen werden.

Die neue Strategie umfasst auch Vorschläge zur Förderung vorhandener Mechanismen zur Früherkennung, Überwachung und Kontrolle solcher Risiken. Außerdem werden wichtige Rechtsetzungsinitiativen in Bereichen, wie Sicherheit von Blut und Blutprodukten, vorgeschlagen.

Als weiterer Schwerpunkt ist geplant, Strategien zur Ermittlung der wirksamsten Maßnahmen für die Bekämpfung von Krankheiten und für die Gesundheitsförderung zu entwickeln. 20 Prozent der Unionsbürger sterben vorzeitig - also vor dem 65. Lebensjahr - an Krankheiten, die vermieden hätten werden können, etwa durch Krebsfrüherkennung, meint Kommissar Byrne. Koordination soll helfen, die wirksamsten Modelle zu ermitteln.

300 Millionen Euro ...

Darüber hinaus werden neue Rechtsvorschriften im Rahmen der direkten Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Bereich der öffentlichen Gesundheit erwogen. In den kommenden sechs Jahren werden für das Aktionsprogramm der Gemeinschaft 300 Millionen Euro (rund 4,1 Milliarden Schilling) zur Verfügung stehen. Byrne: "Das Potential für eine Verbesserung der Gesundheit durch Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft." Gegenwärtig betreiben die Mitgliedstaaten ihre Gesundheitssysteme völlig unabhängig voneinander. Bemühungen zur Ermittlung der Stärken und Schwächen einzelner Systeme durch stärkere Zusammenarbeit stecken noch in den Anfängen. Dies wäre insofern ein Versäumnis, als ein konstruktiver Überblick zur Verbesserung und höherer Effizienz von Gesundheitssystemen führen könnte und ermöglichen würde, dass neuen Herausforderungen, wie zum Beispiel der demographischen Alterung, leichter begegnet werden könnte.

Jedoch, so betonte Byrne, beabsichtige die Kommission nicht, "den Mitgliedsstaaten die Organisation und den Betrieb ihrer Gesundheitssysteme abzunehmen. Dagegen wollen wir dazu beitragen, dass Licht und Transparenz in die staatlichen Gesundheitssysteme kommt." Neben der koordinierenden Kompetenz der EU im Gesundheitswesen haben allerdings europäische Regelungen in den Bereichen Arbeitsschutz, Wettbewerb, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit bereits weitreichende Auswirkungen auf den Gesundheitssektor. Hinzu komme, dass die Bürger durch die gestiegene Mobilität und die Wirtschafts- und Währungsunion zunehmend selbst die Gesundheitssysteme der Mitgliedsstaaten vergleichen und nicht nur in den Grenzgebieten Leistungen außerhalb des eigenen Landes in Anspruch nehmen.

Als zentrales Element der neuen Gesundheitsstrategien sind weiters vorgesehen: die Einrichtung eines umfassenden Informationssystems, das die kritische Überprüfung der einzelnen Gesundheitssysteme in einem Gemeinschaftsrahmen ermöglicht. Die EU-Bürger sollten wissen, wie leistungsfähig das System ihres Staates ist und wo seine Stärken und Schwächen liegen. Auch sollte den Bürgern eine große Palette an Informationen darüber zur Verfügung stehen, welche Faktoren ihre Gesundheit beeinflussen. Die Gesundheitssysteme der einzelnen Staaten sollen nicht angeglichen, aber kritisch verglichen werden können (etwa wie lange Patienten auf bestimmte Behandlungen warten, wieviel Behandlungen kosten und wie wirksam sie sind).

... sind viel zu wenig Kritik bei der Tagung in Bad Hofgastein an den neuen Plänen hagelte es von John Bowis aus Großbritannien, Abgeordneter zum Europäischen Parlament und Sprecher des Ausschusses für Umwelt, Gesundheit und Konsumentenschutz. "Während die EU pro Jahr eine Milliarde Euro für Tabaksubvention aufbringt, soll die neue Gesundheitsstrategie mit mickrigen 300 Millionen Euro für sechs Jahren den aktuellen gesellschaftlichen und damit gesundheitlich relevanten Entwicklungen Rechnung tragen. Dieses Geld soll ausreichen, um alle Krankheiten Europas in den Griff zu bekommen?", fragt Bowis provokant. "Das ist eine verrückte und unmoralische Wirtschaft."

Die Gesundheitssysteme der Vergangenheit würden zusammenbrechen, meint der Europaabgeordnete. "Wir müssen die Gesundheit verbessern, damit wir uns das Gesundheitssystem überhaupt noch leisten können." So lässt sich laut Bowis eine wirksame Gesundheitsstrategie nur dann umsetzen, wenn politische Entscheidungsträger aller Bereiche sowie die Arbeitgeber in die Umsetzung miteinbezogen werden. "Es gibt zahlreiche Wege, wie Arbeitgeber Partner in der Gesundheitsvorsorge werden können, aber nur wenige davon sind natürlich gratis." In den Betriebskantinen könnte etwa gesünderes Essen angeboten werden. Ein besonderes Augenmerk sollte auch auf die gestiegene Lebenserwartung und die geistige Gesundheit der Bevölkerung gelegt werden. Innerhalb der EU gebe es bereits mehr Tote durch Selbstmord als durch Verkehrsunfälle, Großbritannien verliere 92 Millionen Arbeitstage alleine wegen psychischer Probleme seiner Bürger. Ein weiterer Punkt für Bowis: Bürger werden künftig dort hingehen, wo sie die beste Gesundheitsversorgung bekommen. "Also muss es einheitliche Standards für alle Mitgliedstaaten geben", fordert der Abgeordnete.

Zufriedenes Österreich Weiters wurden bei der Tagung in Gastein Daten und Fakten zur Gesundheit in Europa vorgestellt. Die "Eurostat"-Umfrage brachte teilweise überraschende Ergebnisse hinsichtlich der Zufriedenheit der EU-Bürger mit ihren Gesundheitsprogrammen ans Licht: Der EU-Durchschnitt liegt bei 61 Prozent Zufriedenheit und 27 Prozent Unzufriedenheit. Am zufriedensten sind die Finnen mit 78 Prozent, gefolgt von Österreich mit 71 Prozent, den Niederlanden mit 70 Prozent und Frankreich mit 60 Prozent. Unzufriedenheit überwiegt dagegen mit 73 Prozent in Portugal und 65 Prozent in Griechenland. Das ist um so erstaunlicher, als etwa Griechenland eine der höchsten Versorgungsgrade mit Fachärzten hat. Auf eine Million Griechen kommen etwa 203 Gynäkologen. Die Niederlande weisen mit nur 49 Gynäkologen pro einer Million Einwohner den EU-weit niedrigsten Versorgungsgrad auf, Österreich liegt hier mit 139 im Mittelfeld.

Ob die Zufriedenheit auch mit dem Gesundheitszustand der Bevölkerung einhergeht, untersuchten die EU-Statistiker mit dem Vergleich vom Bodymassindex (BMI). EU-weit haben rund 70 Prozent der Männer und 65 Prozent der Frauen einen normalen BMI (zwischen 20 und 26). Die meisten Übergewichtigen (BMI über 27) Damen gibt es in Portugal. Bei den Herren ist Griechenland Spitzenreiter puncto Übergewicht, gefolgt von Spanien und Deutschland. Österreich liegt hier nur leicht über dem EU-Schnitt. Am wenigsten Übergewicht haben bei den Herren die Niederländer, bei den Damen die Französinnen. Hier gibt es aber auch mit 25 Prozent die meisten untergewichtigen Frauen (BMI 20 und darunter).

Noch aussagekräftiger als der BMI sind die Zahlen über die Todesrate per 100.000 Einwohner bezogen auf die häufigsten Todesursachen in der EU: das sind Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs, Atemwegserkrankungen sowie externe Ursachen, etwa Unfälle und Selbstmord. Bei den Männern ist die Sterberate mit 1.174 pro 100.000 Einwohnern in Portugal am höchsten, gefolgt von Irland, Dänemark und Finnland. Österreich liegt mit 963 knapp über dem EU Schnitt von 938. Diese Zahlen, so die Schlussfolgerung der Tagung, bieten zwar einige Anhaltspunkte, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es noch einen viel stärkeren Informationsaustausch zwischen den einzelnen Staaten und Regionen geben muss, um aussagekräftige Hinweise zur Verbesserung der Gesundheit für alle EU-Bürger zu erhalten. "Das Gesundheitswesen bräuchte mehr Aufmerksamkeit, aber es sind keine Mittel vorhanden", schließt jedoch Europaabgeordneter Bowis.

Die EU Gesundheitsstrategie (Nummer 2000/0119) kann unter der Internetadresse "www.europa.eu.int/comm/"nachgelesen werden.

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