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Ein ganzes Volk verdient mehr Beachtung als eine Bohrinsel

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Nigerias Machthaber sitzen auf einem Pulverfaß. Die Lunte brennt. Es ist eine Frage der Zeit, wann es hochgeht.

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Nigerias Machthaber sitzen auf einem Pulverfaß. Die Lunte brennt. Es ist eine Frage der Zeit, wann es hochgeht.

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Es war einmal ein Volk, das lebte friedlich im fruchtbaren Delta des Niger-Stromes von Ackerbau und Fischzucht. Es hatte keine natürlichen Feinde, und auch die Militärdiktaturen, die ab und zu in der fernen Hauptstadt Lagos an die Macht kamen, beeinträchtigten das harmonische Leben der Ogoni nicht. Doch dann begann das Unglück: Auf dem Siedlungsgebiet der Ogoni wurde Erdöl gefunden, ergiebige Erdölquellen, und schon bald zerstückelten Hunderte von Bohrtürmen und ein Netz von Pipelines das dichtbesiedelte Ackerland. Lecke Ölleitungen machten die Felder unfruchtbar, Chemikalien vergifteten das Wasser in den Flüssen, die Gasabfackelungsan-lagen breiteten Wolken von Büß über das einst blühende Land.

Die Ogoni, ein Volk mit etwa 500.000 Angehörigen, begannen sich zu wehren gegen den langsamen Tod, den der Erdölreichtum in ihr Land gebracht hatte. Sie gründeten eine „Bewegung für das Uberleben der Ogoni” (Mosop) und begannen von der Begierung Kompensationen für die erlittenen Umweltschäden und wirtschaftlichen Ausfälle zu verlangen. Der prominenteste Fürsprecher für ihre Anliegen wurde Ken Saro-Wiwa, einer der beliebtesten Schriftsteller Nigerias, selbst ein Sohn des Ogoni-Volkes. Ken Saro-Wiwa zählt zu den meistgelesenen Autoren Nigerias, seine Fernseh-Show „Basi & Company”, die Geschichte eines Straßenkehrers, der den nigerianischen Kleinkapitalismus erlebt, erheiterte allwöchentlich 30 Millionen Zuschauer(innen). Und dieser Erfolgsautor nutzte nun sein Prestige, um für die Bechte der Ogoni zu kämpfen. Zusammen mit anderen Mitgliedern der 1990 gegründeten Mosop verfaßte er eine „Ogoni Bill of Bights” und trug die Anliegen seines Volkes bis zur UNO. Für seinen gewaltlosen Kampf um das Überleben des Ogoni-Volkes wurde Saro-Wiwa 1994 mit dem ebenfalls in Stockholm verliehenen Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet, und vor wenigen Monaten erhielt er in Wien den Bruno-Kreisky-Menschenrechts-preis. Doch der Schriftsteller und Bürgerrechtskämpfer konnte diese Preise nicht mehr persönlich entgegennehmen: Im Mai 1994 wurde er unter der fadenscheinigen Begründung, für die Ermordung von vier Stammesführern der Ogoni, die nicht bei der Mosop mitarbeiten wollten, verantwortlich zu sein, vom Militär in einem versteckten Gefängnis festgehalten und schwer mißhandelt; er soll mehrere Herzinfarkte erlitten haben.

Für die, die es fördern und in klingende Münze umwandeln, stinkt das Erdöl nicht. Tagtäglich exportiert Nigeria zwei Millionen Barrel des hochwertigen, weil schwefelarmen schwarzen Goldes, und zwar vornehmlich in europäische Länder. Etwa die Hälfte von Nigerias Erdöl-einnahmen - das Land hängt zu über 80 Prozent von seinen Ölexporten ab - erwirtschaftet der britische Erdöl-multi Shell, den Rest des goldenen Kuchens teilen sich Konzerne wie Elf (Frankreich), Mobil (USA) und die Schweizer Glencore. Shell bezieht aus Nigeria 14 Prozent seiner weltweiten Produktion. Als Mitstreiter der Mo-sop-Bewegung begannen, Förderanlagen im Ogoni-Gebiet zu beschädi-

Source: International Petroleum Atlas 1995, Pennwell Books gen und Pipelines zu verstopfen, ersuchte Shell 1992 die Militärdiktatur um Truppen zum Schutz der Produktionsanlagen. Und das Regime unter General Sani Abacha, das sich mit den Oleinnahmen die eigenen Taschen stopft, kam dieser Aufforderung natürlich willfährig nach. Sie verlegte die Internal Security Task Force, eine Art staatliche Todesschwadron, in die Ogoni-Region. Eine Strafsanktion unvorstellbarer Brutalität gegen das Ogoni-Volk begann. Der Verfasser dieses Artikel sah kürzlich Filmaufnahmen der Ogoni-Exilbewegung in London, worin die Bombardierung ganzer Dörfer und das Niedermetzeln der Bevölkerung dokumentiert ist.

„Seit Juli 1993”, so schrieb Saro-Wiwa im vergangenen Jahr, „haben die nigerianischen Sicherheitskräfte über ein Viertel unserer Dörfer zerstört, über 1200 Menschen umgebracht, viele weitere verletzt und fast 100.000 Ogoni-Bürger zu Flüchtlingen gemacht.” Im April 1994 wurde die Militärpräsenz weiter verstärkt und das Ogoni-Land hermetisch von der Umwelt abgeriegelt. Nur spärlich und langsam drangen Nachrichten vom Ausmaß des Massakers an die Öffentlichkeit. Doch auch als Menschenrechtsorganisationen wie Human Bights Watch Africa oder amne-sty international die Weltöffentlichkeit alarmierten, blieb es still um den Genozid am Ogoni-Volk. Das geplante Versenken einer Bohrinsel in der Nordsee erregt eben weitaus mehr Aufsehen als die brutale Verfolgung und Vertreibung eines ganzen afrikanischen Volkes.

Die Bepression gegen das Ogoni-Volk ist nicht verständlich ohne eine Betrachtung der allgemeinen politischen Situation in Nigeria. Vor drei Jahren hatte der Militärmachthaber Ibrahim Babangida einen Demokratisierungsprozeß eingeleitet, der in den freien und demokratischen Wahlen vom Juni 1993 gipfelte. Diese Wahlen gewann der steinreiche Kaufmann Mashood Abiola - doch ließ der Armeeführer General Sani Abacha die Wahlen annullieren und setzte sich selbst an der Spitze einer Junta als neuer Machthaber des Landes ein. Es bildete sich eine breite Demokratiebewegung, die die nachträgliehe Einsetzung Abiolas als Präsident forderte, doch der Junta-Führer antwortete auf seine Weise: Gewerkschaftsführer und die Köpfe der Oppositionsbewegung einschließlich Wahlsieger Abiola wurden verhaftet, das Kabinett entlassen, Sondergesetze eingeführt, die unabhängige Presse zum Schweigen gebracht. Das mit über 110 Millionen Einwohnern volkreichste Land Afrikas lebt seit zwei Jahren unter einer Diktatur, die jede Gefährdung ihres Mach tan-Spruches mit den ihr gemäßen Mitteln verfolgt und an kein Ende ihrer Herrschaft denkt - auch wenn Abacha kürzlich ankündigte, in drei Jahren könnten möglicherweise wieder allgemeine Wahlen abgehalten werden. Der Diktator räumt auch in den eigenen Beihen gnadenlos auf. Nach einem angeblichen Putschversuch am 1. März dieses Jahres ließ er eine Reihe von hohen Offizieren verhaften, darunter auch den früheren Präsidenten und General Olusegun Oba-sanjo, der 1979 seine Macht freiwillig an eine Zivilregierung abgegeben hatte. Ein Teil der 29 Verhafteten wurde zum Tode verurteilt und das Urteil später in lebenslange Haftstrafen umgewandelt.

„Erst zufrieden, wenn alles zerstört ist”

Einer der schärfsten Kritiker der nigerianischen Militärdiktatur, der Literaturnobelpreisträger Wole Soyin-ka, konnte im November des Vorjahres aus Nigeria fliehen. Der Schriftsteller zieht seither als Botschafter eines demokratischen Nigeria durch die Welt und klagt das Unrechtsregime in seinem Land an. „Abacha ist ein Maulwurf, .der in einem Labyrinth von Tunneln gefangen ist”, umreißt Soyinka die geistigen Qualitäten des Generals. „Er wird erst zufrieden sein, wenn er alles zerstört hat, was er geistig nicht fassen kann - und das ist buchstäblich ganz Nigeria.” Bei einem Wienbesuch Anfang dieses Jahres bezeichnete Wole Soyinka dem Verfasser dieser Zeilen gegenüber Abacha auch als letzten Despoten seines Landes: „Die Bewegung, die Abacha von der Macht entfernen wird, muß ein für allemal mit dem militärischen Abenteurertum aufräumen. Abacha als der letzte Despot - das ist kein Wunschdenken, sondern eine programmatische Erklärung.”

Ken Saro-Wi wa starb für sein Volk

Um die Vollstreckung des Todesurteils an seinem Schriftstellerkollegen Ken Saro-Wiwa zu verhindern, rief Wole Soyinka in den letzten Wochen die Regierungen der Welt zu einer „gnadenlosen Isolation” seines Heimatlandes auf. Noch vor wenigen Tagen hatte Soyinka im deutschen „ARD-Morgenmagazin” erklärt: „Wirtschaftliche, diplomatische, kulturelle und Sportboykottmaßnahmen sind wichtig, aber wir brauchen wirklich eine vollständige, gnadenlose Isolation dieses Regimes.” Auch der Sohn des Ogoni-Führers, der in London im Exil lebende Ken Wiwa - der vergangenen September in Wien den Kreisky-Menschenrechtspreis für seinen Vater entgegennahm - versuchte, die Weltöffentlichkeit zu alarmieren. Doch vergeblich, zu spät: Ken Saro-Wiwa und seine Mitstreiter wurden am 10. November gehenkt. Nun rollt eine Welle des Protestes durch die Welt. Vielleicht gelingt es Ken Saro-Wiwa nach seinem Tod und durch seinen Tod das Überleben seines Ogoni-Volkes und das Ende der Militärdiktatur zu sichern. Denn obwohl die Militärs in Nigeria mit dem Mittel der „Vorbeugehaft” regieren und jede und jeden einsperren, die oder der im Verdacht steht, in aktiver Opposition zur Diktatur zu stehen, ist diese keineswegs so zerschlagen, wie es den Foto Reiter Anschein hat. Soyinka: „Zur Zeit sieht es an der Oberfläche so aus, als gebe es keine Opposition. Aber die Opposition ist ganz gewaltig, sie wird immer stärker mit jedem Akt der Gewalt. Unser Land ist ein Pulverfaß, und es könnte sofort hochgehen.”

Und wenn sich Shell im Fall der Nordsee-Bohrinsel dem Druck der Öffentlichkeit gebeugt hat, so wird sich der Konzern nun, nach der Hinrichtung der Führer der „Bewegung für ein Überleben der Ogoni”, schwerlich einem Boykott der nigerianischen Militärmachthaber verschließen können. Anfang November hatte die Shell-Führung zwar noch in einer Erklärung verbreitet, es sei nicht die Aufgabe des Konzerns, „in ein juristisches Verfahren eines souveränen Staates wie Nigeria einzugreifen”, und der Konzern würde allein in diesem Jahr 25 Millionen US-Dollar für Krankenhäuser, Schulen, Bewässerungsprojekte und andere Wohltaten in der Ogoni-Region ausgeben, aber eine Mitverantwortung an der Verfolgung des Ogoni-Volkes ist dadurch nicht auszulöschen. Und wenn die großen Ölkonzerne die Abacha-Junta boykottieren, dann sind auch die Tage der Diktatur in Nigeria gezählt.

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