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Ein Jahr „allein“

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Der 6. März 1966 brachte der Österreichischen Volkspartei eine absolute Mehrheit und damit die Möglichkeit, die Bundesregierung allein zu bilden — eine Möglichkeit, von der die Volkspartei nach mehreren Wochen ergebnislosen Verhandeins mit den Sozialisten auch Gebrauch machte. Am 6. März entschied sich das Schicksal der fast schon legendären österreichischen Koalition.

Ein Jahr nach diesem Einschnitt in die Kontinuität der österreichischen Demokratie ist vergangen. Die politische Landschaft hat sich verändert, ohne eine völlig andere zu werden. Die letzten politischen Entscheidungen fallen teilweise in anderen Gremien als zur Zeit der Koalition, sie fallen auch in kürzeren Abständen; aber sie stehen keineswegs in prinzipiellem Gegensatz zu den Entscheidungen, die man sich von der Koalition hätte erwarten können.

Die ÖVP regiert allein: Diese Vorstellung rief einmal die verschiedensten Emotionen hervor. Sahen die einen in einer solchen „Alleinherrschaft“ den Untergang der Demokratie, glaubten die anderen, das Ende der Koalition würde die Vollendung der Demokratie möglich machen. Doch die Realitäten haben sich anders entwackelt. Der Bürgerkrieg fand nicht statt, und die Demokratie wurde nicht perfekt. Aber das durfte niemanden überraschen, der zwei Dinge erkannt hatte: daß kein Modell der Demokratie perfekt ist, daß Demokratie vielmehr geradezu Absage an alle Träume von politischer Perfektion heißt, Eingeständnis politischer Un Vollkommenheit; und daß es das eigentliche, wirklich historische Verdienst der Koalition ist, die Ablösung der großen Koalition durch eine andere Form demokratischen Regierens ermöglicht zu haben. Der Bürgerkrieg fand deshalb nicht statt, weil in den 21 Jahren der Koalitionsära ein demokratischer Konsens entstand.

Das erste Jahr der Konfrontation zwischen den früheren Koalitionspartnern stand im Zeichen der Aktivität der Regierung. Daß diese Aktivität manchmal fast hektische Züge annahm, ist der ÖVP nur bedingt vorzuhalten. War es doch die ärgste Schwäche der ausklingenden Koali-tionsäre, daß viele Probleme unerledigt liegenblieben. Schwerer wiegt der Vorwurf, die Volkspartei hätte die Argumente der Opposition häufig überhaupt nicht beachtet, sondern einfach auf ihre parlamentarische Mehrheit gepocht und die Minderheit „überfahren“. Doch scheinen diese Tendenzen der Regierungspartei nur Anfangsschwierigkeiten gewesen zu sein, und nicht zuletzt das gute Einvernehmen, das von den Klubobmännem immer wieder demonstriert wird, läßt auf das endgültige Verschwinden dieser parlamentarischen Kinderkrankheiten hoffen. Das kann jedoch nicht den Verzicht der Regierungspartei auf den Einsatz der am 6. März 1966 gewonnenen Mehrheit bedeuten. Daß die Volkspartei auch in Zukunft von ihrer Majorität Gebrauch machen wird, darf ihr nur von denjenigen angelastet werden* die das Mehr-heitspriozip und damit die Demokratie überhaupt ablehnen.

Das Verbleiben im Rahmen des demokratischen Konsens; eine Aktivität, die einen Teil der unerledigten Probleme einer Lösung zugeführt hat; ein zunehmendes Verständnis für die Punktion einer parlamentarischen Opposition — das sind die Lichtseiten der Regierungspartei. Doch wo viel Licht ist...

Zu den Schattenseiten der ÖVP-Regierung zählt, daß die ÖVP zum Gefangenen ihrer eigenen Parolen zu werden droht. Mit den Rufen nach „Sachlichkeit“ und „Entpoli-tisierung“ agiert die Regierungspartei oft so, als wäre ihre Politik tatsächlich nur sach-, nicht aber auch machtbezogen. Man muß den Eindruck bekommen, die zu Mythen erstarrten Parolen würden manchmal nur als Paravent für eine bestimmte Politik verwendet, für eine Politik, die ihre Macbtbezogenheit nicht zugeben will und kann. Die Blockierung des ursprünglichen Gesetzentwurfes für die neue Dachgesellschaft der Verstaatlichten durch die Industrie und die Leichtigkeit, mit der bei der Besetzung der ÖIG-Aufsichtsräte sich der Wirtschaftsbund über die anderen Bünde hinwegsetzen konnte, sind nur Symptome für den Einfluß bestimmter Kreise, die in manchen Fragen offenbar den ÖAAB, den eigentlichen Wahlsieger von 1966, dominieren.

Dieser überstarke Einfluß einer kleinen Minderheit rührt aber an der Basis der Volkspartei, die sich als „soziale Integrationspartei“ versteht, sich zu einem innerparteilichen Pluralismus bekennt und diesen auch in ihrer Parteistruktur verankert hat. Nur dann wird die ÖVP ihren eigenen Grundsätzen treu bleiben, wenn sie den da und dort herrschenden Eindruck überzeugend verwischen kann, für bestimmte Gruppen in der ÖVP sei das Ergebnis des 6. März 1966 das Signal dafür gewesen, die Prioritäten der österreichischen Politik au ändern und die Interessen der Arbeitnehmer in der Skala politischer Wertvorstellungen nach rückwärts zu reihen.

Die Regierungspartei wird in der nächsten Zeit auch stärker als bisher versuchen müssen, in der Regierung und im Parlament ein wirkliches Team zu bilden. Wahlkämpfe können mit der Herausstellung einzelner Persönlichkeiten gewonnen werden; im politischen Alltag jedoch müssen die Spitzen von Regierung und parlamentarischem Klub über eine gut eingespielte, harmonische Mannschaft verfügen.

Die Regierung Klaus wird es in Zukunft kaum noch so laicht haben, wie im ersten Jahr der Konfrontation. Sie wird einer Opposition gegenüberstehen, die nach einem Jahr innerer Zwistigkeiten nun allmählich zu sich selbst und ihrer Funktion finden sollte. Der verstärkte Druck, den die SPÖ unter der Führung Kreiskys wahrscheinlich auf die Regierung ausüben wird, soll und muß der ÖVP ein besonderer Anreiz zu einer Politik der Leistung und der Mäßigung sein.

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