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Ein Kalif für die Araber

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Die Brandstiftung in der Jerusalemer Al-Aksa-Moschee hat in der islamischen Welt religiöse Leidenschaften entfacht, die man schon lange vergessen glaubte. Sie waren zum Teil spontaner Nätut, wie die Reaktionen der unmittelbar betroffenen islamischen Geistlichkeit im besetzten Palästina und dem benachbarten Jordanien. Ihr Ruf nach dem „Djihad”, dem „Heiligen Krieg”, kam aus der Tiefe ihrer ebenso gläubigen wie fanatischen Seele. Die Aufnahme ihres Kriegsrufes durch die Mehrzahl der arabischen Regierungen hingegen war das Ergebnis kaltblütiger Berechnung.

Israels unmittelbare Frontgegner erhoffen sich von einem „Heiligen Krieg”, in dem jedem Gefallenen ein

Paradies voller Freuden und Freudenmädchen winkt, die Hebung der Kampfmoral ihrer Truppen. Sowohl die VAR wie Syrien brauchten sich in keinem ihrer Waffengänge mit Israel über die kriegstechnische Ausrüstung ihrer Armeen und deren zahlenmäßige Unterlegenheit zu beklagen. Woran es krankte und weshalb den Arabern schließlich alle Palästinakriege verlorengingen, war die Gleichgültigkeit ihrer Soldaten. Wenn sich Nassers phlegmatische Fellachen und Syriens mehr ge- schäfts- als kriegstüchtige Mannen in ekstatisch aufgepeitschte „Ghazis”, „Glaubensstreiter”, verwandeln ließen, so wäre das für Israel gefährlicher als alle ägyptischen Raketen waffen und sowjetischen Rüstungslieferungen.

Religiöser Führungsanspruch

Politisch sehr gelegen kommt die religiöse Welle kn Nahostkonflikt dem saudischen Monarchen Feisal, der sich schon seit mehreren Jahren mit wechselndem Erfolg zum Führer der islamischen Welt aufzuschwingen bemühte. Die hohe Autorität der von Nasser beherrschten Azhar-Univer- sität in Kairo und das Schwinden der politischen Ausstrahlung des Islam als Band zwischen Arabern, Türken, Persern, Somalis und Afghanen hatte bisher einen greifbaren Erfolg dieser auf die Wiederherstellung des Kalifats abzielenden Initiativen verhindert.

Seit 1922 fehlt der islamischen Welt ihr geistlich-politisches Oberhaupt, der Kalif. Der letzte Inhaber dieses Titels, der türkische Sultan Mohammed VI., wurde von Kemal Atatürk abgesetzt, und sein Rechtsnachfolger, der Scherif Hussein von Mekka, wurde schon 1924 von Ibn Saud aus den heiligen Städten Mekka und Medina vertrieben, deren Besitz Voraussetzung für die Kalifenwürde ist Da die Saudis aber damals noch als sektiererische Außenseiter galten — sie bekennen sich nicht zur Sunna, sondern zum Wahabismus —, hatten sie trotz der Eroberung von Mekka und Medina zunächst keine Chancen als Kalifatskandidaten. Anders liegen die Dinge heute, und König Feisal strebte ursprünglich sogar die Wiederherstellung der politischen Rechte des Kalifen an, die seit dem Mittelalter von Sultanen ausgeübt wurden. Die arabische Außenministerkonferenz von Kairo, die Feisal mit der Einberufung einer Islamischen Gipfelkonferenz beauftragte, hat nun seinen religiösen Führungsanspruch praktisch bestätigt, allerdings Präsident Nasser die Spitzenposition auf der parallelen Arabischen Gipfelkonferenz Vorbehalten.

In diegem größten Zusammenhang muß der Militärputsch in Libyen trotz seines augenblicklichen Gelingens als anachronistischer Rückgriff auf die revolutionäre Ära der fünfziger Jahre mit zweifelhaftem Ausgang gewertet werden. Die Entthronung des von der rigoristischen Senussi-Sekte getragenen Königs Idris al-Senussi hat bei den libyschen Wüstenstämmen und in den Zentren dieser 1383 gegründeten islamischen

Konfession konterrevolutionäre Bewegungen ausgelöst. Der Machtbereich der „Arabischen Sozialistischen Republik Libyen” beschränkt sich nach wie vor auf die Schußweite ihrer Panzer in Tripolis, Bengazi und dem neuen Administrationszentrum Beida, während sich in den Kufra- Oasen, der Cyrenaika und in Fezzan der royalistisch-religiöse Widerstand nach der Verzichtserklärung von Kronprinz Hassan al-Senussi um die Sektenführung und Stammesoberhäupter schart.

Libyens Fäden nach Damaskus

Damit bahnt sich in Libyen eine dem jemenitischen Bürgerkrieg analoge Entwicklung an, die jedoch im Zeichen der vom Al-Aksa-Brand gesteigerten Islambegeisterung der Se- nussi und der großen strategischen und wirtschaftlichen Bedeutung des Landes viel heftiger und folgenschwerer zu werden droht als der jahrelange Kleinkrieg in Südarabien. Auf der anderen Seite haben die in ihren Wüstenfestungen so gut wie unbezwingbaren Senussi keinerlei Aussichten, die Küstenstädte Tripo- litaniens und der Großen Syrte für ihren König zurückzuerobem.

Schon während des Fünftagekrieges hatte es in Tripolis und Bengazi die schlimmsten antijüdischen und antieuropäischen Ausschreitungen der arabischen Welt gegeben. Seitdem löste ein Kabinett das andere ab, und König Idris war selbst bemüht gewesen, den Radikalen durch politische und wirtschaftliche Maßnahmen gegen die in Libyen ansässigen Ausländer entgegenzukommen.

Ist man im benachbarten Tunesien über den Umsturz im Senussi-Staat schon ganz und gar nicht begeistert, so übte auch VAR-Präsident Nasser, der das neue Regime erst nach dem Irak anerkannte, unverkennbare Zurückhaltung. Die neuen Herren der libyschen Ölfelder haben trotz allen Bekenntnissen zu dem am Nil geübten „Arabischen Sozialismus” bisher nämlich nichts darüber verlauten lassen, ob sie die von König Idris großzügig gewährte Millionenhilfe an Ägypten weiter zahlen wollen. Die Fäden des libyschen Putsches weisen eindeutig nach Bagdad und Damaskus.

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