Ein Land, gefangen in seinem ALBTRAUM

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"Viele Regimekritiker sind auf den Straßen, viele aber bleiben zu Hause, auch ehemalige politische Gefangene sind darunter."

"Für viele Iraner der Mittelklasse sind dubiose Mafiabanden und die Korruption im Land ein Albtraum. Die Wirtschaftsprobleme der Menschen - und die Korruption sind aber nicht neu."

Zu Tausenden gehen die Menschen im Iran derzeit auf die Straße. Denn im islamischen System des Landes läuft vieles falsch. Das gibt sogar Präsident Hassan Rouhani offen zu. Aber bei den Demonstrationen geht es nicht mehr nur um mehr Reformen, sondern um einen Regimewechsel, der auch ihn betreffen könnte. Mindestens 19 Tote, Hunderte von Verhaftungen und zahlreiche Angriffe auf öffentliche Einrichtungen, auch Polizeiwachen und Kasernen hat es gegeben. Für den obersten iranischen Führer, Ayatollah Ali Khamenei, sind das keine Proteste mehr, sondern ein vom Ausland gesteuerter Aufstand.

Viele Regimekritiker sind auf den Straßen, viele aber bleiben auch zu Hause. Zu den Skeptikern gehören auch ehemalige politische Gefangene wie Fejsollah Arabsorchi. Ein Regimewechsel würde seiner Meinung nach alles nur noch schlimmer machen. Er und viele andere haben für den Reformkurs hart gekämpft und wollen nicht, dass durch unüberlegte Proteste der Weg für eine Rückkehr der Hardliner an die Macht geebnet wird.

Im Iran gehören de facto ja auch Reformer in der Regierung zu den Regimekritikern. Einer von ihnen ist Vizepräsident Ishagh Jahangiri. "Reformen brauchen Zeit und der Weg zur Demokratie ist lang und holprig", sagt Jahangiri. Auch der im Land beliebte Reformer befürchtet, dass die jetzigen Proteste zugunsten der Hardliner ausgehen könnten. Sein Chef, Präsident Rouhani, sieht Proteste zwar als ein legitimes Recht der Bürger an -die müssten aber friedlich und über "legale" Kanäle laufen. "Das ist absoluter Quatsch ... der redet so, als wäre er Präsident in Skandinavien", kommentiert ein Politologe Rouhanis Bemerkungen. In einem Land, wo selbst ehemalige Präsidenten wie Mohamed Khatami (1997-2005) zu Dissidenten abgestempelt werden, könne es doch keine legalen Kanäle geben, über die einfache Menschen ihren Protest ausdrücken könnten, glaubt der Politologe.

Junge und alte Revolutionäre

Ein weiterer Beleg für diese These sind die beiden Führer der Grünen Bewegung, Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karroubi. Der eine war einmal Premierminister der Republik, der andere Parlamentspräsident. Sie stehen aber seit fast sieben Jahren unter Hausarrest. Ihr Delikt: Kritik an der manipulierten Wiederwahl des Hardliners Mahmud Ahmadinedschad bei der Präsidentenwahl 2009. "Keiner hat so viel für das Recht auf Freiheit der Menschen büßen müssen wie Mussawi", sagte der Medienforscher Mohamed Altaha. Obwohl er damals unter Hausarrest stand, habe Mussawi im Mai vergangenen Jahres für Rouhani und seinen Reformkurs gestimmt. Der Grünen-Führer wisse halt besser als alle Demonstranten, dass Demokratie über Wahlen erreicht wird und nicht über Straßenslogans, fügt Altaha hinzu.

Der 23 Jahre alte Majid aus Teheran, der arbeitslos ist, hält jedoch nichts von diesen Diskussionen. Er hat über vier Jahre umsonst auf Rouhani und die Reformer gehofft. Nun protestiert er, weil er in diesem islamischen Regime keine Perspektiven sieht. Er lebt immer noch bei seinen Eltern, konnte nach der Schule nicht studieren und hat immer noch keinen Job. Er kann nicht mal ausgehen, weil er auch dafür kein Geld hat. "Schwärzer als schwarz gibt es ja nicht ...- das ist mein Leben und deshalb habe ich nichts zu verlieren." Die Proteste -oder vielmehr der Aufstand -im Iran hat als Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung begonnen. "Nein zu hohen Preisen", hieß es vergangene Woche in Mashhad im Nordostiran zunächst nur. Präsident Hassan Rouhani solle etwas gegen Inflation und Arbeitslosigkeit unternehmen. "Es geht ja nicht darum, ob einer ein besseres Wirtschaftsprogramm hat als Rouhani, sondern dass wir mit den Mullahs keine Perspektive haben", sagt der 23-jährige Student Ramin. Schon jetzt hat sich der werdende Architekt um einen Job beworben. Aber auch falls er ihn kriegen sollte, kann er sich mit dem Geld nicht mal eine kleine Wohnung leisten, von Heirat und Familie ganz zu schweigen. "Da gibt es Analphabeten, die in unserer Branche die Kohle machen, nur weil sie in irgendeiner Behörde einen Mullah kennen", sagt Ramin.

Für viele Iraner der Mittel-und Arbeiterklasse sind dubiose Mafiabanden und die Korruption im Land ein Albtraum. Die Wirtschaftsprobleme der Menschen -und die Korruption im Land -sind aber nicht neu. Es gehe auch hier wieder um den internen Machtkampf zwischen den Reformern und Hardlinern des Landes.

Lager-Machtkampf

Im Fokus stehen dabei nach Einschätzung des Politologen einflussreiche Hardliner-Kreise in Mashhad. Diese wollten mit Hilfe von Islamisten eine Anti-Rouhani-Kundgebung veranstalten, meint er. Bei dieser sollte unter dem Vorwand Wirtschaft und Inflation als Ausgangspunkt und später mit "Nieder mit Rouhani"-Slogans eine Protestwelle gegen den Reformkurs des Präsidenten gestartet werden. "Das ging dann aber gründlich schief", so der Politologe.

"Unsere Wirtschaft ist nicht so schlecht, wie sie dargestellt wird", sagt Präsident Rouhani. Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verzeichnete das Land für 2016 ein Plus von 12,5 Prozent und bis März 2018 wird ein Wachstum von 4,2 Prozent erwartet. Auch die Inflation fiel von fast 35 Prozent vor Rouhanis Präsidentschaft 2013 auf zuletzt 10 Prozent. Sogar der Außenhandel, zum Beispiel mit Deutschland, zeigte Fortschritte. Wirtschaftsexperten halten es für falsch, Rouhani alleine die Schuld zu geben.

Hoffnung und Enttäuschung

Mit dem Atomdeal von 2015 hoffte er über neue ausländische Investitionen die marode Infrastruktur zu erneuern, neue Arbeitsplätze zu schaffen und damit die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Aber auch das klappte nicht. Trotz Aufhebung der Sanktionen im Jänner 2016 weigern sich westliche Großbanken, besonders die mit US-Geschäften, die geplanten Handelsprojekte mit dem Iran zu finanzieren. Die Lage für Rouhani wurde mit der Präsidentschaft Donald Trumps in den USA und seiner Kritik an dem Atomdeal noch schlimmer. Auf einmal stand das gesamte Abkommen auf der Kippe. "Genau das war auch ein willkommener Anlass für die Hardliner, einen regelrechten Coup gegen Rouhani zu starten", sagt der Politologe. Nur wurde aus dem Anti-Rouhani-Coup ein Aufstand gegen das gesamte Regime.

"Die Lage für den iranischen Präsidenten Rouhani wurde mit der Präsidentschaft Donald Trumps in den USA und seiner heftigen Kritik an dem Atomdeal mit dem Iran noch schlimmer."

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