Ein Land im Öl-Konflikt

Werbung
Werbung
Werbung

"Tatsächlich hat Neuseeland jüngsten Berichten zufolge nachhaltige Klimaprobleme, die nicht einfach mit der Schließung von Bohrlöchern zu lösen sind."

Klimawandel ist der nukleartechnik-freie Moment unserer Generation." Kaum eine Aussage wird in Neuseeland im Zusammenhang mit Premierministerin Jacinda Ardern so häufig verwendet wie dieses Versprechen aus dem Wahlkampf der 37-Jährigen. Sie bezieht sich auf den Ausstieg aus der Atomkraft 1984, den Neuseeländer heute noch als Errungenschaft feiern. Wie dieser "nukleartechnik-freie Moment" für den Klimawandel aussehen könnte, ließ die schwangere Vorsitzende der Labour-Partei vor wenigen Wochen wissen: Nachdem sie mit Energieministerin Megan Woods und Klimawandel-Minister James Shaw eine Petition der Umweltschutzorganisation "Greenpeace" übernommen hatte, kündigte sie den Stopp weiterer Erdöl-und Erdgasprojekte im Meer vor Neuseeland an. Seither brodelt es im Inselstaat, nicht nur unter der Erde. Die Industrie protestiert, die Opposition mokiert sich über den "Publicity-Stunt". "Die jüngsten verheerenden tropischen Zyklone im Pazifik, Stürme und Überflutungen bei uns und Feuer in Australien haben uns erneut die katastrophalen Auswirkungen der globalen Erwärmung bewusst gemacht", verteidigte sich Ardern.

Hochgesteckte Ziele

Tatsächlich hat die Regierung ambitionierte Ziele: Bis 2050 möchte Neuseeland CO2-neutral werden, bis 2035 sollen zu 100 Prozent Erneuerbare Energien benutzt werden. Aber schon im Detail der neuen Richtlinie zeigen sich Risse. Zunächst betrifft der Ausbaustopp nur zukünftige Projekte. In bestehende Verträge zwischen Regierung und Industrie greift er nicht ein -und die erlauben Bohrungen zum Teil bis ins Jahr 2046. Außerdem werden in der lagerreichsten Erdgasregion Taranaki weiterhin zusätzliche Bohrungen an der Küste genehmigt. So scheint ein Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zwar logisch, einfach umzusetzen ist er aber nicht: Dabei hätte Neuseeland die besten Voraussetzungen. Es bezieht bereits rund 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien wie Geothermie, Wind-und Wasserkraft. Ein Großteil der Industrie setzt allerdings auf Erdgas; und das bereits für 2018 angekündigte Ende der Kohleverstromung scheint jetzt unerreichbarer denn je: Während der Minister für Klimawandel Neuseeland in einer internationalen Allianz für den Ausstieg aus Kohleförderung sieht, stellte Energieministerin Megan Woods kürzlich klar, dass ein ebensolcher überhaupt nicht geplant sei.

Auch was Öl und Erdgas betrifft, mehrt sich Kritik: "Es (ein Ausstieg) ist verheerend für unsere Wirtschaft", argumentiert Cameron Madgwick, Chef der "Petroleum Exploration and Production Association of New Zealand"(PE-PANZ),"jedes Jahr trägt unsere Industrie über 2,5 Milliarden Dollar zur neuseeländischen Wirtschaft bei und zahlt rund 500 Millionen Dollar an Steuern an die Regierung." Abgesehen davon würde Neuseeland mit seinen 4,7 Millionen Einwohnern laut jüngstem Report der "New Zealand Productivity Commission" ohnehin nur 0,2 Prozent der globalen Emissionen ausmachen. So gut das auf den ersten Blick klingt, stellt sich doch bei näherer Betrachtung heraus, dass die Inseln pro Einwohner weltweit zu den höchsten Treibgasemittenten zählen. Verantwortlich dafür ist einerseits der stetig wachsende Sektor Transport, andererseits auch die Land-beziehungsweise Viehwirtschaft. "Ein guter Brocken unserer Düngemittel wird aus Gas gemacht", erklärt Madgwick und ist überzeugt: Öl und Gas würde das Land aber noch viele, viele Jahre brauchen. Ohne neue Bohrungen würden Importe aus Übersee die Lücken füllen.

Wachsende Emissionen

Das Problem der Düngemittel und ihre Verwendung in der Futtermittelindustrie führt zu einem nächsten Feld nachhaltiger Klimaentwicklung: Ein Drittel des weltweiten Milchmarktes wird von Neuseeland bestritten. Es ist damit der größte Milchexporteur der Welt. Dass diese Industrie nicht nachhaltig ist und enorme Ressourcen verbraucht, wissen auch die Verantwortlichen des Konzerns "Fonterra". Sie haben laut dpa versprochen, bis 2050 die entstehenden Treibhausgase zu beseitigen. Doch hier stehen wirtschaftliche Interessen klar gegen nachhaltige Strategien. 47.000 Menschen sind in dem 4,7 Millionen Einwohner zählenden Land in der Milchwirtschaft beschäftigt. Tendenz steigend: Vor allem durch den wachsenden Bedarf Chinas konnte Fonterra im März sechs Prozent mehr Umsatz für das erste Quartal vermelden. In den vergangenen 30 Jahren hat sich die durchschnittliche Herdengröße von Milchvieh verdreifacht, die Weidefläche legte seit 1995 um 45 Prozent zu.

Tatsächlich hat Neuseeland jüngsten Berichten des Umweltministeriums zufolge Klimaprobleme, die nicht einfach mit der Einstellung von Bohrlöchern zu lösen sind. Letzteres ist ohnehin nicht möglich. Schon gar nicht über Nacht. Das wissen auch Umweltschützer wie James Renwick von der "Victoria University"."Aber es ist klar, dass wir sie so schnell wie möglich beenden", meint der Klima-Wissenschafter, "wenn wir jetzt nichts tun, wird der wirtschaftliche Schaden überwältigend sein. Neuseelands Produktion und Konsum von fossilen Brennstoffen ist im weltweiten Vergleich winzig, also müssen wir mit dem symbolischen Wert unserer Taten punkten." Wenn man mit den Bohrungen und dem Import von Öl sowie Gas aufhöre, so Renwick, "und mehr Energie in die Entwicklung Erneuerbarer Quellen steckt, was für ein Beispiel könnten wir für die Welt setzen".

Der Wille und der Weg

Darüber hinaus würde Erneuerbare Energie mehr Jobs schaffen als die Ölindustrie, beruft sich Amanda Larsson von Greepeace darauf, dass in den USA Solar-Jobs um ein Zwölffaches schneller wachsen als der Rest der Wirtschaft. Wissenschafter Renwick: "Wo ein Wille, da ein Weg -lass es uns angehen!"

Wie dieser Weg aussehen könnte, ist und bleibt ein Rätsel. Zwar hatte die Regierung bei der Ankündigung des Stopps verlautbart, bereits mit der Industrie, der betroffenen Region Taranaki und Umweltschützern an einer Transformation zu arbeiten. Der Bürgermeister von New Plymouth (Taranaki) wusste davon eigenen Aussagen zufolge jedoch nichts. Und auch sonst scheint alles beim Alten zu bleiben. Geht es etwa nach den Websites staatlicher Arbeitsagenturen, dann kann von einer Einschränkung keine Rede sein. Im Gegenteil. Die Ölindustrie sucht Experten, Ingenieure und Facharbeiter. Auf dem staatlichen Vermittlungsportal "New Zealand Immigration" weiß man jedenfalls noch nichts von der neuen Umweltstrategie. Dort heißt es in der Rubrik "Oil &gas jobs":"Neuseeland ist ein sich schnell entwickelnder Öl- und Gasproduzent mit vielen unerschlossenen Gebieten und signifikantem Potential." Neuseeland mag am anderen Ende der Welt liegen, zeigt aber die Bredouille, in der Politiker, Industrie und Umweltschützer auch hierzulande stecken: Die wirkliche Arbeit in Richtung Transformation steht noch bevor.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung