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Mexikos Präsident Nieto erklärte der Korruption den Krieg. Doch die alten Missstände lassen sich nicht einfach beseitigen. Es tobt ein Kampf um die Macht.

Der Leichnam von Nicolás Estrada Merino wurde wenige Tage vor den Kommunalwahlen vom 7. Juli mit drei Einschüssen im Kopf in einem Zuckerrohrfeld gefunden. Der Funktionär der linken Oppositionspartei PRD war für die Erstellung der Kandidatenlisten in seinem Bundesstaat zuständig. Rosalía Palma, Kandidatin der regierenden PRI in Oaxaca, überlebte ein Attentat, dem ihr Mann zum Opfer fiel. Im Bundesstaat Durango wurde Bürgermeisterkandidat Ricardo Reyes Zamudio eine Woche vor den Wahlen verschleppt und ermordet. In Sinaloa, Chihuahua und Veracruz wurden Kandidaten auf offener Straße niedergeschossen.

Die Liste der Kandidaten, die durch Mord oder Einschüchterung von den Listen verschwanden, ist lang. Laut einer Studie des mexikanischen Bundeswahlinstituts (IFE) war ein Fünftel des mexikanischen Territoriums bei den Präsidentschaftswahlen vor einem Jahr von Gewalt bedroht.

Bei Kommunalwahlen ist der Gewaltpegel erfahrungsgemäß noch höher. Am 7. Juli wurden Gemeinderäte und Bürgermeister in 14 der 31 Bundesstaaten neu gewählt. Wie viele der neuen Bürgermeister im Sold von Drogenkartellen, Waffenschiebern oder Erpresserbanden stehen, kann nur spekuliert werden. Die Parteizugehörigkeit sagt darüber gar nichts aus.

Rückkehr der Langzeitmachthaber

Alles beim Alten also in Mexiko? Nicht ganz. Nach zwölf Jahren Herrschaft der konservativen Nationalen Aktionspartei (PAN) kehrte am 1. Dezember mit Enrique Peña Nieto ein Mann der PRI in den Präsidentenpalast zurück. Die Partei der Institutionalisierten Revolution hatte das Land im 20. Jahrhundert siebzig Jahre durchgehend regiert. Vom jugendlichen Schwung nach der Revolution war wenig übrig geblieben. Klientelismus und Korruption prägten das System. Peña Nieto versprach jetzt einen Neuanfang und erstaunte zunächst auch seine Gegner mit einer Abkehr von der kriegerischen Rhetorik seines Vorgängers Felipe Calderón, dessen Politik der nationalen Sicherheit geschätzte 70.000 Menschenleben gefordert hatte. Die Drogenkriminalität war in seiner Regierungszeit zum alles beherrschenden Thema geworden. Der neue Mann trat jetzt nicht als Kriegsherr auf, sondern als Reformer, der sich um alle jene Bereiche kümmern wollte, die vorher zu kurz gekommen waren.

Da die PRI im Parlament über keine Mehrheit verfügt, schlug er den größten Oppositionsparteien, der konservativen PAN und der linken PRD, einen "Pakt für Mexiko“ vor, ein Reformprogramm, das auf einem Konsens der wichtigen politischen Kräfte beruhen sollte. Damit erübrigte sich der teure und Korruption fördernde Stimmenkauf im Kongress, der früher die nötigen Mehrheiten ermöglichte. Tatsächlich ließen sich die Parteichefs für den Plan gewinnen und unterzeichneten im März den Pakt. Wenige Wochen später konnte das Bündnis den ersten Erfolg feiern: eine Schulreform, die jahrelang von der mächtigen Lehrergewerkschaft SNTE blockiert worden war. Der Staat holt sich damit die Kompetenz zurück, Lehrerposten zu schaffen und zu besetzen. Außerdem wird die Lehrerausbildung neu organisiert und das Lehrpersonal muss sich regelmäßigen Evaluierungen unterwerfen. Bisher hatte die SNTE über die Postenvergabe entschieden. Um seine Entschlossenheit zu demonstrieren, ließ Peña Nieto einen Tag nach Verabschiedung der Reform die seit Menschengedenken amtierende SNTE-Chefin Elba Esther Gordillo verhaften.

Korruptionsvorwürfe

Der bis dahin mit einer Aura der Unberührbarkeit umgebenen Gewerkschafterin wird Korruption im großen Stil und Geldwäsche vorgeworfen. Sie soll den Gegenwert von mindestens 120 Millionen Euro an Gewerkschaftsgeldern auf Konten in den USA, der Schweiz und Liechtenstein geschleust haben, um dann Einkäufe in Luxusboutiquen, Schönheitsoperationen und den Erwerb von Häusern in Kalifornien zu finanzieren. Nirgendwo sind Gewerkschaftsbosse so mächtig wie in Mexiko und nirgends leben sie auf vergleichbar großem Fuß. "Es gibt keine unberührbaren Interessen“, verkündete Peña Nieto, der verspricht, die "faktischen Mächte“ zu bekämpfen. Dazu gehören neben den Gewerkschaften und den kriminellen Banden auch die Wirtschaftsmonopole. Mittels Pakt konnte auch ein neues Telekommunikationsgesetz verabschiedet werden, das den Markt öffnet und die Allmacht von América Móvil, dem Handy-Konzern von Carlos Slim, beschneidet. Das ist jenes Unternehmen, das letztes Jahr 22,76 Prozent der Telekom Austria übernahm. Carlos Slim gilt als reichster Mann der Welt.

Die Flitterwochen der Parteienallianz dürften aber bereits dem Ende zugehen. Denn in der Provinz blühen die alten Laster. So wurden im Wahlkampf führende PRI-Funktionäre im Bundesstaat Veracruz gefilmt, wie sie Zuwendungen aus dem Armutsbekämpfungsprogramm zum Stimmenfang einsetzten. Und nach den Kommunalwahlen vom 7. Juli warf die PRD der PRI vor, ein schmutziges Spiel zu betreiben. Rufmordkampagnen gegen ihre Kandidaten gehörten da noch zu den harmloseren Attacken. Und das bescheidene Abschneiden der PRD in den Gemeinden signalisiert, dass einzig die Regierungspartei PRI vom Pakt profitiert.

Nagelprobe für Nieto

PRD-Abgeordnete Aleida Alavez Ruiz erklärte nach dem Eintreffen der Ergebnisse, dass man den Weiterbestand des Paktes diskutieren werde: "Bisher stabilisiert er nur die Regierung.“ Die Wähler würden den falschen Eindruck bekommen, die PRD sei Teil der Regierung. Und bei den für Herbst angepeilten Reformen werden Tabus angepackt, die für die PRD als linke Bewegung heilig sind. Peña Nieto will das Wirtschaftswachstum von zuletzt durchschnittlich zwei Prozent auf sechs Prozent steigern. Dafür soll einerseits die Mehrwertsteuer auch auf Grundnahrungsmittel und Medikamente erhoben werden, andererseits geht es um die Liberalisierung der Erdölindustrie. Seit der Verstaatlichung in den 1940er Jahren dient die Ölgesellschaft Pemex dem Staat als Cashcow und einer parasitären Schicht von Funktionären als Bereichungsquelle.

Deswegen wird die eigentliche Nagelprobe für Peña Nietos Reformprogramm in der eigenen Partei stattfinden. Die Steuerreform sieht auch vor, dass die Abgaben von den Bundesstaaten erhoben werden, nicht mehr von den Gemeinden. Die Entmachtung Tausender Bürgermeister wäre die Folge. Die Öffnung des Molochs Pemex für ausländische Investitionen ist ein Vorhaben, das nicht nur die Interessen korrupter Funktionäre, sondern auch den Nationalstolz berührt. Royal Dutch Shell und Exxon Mobil, die vor 70 Jahren aus dem Land geworfen wurden, stehen bereits in den Startlöchern. Doch jüngste Umfragen zeigen, dass 65 Prozent der Bevölkerung die Liberalisierung ablehnen. Die für Verfassungsänderungen erforderliche Dreivertelmehrheit wird gegen die Stimmung im Volk schwer zu finden sein. Pakt hin oder her.

Der Ex-PRD-Präsidentschaftskandidat Cuauhtémoc Cárdenas, Sohn von Präsident Lázaro Cárdenas, der einst das Öl verstaatlichte, hat deshalb einen Gegenvorschlag vorgelegt, der die Modernisierung von Pemex ohne Verfassungsreform und Auslandsinvestitionen erlauben würde.

Die Investitionen, so der Regierungsplan, sollen die Förderung der gigantischen Schiefergasreserven durch das umweltschädliche Fracking und die Ausbeutung der Offshore-Reserven ermöglichen. Pemex verfügt kaum über eigenes Kapital, weil der Staat einen Großteil der Gewinne abschöpft und geschätzte Milliardenbeträge durch Korruption verloren gehen.

Schmiergeldzahlungen

Die mexikanische Presse weiß von Schmiergeldzahlungen an Funktionäre, die fette Verträge an Unternehmen der Drogenkartelle vergeben haben. Und dann ist da noch Carlos Romero Deschamps, der Boss der Pemex-Gewerkschaft. Mit einem offiziellen Gehalt von weniger als 1500 Euro finanziert er sich und seinen Kindern den Lebensstil von Popstars. Sohn José Carlos fährt einen Enzo Ferrari Sportwagen um zwei Millionen Dollar. Und Tochter Paulina dokumentiert auf Facebook ihre Weltreise im Privatjet und von einem Luxusrestaurant zum nächsten - begleitet von ihren drei Bulldoggen. Bei einem Staatsbesuch im Mai unterstützte US-Präsident Obama das ehrgeizige Reformprogramm seines mexikanischen Amtskollegen mit der Zielvorgabe: Die Mexikaner sollen durch den Tag kommen, ohne jemanden bestechen zu müssen.

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