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Digital In Arbeit

Ein neuer Vertrag mit der Gesellschaft

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1. Der neue Kontrakt des Sozialen Der erste Kontrakt handelt von einer Neuregelung des Systems „Bürger-Staat" hin zu.einer „zivilen Bürger-Gesellschaft". Ich möchte ihn hier nur streifen.

Die Debatten über den Sozialstaat werden heute auf einer völlig falschen Ebene geführt: Der des Sparern. Aber sein Problem besteht nicht in erster Linie darin, daß er zuviel Geld verbraucht, sondern darin, daß er schlichtweg zu wenig „Intelligenz" für eine Individual-Gesell-schaft hat.

Wir lösen Probleme, indem wir den Leuten Geld geben: Wir vernichten damit auf doppelte Weise Ressourcen. Das Geld des Steuerzahlers und die Kreativität dessen, den wir vor den Fernseher abschieben.

Warnfried Dettling, der konsequenteste Denker einer neuen Sozialpolitik, in der „Zeit": „Soziales Wachstum läßt sich in vielen Bereichen trennen vom Wachstum an Geld und Bürokratien. Die gesellschaftliche Wohlfahrt wird weiter wachsen, aber sie wird künftig in anderen Währungen (mehr Zeit und weniger Geld) verteilt werden. Zeitpolitik, eine kluge Mischung von Arbeitszeiten, Bildungszeiten und Freizeiten wird zu einem wichtigen Schlüssel für eine wirtschaftlich und sozial erfolgreiche Gesellschaft."

Work houses. Die neue amerikanische Arbeits-Sozialpolitik zum Beispiel basiert auf der Idee des „Jobtrainings statt Geldzahlung". In vielen Städten der USA, in denen sich eine hohe Sockelarbeitslosigkeit eingeschlichen hat, errichtet man sogenannte Work houses, in denen man mit ziemlich ruppigen Methoden Arbeitslose in Selbständigkeit trainiert. Man fragt den einzelnen: Was kannst Du? Was willst Du? Wie können wir Dir helfen? Wie können wir Dich voranbringen dabei, daß Du für Dich selbst sorgen kannst?

Übrigens gibt es so etwas auch in Dänemark, und keiner regt sich darüber auf. Was ist fürsorglicher? Der Arbeitslosen-Scheck oder diese „Förderung durch Forderung"?

2. Der neue Kontrakt der Produktivität

Der 2. Kontrakt bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Wirtschaft und dem einzelnen. Wir lesen ja heute viel vom „Turbo-Kapitalismus" und von den „brutalen Marktgesetzen", die unseren Wohlstand und unsere Demokratie bedrohen.

Ich behaupte, daß wir in Zentraleuropa auch deshalb so einen Horror vor dem „Markt" haben, weil wir ihn gar nicht kennen. In einer Gesellschaft der Individuen ist die alte Klassengesellschaft ein Anachronismus. Doch wir organisieren mit unseren Systemen und Denkweisen -Arbeitgeber-Arbeitnehmer, rechts, links, SPD-CDU/SPÖ-ÖVP - immer noch den alten Klassenkampf.

Die Folge ist das, was wir derzeit auf den Straßen und in den Köpfen erleben können. Die Menschen spielen plötzlich 19. Jahrhundert („Alle Räder stehen still, wenn der Kohlekumpel will" — welch ein Irrtum!), weil sie sich in keiner Weise innerlich mit den brennenden wirtschaftlichen Fragen verbunden fühlen.

Produktivität, Neue Technologien, Flexibilisierung das ist immer ein Problem der anderen, „der da oben".

Neben einem breiten Milieu heuer Selbständiger, das die „Arbeitsplätze", die nicht wiederkehren, in neue Arbeit umformen kann, wird die Beteiligung der Mitarbeiter am Produktiv-Vermögen der Gesellschaft entscheidend für die Lösung unserer Arbeits- und Systemkrise.

So könnte „Shareholder Value" eine ganz andere Bedeutung bekommen - „Workholder Value".

Die Angelsachsen sagen nicht umsonst „shares" zu den Aktien.

Zum Vergleich: In Deutschland befinden sich fünf Prozent des Produktivvermögens in der Hand der „kleinen Leute"; in den USA sind es 25, bei unserem Nachbarn tschechische Republik über 57 Prozent.

Was geschieht in einer Gesellschaft, in der die „kleinen Leute" das Produktivvermögen besitzen? Das gesamte gesellschaftliche Klima wird sich ändern. Von einer Gesellschaft der Spannungen, der Opfer und der Täter zu einer „cooperate society". 3. Der neue Kontrakt des Wissens Ich bin nicht gegen eine Umverteilungsdebatte, ich meine nur, daß wir sie am falschen Punkt führen - auf einer letzten Endes primitiven Ebene.

Wenn wir, wie Hans-Peter Martin und Harald Schumann es in ihrem Buch „Die Globalisierungsfalle" vorschlagen, 30 Prozent Luxussteuer einführen, dann denken wir in der alten, primitiven Weise, und das wird sich rächen - mit Kapitalflucht und Steuerbetrug.

Was wir umverteilen müssen, ist nicht Geld, sondern Wissen. Oder besser: Zugang zu Wissen Wissens-, Kompetenz. Und das ist ein Kapita, das weder Inflation noch Verbrauch kennt - eine Ressource, die sich bei Gebrauch ständig mehrt.

Lester Thurow schreibt in seinem Buch „Die Zukunft des Kapitalismus": Vielleicht läßt sich ein neuer Gesellschaftsvertrag auf folgender Ebene abschließen: Lebenslange Beschäftigung und steigende Löhne kann kein Unternehmen bieten. Das Unternehmen kann sich aber sehr wohl verpflichten, dem Mitarbeiter während seiner Beschäftigungszeit die Möglichkeit zur beruflichen Weiterqualifizierung zu bieten.

Mit diesen erweiterten Qualifikationen kann der Mitarbeiter anschließend bei einer anderen Firma ein höheres Gehalt verdienen. An Stelle lebenslanger Beschäftigung tritt lebenslange Beschäftigbarkeit.

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