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Ein Pater für die Armee

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Einst zählte die Sowjetarmee unter Michail Gorbatschow über drei Millionen Mann. Die Rüstungsindustrie hatte bis 1992 Vorrang. Die Militärakademien wurden weiterhin als „Fabrik der Offiziere” angesehen und verwendet. Heute zählt die russische Armee lediglich 1,7 Millionen Mann, sie sollte in kürzester Zeit auf 1,5 Millionen reduziert werden. Boris Jelzin will bis Ende des Jahrhunderts die Armee völlig auf Söldner-Armee umstellen.

Die Idee ist nicht übel, sie kostet nur viel Geld - und bringt mit sich äußerst große soziale Probleme. Denn eine Berufsarmee braucht in erster Linie junge Leute -was passiert mit den vielen Offizieren, die heute zwischen 30 und 50 Jahre alt sind und bisher ihr ganzes Leben auf die Armee setzten? General Alexander Lebed, dritter bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am vergangenen Sonntag, der heute im neuen Rußland sowohl als politischer wie auch militärischer Faktor eine Rolle spielt, will die Armee bei 1,7 Millionen Mann einfrieren lassen. Er braucht ein stehendes Heer.

Die Rüstungsindustrie - dazu gibt es noch immer Geld in Rußland - produziert weiter. Der neue U-Boot-Abwehrkreuzer „Peter der Große” ist unlängst vom Stapel gelaufen. Das mobile System, die kosmische Rakete TOPOL, ist fertig für die Massenproduktion. Ein neuer Typ eines Atom-U-Bootes ist insgeheim entstanden, er heißt „Taifun”. Auch die Luftwaffe kann mit neuer Technik aufwarten. Der Überschallraketenträger „TU 160” fliegt bereits. Das Heer bekam Anfang 1996 seine ersten neuen Panzer vom Typ T-90. Jetzt wird er ausprobiert und dann geht er in die Produktion. Moskau will damit seine Panzerarmada (bestehend aus T-72, T-80) ersetzen.

Ist diese Russische Armee für Westeuopa „gefährlich”? Nein! Die Russische Armee ist zwar da, technisch gerüstet. Ihr Rückgrat ist aber zerbrochen. Mit einer Armee ohne „Seele” kann man keine Offensivhandlungen setzen, ja nicht einmal Defensivaufgaben übernehmen. Man muß sich nur einmal die Gesichter der in Tschetschenien eingesetzten russischen Soldaten und Offiziere anschauen.

Das Offizierskorps ist die Seele einer Armee. Der russische Offizier, der als Vorbild in der ehemaligen sozialistischen Gesellschaft angesehen war, ist heute ein „Nichts” - weder gesellschaftlich noch militärisch angesehen. Die Löhne der Offiziere werden unregelmäßig ausgezahlt und sind

äußerst niedrig. Die aus Osteuropa heimgekehrten Berufsoffiziere der westlich der Karpaten stationierten sowjetischen Truppen haben meistens nicht einmal ihre Wohnungsprobleme gelöst. Ihre Chancen, in der Russischen Armee eine Karriere zu machen, sind äußerst gering. Sie sind politisch verwirrt. Waren sie einst eine militärische Supermacht in einem Reich von Wladiwostok bis Berlin, sind sie heute „nur” auf dem Gebiet der Russischen Föderativen Republik tätig. Einen politischen Leitfaden haben sie nicht. Die Politoffiziere wurden abgeschafft. In einer Demokratie braucht man diese nicht. Eine russische militärische Tradition kennen sie nicht: So etwas wurde ihnen in der Akademie nie als Lehrstoff vorgelegt. Sie haben eigentlich keine militärischen Wurzeln und vegetieren dahin, von einem Tag auf den andern.

General Lebed ist jetzt für sie ein Hoffnungsschimmer. Alexander Lebed: jung, energisch, dynamisch -wenn auch politisch nicht sehr gebildet. Er verkörpert aber in seiner Person die Zukunft der Russischen Armee.

Lebed als Verteidigungsminister im neuen Kabinett von Boris Jelzin? Man kann es sich vorstellen. Mit ihm wäre der innere Friede in der Armee wiederhergestellt, die Armee hätte wieder einen „Vater”. Aber auch das bedeutet noch weit nicht, daß diese Russische Armee in den nächsten 20 bis 30 Jahren für Westeuropa gefährlich werden könnte.

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