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Ein politischer Kraftakt für das Einigungswerk ist nötig

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Demokratisierung der Union und Steigerung der Effizienz ihrer Organe lauten die - teilweise einander widersprechenden - Hauptforderungen, mit denen sich die Reformer des Maastricht-Vertrages konfrontiert sehen.

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Demokratisierung der Union und Steigerung der Effizienz ihrer Organe lauten die - teilweise einander widersprechenden - Hauptforderungen, mit denen sich die Reformer des Maastricht-Vertrages konfrontiert sehen.

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Wenn auch die Kritik am sogenannten „Demokratiedefizit” der Europäischen Union vordergründig erscheint, weil die demokratischen Errungenschaften von der nationalen nicht ohne weiteres auf EU-Ebene übertragen werden können, so besteht doch ohne Zweifel ein beträchtliches Potential für eine Aufwertung des Europäischen Parlaments sowie für eine stärkere Einbeziehung der nationalen Parlamente in das Integrationsgeschehen.

Die Beratungen der Regierungskonferenz im ersten Halbjahr lassen bereits die wichtigsten Meinungstrends zur institutionellen Weiterentwicklung der Union erkennen. Gleichzeitig hat die bisherige Debatte Möglichkeiten und Grenzen der geforderten Demokratisierung und Ef-ffzienzsteigerung der EU deutlich gemacht.

Was das Europäische Parlament (EP) anlangt, zeichnet sich die Tendenz ab, die bisherigen überaus komplizierten Formen von dessen Beteiligung am Willensbildungsprozeß der EU radikal zu vereinfachen. Der Kern der Beformbestrebungen aber kreist nicht so sehr um eine prozedurale Verbesserung, als um die Frage, ob das EP in seinen Befugnissen aufgewertet werden sollte. Die Mitgliedstaaten sind freilich von einem Konsens über eine Ausweitung der legislativen Kompetenzen des EP noch meilenweit entfernt. Im übrigen sind hiezu auch die österreichischen Grundsatzpositionen zur Regierungskonferenz ziemlich zurückhaltend. Im Bereich der politischen Kontrolle gibt es Vorschläge, dem Parlament bei der Wahl des Kommissionspräsidenten ein Bestätigungsrecht einzuräumen. Hinsichtlich seiner wichtigsten Aufgabe -bei der Erstellung des Gemein-Schaftshaushalts - dürfte sich für das

EP bei der Begierungskonferenz keine wesentliche Änderung ergeben.

Generell wurde festgestellt, daß die Mitgliedzahl der Euro-Mandatare im Interesse der Funktionsfähigkeit des Parlaments nicht unbegrenzt erhöht werden kann - häufig wird als Obergrenze die Zahl von zirka 700 Abgeordneten genannt. Bezüglich der Verhältnismäßigkeit der Sitzverteilung gibt es Differenzen unter den EU-Ländern, da die „Großen” das derzeitige, die bevölkerungsärmeren Länder begünstigende System ändern wollen. Tatsächlich ist es schwierig, gleichzeitig dem Grundsatz einer proportionalen Bevölkerungsvertretung Bech-nung zu tragen und für eine ausreichende Vertretung der bevölkerungsärmeren Mitgliedstaaten zu sorgen. Es versteht sich, daß Österreich, das zu letzteren zählt, vehement für eine Beibehaltung der bestehenden Verhältnisse bei der Sitzverteilung eintritt.

Zu den schwierigsten Aufgaben gehören all jene Beformschritte, die im Bereich der beiden zentralen Institutionen Bat und Kommission zu setzen sind. Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß eine erweiterte Anwendung des Mehrstimmigkeitsprinzips im Bat ein taugliches Mittel zur Steigerung der Wirksamkeit des EntScheidungsprozesses wäre, liegt es doch auf der Hand, daß der Grundsatz der Einstimmigkeit diesen Prozeß lahmlegen kann. Andererseits können durchgepreßte Mehrheitsentscheidungen dazu führen, daß sie von den überstimmten Mitgliedstaaten letztlich nicht angenommen werden. So war es bezeichnenderweise in der Begierungskonferenz bisher auch einfacher, jene Bereiche zu umschreiben, in denen auch in Hinkunft in keinem Fall vom Einstimmigkeitsprinzip abgegangen werden soll (zum Beispiel wichtige politische oder wirtschaftliche Fragen), als Kriterien für eine erweiterte Anwendung des Mehrstimmigkeitsgrundsatzes zu entwickeln. Dazu kommt die heikle Frage der qualifizierten Mehrheit und der Stim-mengewichtung im Bat. Auch hier stehen einander, wie beim Parlament, die Interessen der großen und der kleinen Mitgliedstaaten gegenüber.

Hinsichtlich der Europäischen Kommission konzentrieren sich die Reformvorstellungen auf deren Zusammensetzung und Aufgaben. Vor allem in der Perspektive der erwarteten Erweiterung der EU auf bis zu 30 Mitgliedstaaten wurde dargelegt, daß auch die Zahl der Kommissare auf vielleicht 20 begrenzt werden müßte. Demgegenüber wird - wiederum unter dem Gesichtspunkt der Legitimität und der Akzeptanz - vor allem < von den kleinen Mitgliedstaaten kategorisch der Standpunkt vertreten, daß der Kommission mindestens ein Angehöriger jedes Landes angehören muß. Akut wird diese Frage wohl erst werden, wenn die nächsten Etappen der Unionserweiterung schubweise mehr als zwei oder drei neue Mitgliedstaaten umfassen. Die Kompetenzen der EU-Kommission - darin scheinen sich alle Mitgliedstaaten einig - sollten in ihrem wesentlichen Bestandteil, nämlich dem ausschließlichen Initiativrecht im Gemeinschaftsbereich, unverändert bleiben.

Die dargelegten Schwierigkeiten in einigen der wichtigsten Institutionsfragen zeigen bereits, welches politischen Kraftaktes es noch bedarf, um vor dem aktuellen Hintergrund das europäische Einigungswerk bei der Begierungskonferenz auch nur ein kleines Stück voranzubringen.

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