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Ein rekordinterpretiertes Credo?

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Die olympische Bewegung ist stolz, das Dach für den Weltsport zu sein und mit etwa 200 Nationen die weltweit größte Sportveranstaltung zuwege zu bringen. Gerne sieht man sich auch als die weltweit größte, grenzüberschreitende Friedensbewegung unseres Zeitalters. Man scheut auch nicht davor zurück, sich als säkularen und gleichzeitig quasi-religiösen Überbau aller Völker und Nationen zu betrachten, gehören doch zur olympischen Bewegung nahezu alle Länder unseres Erdballs.

In dieser Einschätzung liegt sicher eine Überschätzung der politisch im weitesten Sinn relativ wirkungslosen olympischen Philosophie vor.

Andere Stimmen bezeichnen das periodisch wiederkehrende olympische Spektakel als Aufmarsch des weltgrößten Kommerzunternehmens, als Plattform und Spielwiese eines gigantischen Medienzirkus, Sponsorenringes und zahlloser Wirtschaftsriesen, gleichzeitig als Forum für Stars aller Couleurs. In dieser Einschätzung liegt meines Erachtens eine Unterschätzung des olympischen Erbes vor.

Zwischendrin, von überall etwas, spielt sich wohl der Stellenwert der olympischen Ereignisse ab. Bei der heute explosionsartig sich entwickelnden Megaveranstaltung mit einem ständigen Mehr an Sportlern, Sportarten, teilnehmenden Nationen, Medienvertretern und so weiter, einem un-durchdringbaren Netz an Sicherheitsvorkehrungen, an Wettkampfstätten und Olympiastandorten, droht ein Crash dieses fast nicht mehr sinnvoll durchführbaren Konglomerats zahlloser Einzelweltmeisterschaften unter dem Namen Olympia.

Von einer ganz anderen Seite betrachtet zeigt sich folgende Tatsache: Olympia übt eine magische Anziehungskraft auf alle Sportlerinnen) aus. Und nichtolympische Sportarten träumen von einer Aufnahme in den erlesenen Kreis des olympischen Sports. Der Zufallssieg Goldmedaille zählt weit mehr als etwa ein Weltcupgesamtsieg, der nur dem wirklich Saison-Besten zukommt. Dabeisein im Kreis der Weltbesten ist alles, Finalplätze zu erreichen ist super, eine Olympiamedaille zu erreichen ist wie ein Griff nach den Sternen, die Goldmedaille zu gewinnen, das ist Ankunft im Sportlerhimmel. Mit dem Erreichen des Zielbahnhofes Olympia hat der Athlet das Gefühl Rechtfertigung, daß sich jahrelanger Trainingsschweiß und alle Opfer stundenlanger, täglicher Schwerarbeit - sprich Training - ausgezahlt haben (vier bis sechs Stunden beispielsweise bei den Mädchen in der Rhythmischen Sportgymnastik, den zerbrechlichsten und doch so robusten Athletinnen).

Für österreichische Spitzensportler nimmt sich der kommerzielle Hintergrund äußerst bescheiden aus, ja ich glaube, er ist zu vernachlässigen. Es gibt Goldmedaillengewinner(innen), die kaum nennenswerte finanzielle

Die Olympischen Spiele waren einst Wettkämpfe zu Ehren der Götter. Die religiösen Wurzeln wurden von einer säkularisierten olympischen Idee ersetzt. v ortene verzeicnnen Konnten, jeaem Alibi-Profikicker geht es finanziell ungleich besser.

Olympia hat als Weltsportereignis Nr. 1 den höchsten symbolischen Wert im Sportlerleben, abgesehen von wenigen Zirkus-Sportlern (Tennis zum Beispiel), deren einziger Horizont die pekuniäre Vermarktbarkeit ist, weil deren Sportarten eben maximal Zuschauer- und medientauglich sind.

Qualifikationsrichtlinien sind eine ungemein große Motivation für Leistungssteigerungen. Die ist auch derzeit vor Atlanta 96 wieder zu beobachten. Olympionike werden zu können ist vielleicht ein ähnlicher Anreiz, wie etwa in bestimmten Berufen „Hofrat” werden zu können. Nicht nur Anreiz, sondern ein Berufstitel für den Sportlerberuf.

Die Wurzel der modernen olympischen Bewegung liegt in grauer Vorzeit. Von Griechenlands Berg Olymp, dem antiken Götterhimmel, stammt der Name wie auch die religiöse Wurzel der Olympischen Spiele. Sie waren Wettkämpfe zu Ehren der Götter, aber bald zum Ruhme der Menschen. Himmel und Erde, oben und unten, Gott und Mensch bildeten noch eine Einheit, während heute eine säkularisierte olympische Ideologie das Oben ersetzen soll, freilich verkehrt proportional wirkungsvoll zur sportlichen Faszination Olympia. Schon in der Antike gesellten sich Show und Kommerz zu den Spielen, auch eine oft unfaßbare Brutalität, so daß sich Kaiser Theodosius in der ausgehenden Antike 393 genötigt sah, das Kapitel Olympia per Dekret zu schließen.

Nach einem 1500jährigen Dornröschenschlaf wurde Olympia wieder wachgeküßt von Pierre de Coubertin, der unter dem Einfluß seines Erziehers, Pater Didon, die neuzeitliche olympische Formel des citius altius und fortius kreierte; damals noch Erziehungsideal und keinesfalls der Aufruf zum Rekordstreben.

Die alten hehren Ideale und pädagogischen Ideen, eine romantisierend-dichterische Sprache erlagen schnell der politischen Realität. Allerdings, der Funke hat gewaltig gezündet. Die religio athletae ist gescheitert, die sportliche Auswirkung hingegen war höchst erfolgreich. So erfolgreich, daß sich gegenwärtig ein Gigantismus sondergleichen zeigt. Terrorgefahr und Hochsicherheitsdenken dämpfen ein wenig die Freude und Unbeschwertheit der Teilnehmer, für Konsumenten jedoch nicht erkennbar.

Olympische Spiele der Gegenwart sind das medienfüllende Großereignis des Verwertungssports, der heute viele Menschen beschäftigt und somit auch Arbeitsplätze bringt. Der Sportler als Mittelpunkt ist gleichzeitig Selbstzweck und Mittel, manchmal mehr das eine, manchmal mehr das andere. Keinesfalls ist es so, daß der Sportler eine bloße Marionette in den Händen anderer ist. In hohem Maß geht über seine eigene Leistung die Freiheit des Athleten ein in diese Bewegung. Zu kämpfen hat der Berufssport, besser die Verberuflichung sportlicher Tätigkeit, mit dem Dauerproblem Doping, der Folge des rein rekordinterpretierten Credos „citius, altius, fortius” (schneller, höher, stärker).

Auf diesem kurz skizzierten Hintergrund ist die Olympiaseelsorge in Österreich und international zu sehen. Startschuß für diese kirchliche Seelsorge war 1972 mit München. Über Initiative von Rudolf W eiler kam es zu einer Kooperation des Referates „Kirche und Sport); mit dem Österreichischen Olympischen Komitee unter der damaligen Leitung von Präsident Kurt Heller. Der erste österreichische Olympiakaplan war Fritz Pechtl, ein äußerst fähiger Sportseelsorger, der aber 1981 plötzhch verstarb. Nach diesem Pionier kam mir 1982 die Fortsetzung der Olvmpia- und Spitzensportseelsorge zu. Auch in Italien und Deutschland gibt es eigene Olympiaseelsorger. Diese drei Länder haben bedeutende Sportangebote in der kirchhchen Jugendarbeit über Diözesansportver-bände. Nicht wenige Seelsorger arbeiten darin mit. Dazu kam nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine starke kirchliche Dvnamik für eine kategoriale Seelsorge. Motto dafür >_I_ war: Lebensbegleitung in den irdischen Wirklichkeiten. Ansatzpunkt für die Spitzensportseelsorge war die besondere Situation dieser Menschen, die einem großen Erfolgsdruck, Verletzungen und vielfachen Gefahren ausgesetzt sind.

Spitzensportler bedürfen besonderer Hilfen und Zuwendung, unter anderem der Medizin und Psychologie und sicher auch der Seelsorge. Die Offenheit dafür bestätigt diese Initiative. Über die katholische und evangelische Kirche hinaus bemühen sich evangeli-kale, auf den Sport spezialisierte Bewegungen, manchmal radikal und fundamentalistisch, um Spitzenathleten. In den olympischen Dörfern gibt es religiöse Angebote für Sportler aller Religionsgemeinschaften. Das Besondere für die österreichische Olympiamannschaft ist, daß sie einen eigenen Seelsorger hat und mitnimmt. 24 Jahre Olympiaseelsorge haben viele Früchte gezeitigt. In zahllosen Veranstaltungen und Begegnungen hat sich ein Vertrauensverhältnis mit vielen Sportlern und Betreuern sowie Funktionären aufgebaut und konnten zahlreiche kirchliche Dienste (unter anderem Trauungen, Taufen, Gottesdienste, Begräbnisse, Krankenbesuche) geleistet werden.

Das Selbstverständnis des Seelsorgers in der sportpastoralen Tätigkeit läßt sich vielleicht am besten mit dem biblischen Bild von der Sorge des guten Hirten beschreiben, der den Seinen nachgeht, sich in Höhen und Tiefen für interessiert und ihnen die Quellen des Glaubens bei bedeutenden Sportereignissen zugänglich macht. Viele Gespräche, viel Reden-Lassen, gehört dazu; immer auch das Gestalten und Anbieten von Gottesdiensten. Dies alles mit Diskretion, ohne Aufdringlichkeit und Fanatismus. Sportler und Seelsorger sind Partner. Letzterer spricht Mut und Trost zu, je nach Situation und Lage. Menschenfreundlichkeit, Humor und Kontakt bereit-schaff können die Begegnungen erleichtern, ebenso, wenn es gelingt, daß der Seelsorger eine fachliche Kompetenz im Sport einbringen kann. Gefordert ist vom Seelsorger, daß er zwischen sportlichen Großer-_i_L eignissen viel Zeit in Kontakte, in Besuche von Sportveranstaltungen investiert. So baut sich über Jahre eine persönliche Bindung mit vielen Menschen im Sportbereich auf, die dann auch bei Großereignissen, wie etwa Olympischen Spielen, zum Tragen kommt. Persönlich bin ich im Dach-verband der österreichischen Sportunion beheimatet, sowie in einigen Sportfach verbänden und Spitzensportvereinen im Wiener Bereich. Kaplan Pechtl, mein Vorgänger, war staatlich geprüfter Fußballtrainer, meine Wenigkeit staatlich geprüfter Faustballtrainer und Absolvent eines Sportstudiums. Dieser sportliche Hintergrund erleichtert diese Seelsorge.

Phänomen Mensch - Phänomen Sport: Darüber sollte auch der Sport-Seelsorger viel nachdenken. Wettkampf und Spiel gehören zum Menschen wie Essen und Trinken. Dazu kommt im Hochleistungssport die außergewöhnliche Leistung bis zum Rekord. Im Spitzensport verwirklicht der junge Mensch seine leiblichen Talente, greift aus nach den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit, die er bisweilen bewußt oder ungewollt überschreitet. Spitzensportler sind Könner und Künstler mit einer besonderen Nahbeziehung zur eigenen Leiblichkeit. Erfolgreich sein, heißt dann auch glücklich sein.

Die Gefahren und der Preis, die häufig dafür bezahlt werden, sind hoch, die ethischen Herausforderungen sich selbst, der Regel und dem sportlichen Gegner gegenüber sind groß. Fairneß heißt das Gebot der Stunde, aber vor allem die Fairneß der Konsumenten und Produzenten gegenüber dem Sportler. Nicht mehr verlangen als das, was die sportliche Regel und das moralische Gebot ermöglichen.

Die große Aufgabe der Olympischen Bewegung wäre, einen humanen Spitzensport philosophisch-anthropologisch aufzuweisen und vor der allgewaltigen Kommerzialisierung und Erfolgsethik zu schützen. Dieser Aufgabe dürfte Olympia aber nicht so leicht nachkommen können. Umso mehr müssen die Sportwissenschaften und auch die Kirchen- und Religionsgemeinschaften jene Werte aufzeigen, die dem humanen Sinn des Spitzensports entsprechen. Das Gewissen der Sportler und Sportverantwortlichen ist zu bilden und zu schützen gegenüber dem Diktat einer reinen Erfolgsideologie. Die zentrale Tugend im Sport, die Fairneß, ist mit Inhalt und Leben zu füllen. Wettkampf, Erfolg und Rekord, ja, aber so, daß verantwortungsbewußte Eltern dies jederzeit auch ihren Kindern zumuten können.

Die Sportseelsorge wird, aus der Tradition der Philosophie und Theologie, betonen, daß der irdische Siegespreis etwas Wichtiges und dem Menschen Entsprechendes ist, worüber aber nicht der Kampf um den ewigen Siegespreis vergessen werden darf. Als Ebenbild Gottes und als Tempel des Heiligen Geistes sollen in Leistung und Ästhetik des Sportlers immer auch deren Schöpfer und Begründer transparent werden.

Diese positive Interpretation des Spitzensports ist Aufgabe auch der Sportseelsorge und immer neu zu bedenken sowie dem heutigen Sportler, Betreuer, Funktionär und allen im Hintergrund oder vordergründig die Fäden Ziehenden zu erschließen.

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