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Ein schwerer Entschluß

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Noch in diesem Herbst wird Südtirol beziehungsweise seine politische Vertretung vor die vielleicht folgenschwerste Entscheidung seit dem Abschluß des Pariser Abkommens im September 1946 gestellt werden. Die Parteigremien der Südtiroler Volkspartei werden sich nun nämlich endgültig entscheiden müssen, ob sie die von Italien bisher angebotenen Konzessionen für die Regelung der Südtirolfrage als ausreichend ansehen oder nicht.

Wie aus Indiskretionen von hoher diplomatischer Seite bekannt geworden ist, hat Außenminister Saragat, heute Staatspräsident, seinem österreichischen Kollegen Kreisky beim letzten Treffen in Paris, am 16. Dezember 1964, deutlich zu verstehen gegeben, daß Italien über die von ihm eingeräumten Zugeständnisse nicht mehr hinausgehen könne. Schon jetzt, habe Saragat seinem Gesprächspartner, mit dem ihn nicht nur die gemeinsame sozialistische Gesinnung, sondern auch gute menschliche Beziehungen verbinden, damals erklärt, sei er wegen seiner Konzessionsbereitschaft von verschiedenen Regierungsmitgliedern kritisiert worden. Bei den Mitgliedern des italienischen Kabinetts dürfte es sich mit großer Wahrscheinlichkeit vor allem um die Minister Taviani (Inneres), Andreotti (Verteidigung) und um andere rechtsstehende DC-Politiker handeln.

Die österreichische Regierungsdelegation hat der SVP in der Folgezeit diesen Standpunkt Saragats in aller Entschiedenheit klargelegt. In Südtirol wollten daraufhin die Gerüchte nicht verstummen, daß Doktor Kreisky die SVP-Politiker mehrmals auf den Ernst der Lage aufmerksam gemacht (dies wurde teilweise als „Druck“ interpretiert) und die zukünftigen Verhandlungschancen in sehr düsteren Farben geschildert hätte. Tatsächlich scheint Doktor Kreisky gegenüber den Südtirolern mit allem Nachdruck für eine Annahme der italienischen Vorschläge von Paris plädiert zu haben.

Pariser Bilanz

Was ist nun in Paris tatsächlich erreicht worden? Das Ergebnis kann auf einen recht kurzen Nenner gebracht werden. Im wesentlichen liegen die Vorschläge Saragats etwas unter den Ergebnissen beziehungsweise Vorschlägen der Neunzehnerkommission, dafür sozusagen „garniert“, mit der Verpflichtung, das Verhandlungspaket durch die Einsetzung eines Schiedsgerichtes auf fünf Jahre untermauern zu lassen. Italien verpflichtet sich demnach also, die durch Neunzehnerkommission, Außenministertreffen und inneritalienische Kontakte der SVP erzielten Ergebnisse innerhalb von fünf Jahren in die Wirklichkeit umzusetzen. Über eventuelle Streitigkeiten würde ein (wahrscheinlich) fünfköpfiges Schiedsgericht befinden, das sich nach den bisherigen Vereinbarungen je aus einem Mitglied der Kontrahenten, aus je einem Wahlmitglied derselben und aus einem gemeinsam zu bestimmenden Präsidenten bestehen würde.

Was den Präsidenten dieser Schiedskommission betrifft, brauchte man sich wahrscheinlich weder in Bozen noch in Wien und Rom große Sorgen zu machen, eine mit guten Südtirolkenntnissen ausgestattete Persönlichkeit europäischen Rufes zu finden. Der belgische Senatspräsident Struye, der auf Antrag des Europarates beziehungsweise des diesbezüglichen Südtirolausschusses schon mehrmals mit Takt und Geschicklichkeit zwischen Farnesina und Ballhausplatz zu vermitteln versucht hat, wäre ein für beide Teile idealer Präsident, der sich für diesen heiklen Posten geradezu „aufdrängen“ würde.

Trotz dieser beachtlichen Fortschritte, die in Wien mit einem gewissen Stolz immer wieder betont wurden, aber auch in Südtirol mit Genugtuung zur Kenntnis genommen wurden, hat das Verhandlungsergebnis von Paris noch wesentliche Südtiroler Forderungen offen gelassen. Zu den wichtigsten zählen vor allem die

• mangelnde Budgethoheit für den künftigen Südtiroler Landtag:

• mangelnde Kompetenz auf den Gebieten der Industrie, der Arbeitsvermittlung, der Energiewirtschaft, der Kontrolle über das Meldewesen, des Kreditwesens und • der Forderung nach einer Mitverantwortung am Polizeiapparat, einer Forderung, die nach all dem, was in den letzten Jahren in Südtirol an direkten Übergriffen und psychologischen Fehlgriffen seitens der italienischen Polizei geschehen ist, nicht nur verständlich, sondern als unbedingt notwendig empfunden werden muß.

Daneben stellen auch die echte Gleichberechtigung der deutschen Sprache im Amtsverkehr, die Einheit der Schulverwaltung und eine Reihe von kleineren Fragen noch offene Südtiroler Forderungen dar.

Die lange Pause

Nach der Wahl des bisher hinsichtlich der Südtirolfrage aufgeschlossensten italienischen Außenministers zum Staatspräsidenten, haben die Außenministergespräche eine Unterbrechung erfahren, die nun schon fast ein Jahr anhält. Wohl haben die Südtiroler im Frühjahr (nicht zuletzt auf Wunsch Dr. Kreis-kys, der die SVP-Politiker wohl von der „Realistik“ seiner Südtirolpolitik überzeugen wollte) bei Ministerpräsident Moro, bei den Sekretären der vier Regierungsparteien und nicht zuletzt auch bei Präsident Saragat vorgesprochen, nicht nur, um die eingefrorenen Gespräche zu urgie-ren, sondern vor allem auch den italienischen Verständigungswillen zu „testen“.

Die Vorsprachen verliefen insofern erfolgreich, als alle römischen Spitzenpolitiker ein gewisses Verständnis für die noch offen gebliebenen Südtiroler Forderungen zeigten und selbst die Notwendigkeit einer baldigen Beilegung des innen- wie außenpolitisch unbequemen Streitfalles betonten. Wer sich freilich konkrete Ergebnisse als Frucht dieser Aussprachen erwartet hatte, sollte enttäuscht werden.

Warum schwieg Fanf ani?

Auf eine verbindliche Südtirolerklärung Fanfanis, des Nachfolgers Saragats in der römischen Farnesina, hat man bislang nicht nur in Bozen vergeblich gewartet. Fanfani, von dem bekannt ist, daß er größere Pläne verfolgt, als jahrelang den Posten des Außenministers zu bekleiden, hat das Südtirolproblem nach Ansicht der Pessimisten sozusagen wieder in die „Schublade“ gelegt. Aus römischen Indiskretionen, aus gut unterrichteten DC-Abgeordne-tenkreisen, wül man in Bozen erfahren haben, daß auch Fanfani zu jenen DC-Politikern gehört, die Saragats Pariser Zugeständnisse als zu weitreichend ansehen würden. Vor allem der Gedanke der internationalen Verankerung des Vertragspakets durch die Einsetzung eines Schiedsgerichts soll ihm wenig behagen.

Die Südtiroler haben mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Fanfani nicht gerade die besten Erfahrungen gesammelt. Trotzdem wäre es übertrieben, den ambitionierten Toskaner als Gegner einer vernünftigen Südtirollösung zu bezeichnen. Sicher ist auch Fanfani daran interessiert, mit Österreich zu einer Einigung über die Streitfrage zu gelangen. Ob Fanfani allerdings auch bereit ist, damit eventuell verbundene innenpolitische und innerparteiliche Unannehmlichkeiten und Reibereien auf sich zu nehmen, muß wegen seiner Ambitionen auf den Ministerpräsidentensessel bezweifelt werden. Daneben soll objektiverweise auch nicht vergessen werden, daß sich Fanfani schon seit Jahren mit der Südtirolfrage nicht mehr befaßt hat und daher — wie Doktor Kreisky erst kürzlich voll Verständnis festgestellt hat — einen gewissen Zeitraum braucht, um sich in die verwickelte Materie einzuarbeiten.

Wie aus einer kürzlich in der „Stampa“ veröffentlichten Stellungnahme des italienischen Außenministeriums hervorgeht, will Fanfani an den Konzessionen Saragats in Paris festhalten. Gleichzeitig wurde betont, daß nicht Wien bezüglich der Fortsetzung der Außenministergespräche auf Rom warten müsse sondern daß es vielmehr das italienische Außenministerium sei, das auf „Antworten und Präzisierungen“ aus Österreich warten müsse. (Hier hat man wohl auf die nun zu fällende

Entscheidung der SVP anspielen wollen.) Rom sei jederzeit bereit, die Verhandlungen „auf der Grundlage der bereits erreichten Abschlüsse“ wieder aufzunehmen.

Ein Dementi der Farnesina

Diese Erklärung des Außenministeriums, die eigenartigerweise in keiner anderen italienischen Zeitung zu finden war, wurde zwei Tage später auf eine telephonische Anfrage einer Tiroler Zeitung von einem Sprecher der Farnesina dementiert.

Ob diese gegensätzlichen Erklärungen, deren Wahrheitsgehalt bis heute noch nicht bestätigt wurde, auf den latenten Beamtenkrieg im italienischen Außenministerium oder auf Divergenzen höherer Beamter über das Südtirolkonzept der Farnesina zurückzuführen sind, kann heute noch nicht festgestellt werden.

Italien scheint für sein Pariser Angebot von Österreich wie vor allem von den betroffenen Südtirolern einen hohen Preis zu verlangen. Österreich, so lauten Indiskretionen aus normal gut unterrichteten Kreisen, müsse sich nämlich dafür verpflichten, die feierliche Erklärung abzugeben, daß damit der vor die Vereinten Nationen gebrachte Streitfall Südtirol endgültig beigelegt sei. Damit würde sich Österreich praktisch in die Möglichkeit begeben, jene Forderungen, welche von Rom bisher abgelehnt wurden, nochmals auf den Verhandlungstisch zu bringen.

Dr. Kreisky hat in mehreren Erklärungen keinen Zweifel daran gelassen, daß er einen auch für die Südtiroler einigermaßen tragbaren Kompromiß als günstige Lösung ansehen würde. In seinen Gesprächen mit Politikern aus Südtirol soll er die Meinung vertreten haben, daß derjenige, der viel bekommen könnte, es aber ausschlägt, weil er nicht olles bekommt, Gefahr läuft, nichts zu bekommen.

Die Südtiroler haben in verschiedenen Erklärungen die Übertragung der wichtigsten wirtschaftlichen und sozialen Befugnisse (Industrie, Arbeitsvermittlung, Meldewesen, Kreditwesen) als „lebenswichtig“ und „unabdingbar“ bezeichnet. Statt darauf zu verzichten, wäre man eher, wenn auch schweren Herzens, bereit, bezüglich der Verankerung des Verhandlungspaketes durch das schon erwähnte Schiedsgericht Zugeständnisse zu machen.

Begegnung in New York

Dr. Kreisky wird Fanfani bei einem geplanten, wenngleich noch nicht vereinbarten Treffen im Spätherbst dieses Jahres anläßlich der Generalversammlung der UNO in New York bindend darüber unterrichten müssen, welchen Standpunkt die Südtiroler einnehmen, das heißt, ob sie bereit sind, das Pariser Verhandlungspaket plus einige noch zu erreichende Teilzugeständnisse auf den wichtigsten strittigen Sektoren zu akzeptieren oder nicht. Der österreichische Außenminister, dem auch seine parteipolitischen Gegner zubilligen müssen, daß er die Lösung des Südtirolproblems mit viel Geduld, Zähigkeit und Geschick Stück für Stück weitergeschoben hat, ist bei diesem Treffen also nicht zu beneiden ...

Lehnen die Südtiroler das bisher erzielte Verhandlungsergebnis ab, weil wichtige, wenn nicht die wichtigsten wirtschaftlichen und sozialen Zuständigkeiten darin noch nicht enthalten sind, dürfte dies wahrscheinlich eine „Versteifung“ der gegenwärtigen italienischen Südtirolpolitik zur Folge haben. Ob diese „Versteifung“ allerdings sehr lange dauern würde?

Die Südtiroler sind das Warten auf die Einhaltung der italienischen Versprechungen bezüglich der Gewährung einer echten Autonomie seit nun fast fünf Jahrzehnten gewöhnt. Sie haben ihre berechtigten Forderungen im Interesse der von ihnen geforderten „Realpolitik“ von Jahr zu Jahr herabgesetzt. Nun sind sie nach Ansicht bedeutsamer politischer Kreise am „Existenzminimum“ angelangt. Ob man auch noch darunter gehen darf, darüber werden die verantwortlichen Führer der SVP nun vor ihrem Volk und vor ihrem Gewissen die Entscheidung zu fällen haben.

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