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Ein Vorschlag als Epilog

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Die Ereignisse um die Wahl des Staatsoberhauptes sind bereits Geschichte geworden. Daher ist es uns möglich, die nicht immer erfreulichen Geschehnisse aus einer angemessenen Entfernung und ohne Emotion zu interpretieren und zu beurteilen.

Wenn wir die Summe dessen ziehen, was wir Wahlkampf nennen, müssen wir feststellen, daß das hohe Amt des Präsidenten durch die Art der Argumentation und der Angriffe erheblich abgewertet worden ist. Falls das Volk unmittelbar zu entscheiden hat, welchen Mann es zu seinem Souverän machen soll oder nicht, liegt es in der Natur der Sache, daß die angebotene Person erst dadurch zu einer Persönlichkeit erhoben wird, daß man sie wie eine Ware zur Marke macht. Das bedeutet, daß der in Frage kommende Bewerber mit einem keinem Sterblichen zumutbaren Optimum an guten Eigenschaften dekoriert werden muß, damit er zumindest für 51 . Prozent der Wähler anziehend wirke. Nun spielt sich der Wahlkampf nicht auf einem gebundenen oder monopolistisch organisierten freien Markt ab. Jeder Bewerber konkurriert mit einem Gegenbewerber. Die Agitatoren müssen daher davon ausgehen, daß ihr Kandidat nur dann den Massen geeignet erscheint, das hohe Amt bestens ausüben zu können, wenn der Gegenbewerber in der Vorstellung der Wähler einen negativen Firmen-wert hat und womöglich perfekte Nichteignung anzeigt oder anzuzeigen scheint.

Der Wahlkampf 1965 war gekennzeichnet durch ein für Grenzwähler bestimmtes Werbeübermaß, eine Tatsache, die den ohnedies zu Sar-kasmus geneigten Österreicher zu sofortigen Abwertungen provozierte. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß der nichtmarxistische Kandidat in einer, gelinde gesagt, schäbigen Weise verleumdet wurde — nicht spontan, sondern gelenkt. Wenn mäfTzudem, und dies in Wien, emerr Präsidentschaftskandidaten vorwirft, allzu viel Witze zu machen, kann ein solcher Hinweis nur das dünnflüssige Blut Humorloser, die lediglich parteigenehmigte Witze akzeptieren, in rasende Zirkulation bringen.

Gleiches gilt für die Behauptungen über die „böhmische“ Gattin des marxistischen Bewerbers oder den Hinweis auf die Tatsache, daß sich dieser — und durchaus mit Recht — seine Kleinwohnung gesichert hat, wobei man bedenken muß, daß derlei Zehntausende im Lande tun.

Jedenfalls sollte vermieden werden, davon auszugehen, daß der Gegner keine Ehre habe. Von dieser „faschistischen“ Annahme sind diesmal unverkennbar eher die Sozialisten bestimmt gewesen als die Nichtmarxisten. Einsame Qualität hat lediglich ein nobler Leitartikel in „Arbeit und Wirtschaft“, der ohne eigene Stellungnahme beide Bewerber, sachlich gekennzeichnet, den Gewerkschaftern vorstellte.

Auf jedem Warenmarkt ist nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb die Herabsetzung der konkurrierenden Ware verboten. Nicht auf jenem Markt, auf dem Personen und Persönlichkeiten angeboten werden, die sich darum bewerben (müssen), das und ihr Volk, Staat und Staatsvolk, vor aller Welt zu repräsentieren.

Der Bewerber darf jedenfalls nicht so sein wie er ist oder gerne sein will, sondern so wie ihn die jeweilige Propaganda im Sinn ihrer Vorstellungen von maximaler Abnahmeeignung haben will. Dadurch kommt es zum Ergötzen der Massen zu einer Manipulation des „kommenden“ Präsidenten, die viele Ähnlichkeiten mit Modi beim alten Schnellphotographen hat.

Der Präsident unseres Landes ist in erster Linie ein Würdenträger, nicht eine Person, die jene Machtfülle hat, die man ihr andichtet. Ob der Präsident gut oder schlecht ist, hat auf die Höhe der Renten oder auf das „Glück der Kinder“ nicht den geringsten Einfluß. Das ist die Wirklichkeit. Ebenso wie offenkundig ist, daß der Bewerber — in Osterreich — stets Parteirepräsen-

tant ist. Eine Ausnahme war General Kimmel.

Daher ist die Präsidentenwahl in erster Linie eine modifizierte Parteiwahl, wobei die Stimmen aus dem Reservoir der nicht engagierten Parteien den Ausschlag geben und gleichzeitig Anstoß zu falschen, wenn nicht gar bewußt böswilligen Interpretationen sind, die so weit gehen, daß man schließlich mehr als zwei Millionen Menschen glattweg als Nichtdemokraten disqualifiziert.

Wer immer die Wahl gewinnt, er steht vor dem ganzen Staatsvolk für die einen als Supermann und für die anderen als perfekt ungeeignet da und scheint Eigenschaften zu besitzen, die er nicht haben kann, wenn er von dieser Welt ist. Es dauert jedenfalls lange, bis ein gewählter Bundespräsident sich vom Schmutz der Gegenpropaganda und vom Speichel der Anhänger gereinigt hat und jenes Image erreicht, das ihn als geeigneten Repräsentanten von Staat und Volk erscheinen läßt

II.

Die Verfassung unseres Landes läßt also dem Staatsoberhaupt nur einen begrenzten Raum wirksamer Herrschaft. Was man dagegen, und mit dem wachsenden Staatsbewußtsein in unserem Land in einem ebenfalls wachsenden Umfang, von ihm verlangt, ist öffentliche Bezeugung von Würde und Geist. In Österreich auch noch Charme, Liebenswürdigkeit. Keineswegs werden aber Eigenschaften verlangt, die lediglich ein omnipotenter Herrscher haben müßte, ein mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteter Präsident wie in den USA oder im Frankreich der Gegenwart.

Die Volkssouveränität darf jedenfalls nicht strapaziert werden. In vielen Dingen vermag der einzelne Staatsbürger ein direktes Urteil abzugeben, etwa in der Frage der Massenmedien, 4er Todesstrafe, der Staatsform. In den angedeuteten* EntscneMüngssituätionen hat er Sachverstand und eine in Erfahrung begründete Meinung. Dagegen ist es uns, die wir den präsentierten Bewerber um das Amt des Staatsoberhauptes in den meisten Fällen nur unzureichend kennen, nicht möglich, über seine persönliche Eignung für jene Funktionen, die auszuüben ihm die Verfassung auferlegt, ein ausreichendes Urteil zu fällen. Daher sind wir — die überwiegende Mehrheit der Staatsbürger — kaum geeignet, eine sachlich-korrekte Wahl zu treffen und entscheiden einfach nach parteipolitischen Gesichtspunkten. Dies heißt, wir wählen keine Person, die wir ohnedies unzureichend mit Macht ausgestattet sehen, sondern über Personen wieder Parteien, die sich ausnahmsweise gleich-!

sam in einem Bewerber personifizieren.

III.

Entgegen der Meinung vieler meiner Freunde bin ich der persönlichen Uberzeugung, es wäre besser, durch eine Änderung der Verfassung die Wahl des Staatsoberhauptes wieder den Angehörigen der gesetzgebenden Körperschaften anzuvertrauen, freilich unter Aufhebung des Klubzwanges. Die Präsidenten, die bisher indirekt vom Volk gewählt worden sind, Renner Hainisch, Miklas, waren unbestritten gute Präsidenten. Warum sollen die Mandatare, denen man doch zumutet, durch die von ihnen beschlossenen Normen unser gesellschaftliches Leben zu regeln, nicht

auch die Eignung haben, eine unserem Staat nützliche Wahl hinsichtlich der Person des Präsidenten zu treffen?

Anders ist es in den USA; dort wird mit dem Präsidenten der Regierungschef gewählt. Ähnlich muß gegenwärtig die französische Präsidentenwahl beurteilt werden. Das unwürdige Schauspiel bei der Wahl des italienischen Präsidenten durch die gesetzgebende Versammlung war kein Beweis gegen die indirekte Wahl, sondern lediglich das Ergebnis einer ungeeigneten Wahlprozedur.

Ein formell sicher nicht wesentliches, aber doch auch zu beachtendes Argument, welches für die Wahl des Präsidenten durch die Bundesversammlung spricht, ist die Mög-

lichkeit der Einsparung erheblicher Budgetmittel und Parteigelder, die in Summe sicher den Kosten der Errichtung mehrerer Schulen gleichzusetzen sind.

Die demokratischen Instrumente, zu denen auch die Möglichkeit einer direkten oder indirekten Wahl des Staatsoberhauptes gehören, dürfen nicht Selbstzweck sein. Ob ein Instrument zur Sicherung einer demokratischen, das ist freiheitlichen Ordnung geeignet ist oder nicht, erweist sich an seiner Wirksamkeit. Ich bezweifle — und das ist lediglich eine höchstpersönliche Meinung —, ob die derzeitige Form der Wahl des Bundespräsidenten dem Charakter des hohen Amtes angemessen ist.

Wenn man aber schon den politi* sehen Frieden und das Wirtschaftsleben mit der Volkswahl belasten will, sollte man es unterlassen, das Nichtwählen weiterhin mit Strafe zu bedrohen, ohne dabei den Mut zu haben, aus der Wahlabsenz Folgerungen zu ziehen. Die Wahlpflicht ist eine unvollziehbare Norm und sollte daher aufgehoben werden.

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