Ein Vorsitz wie jeder andere?

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Das Vorsitzland sollte sich um bessere Zusammenarbeit in Europa bemühen. Das steht aber oft im Widerspruch zu innenpolitischen Interessen -so auch im Falle Österreichs. Ein Gastkommentar.

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Das Vorsitzland sollte sich um bessere Zusammenarbeit in Europa bemühen. Das steht aber oft im Widerspruch zu innenpolitischen Interessen -so auch im Falle Österreichs. Ein Gastkommentar.

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Zuallererst muss man feststellen, dass heute die - rotierende - Präsidentschaft der EU nicht mehr die Bedeutung früherer Zeiten hat. Der Vertrag von Lissabon hat die permanente Präsidentschaft des Europäischen Rats eingesetzt, die derzeit von Donald Tusk besetzt wird. Man hätte natürlich viel weiter gehen können und sogar den Vorsitz in der EU-Kommission und den des Rates zusammenlegen können, aber soweit wollten die Mitgliedsländer in ihrem Reform(un)willen nicht gehen. Der rotierende Vorsitz hat zumindest den Vorteil, dass sich während dieses halben Jahres die Öffentlichkeit des Vorsitzlandes ausführlicher mit der Europäischen Union beschäftigt.

Grundsätzlich könnte man davon ausgehen, dass sich das Vorsitzland besonders um die Weiterentwicklung der EU bemüht. Nicht im Sinne von immer mehr EU-Kompetenzen, aber im Bestreben, dass die EU die großen, gemeinsamen Herausforderungen besser meistern kann. Aber das steht oft im Widerspruch zu den innenpolitischen Zielen des entsprechenden Landes. So ganz besonders im Falle Österreichs. Zwar bekennt sich die derzeitige Bundesregierung klar zu Europa und vielleicht haben die (Lippen-)Bekenntnisse auch eine nachhaltige Wirkung auf PolitikerInnen, die sich neuerdings mit Europa mehr beschäftigen müssen, als die EU in Frage zu stellen.

Wo bleibt die neue Migrationspolitik?

Aber beim Thema Nummer eins der Regierung, der Migrationsfrage, werden die Widersprüche zwischen innenpolitischen Überlegungen und europäischen Antworten klar. Es wäre zu billig, die Herausforderungen der Einwanderung und Flucht nach Europa gering zu schätzen. Aber wo bleibt die große und wirksame Initiative zu einer humanen, aber auch kontrollierten Einwanderung? Ich sehe keine wirksamen und realistischen Initiativen zur Stärkung der EU-Außengrenze. Auch hinsichtlich der Möglichkeit, Asylanträge außerhalb der EU zu stellen und sie dort zu bewerten, gibt es nichts zu berichten. Dasselbe gilt auch für verstärkte Maßnahmen, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Es gibt auch keine Alternativvorschläge zur quotenmäßigen Verteilung der Flüchtlinge auf die verschiedenen EU-Mitgliedsländer. Von einem Flüchtlingsfonds, der einen solchen Ausgleich schaffen könnte, ist nicht die Rede. Und von Initiativen, die Integration der Migranten und Flüchtlinge zu stärken, ist auch nichts zu bemerken.

Was bleibt, ist die Ablehnung des UN-Migrationspaktes. Problematisch ist nicht nur die Ablehnung der ohnedies nicht rechtsverbindlichen Inhalte, sondern auch die Ablehnung von multilateralen Übereinkünften, weil man die nationale Souveränität wahren will. "Österreich zuerst" wird propagiert in einer Frage, die überhaupt nur durch internationale, vor allem durch europäische Zusammenarbeit "gelöst" werden kann.

Bezüglich eines weiteren wichtigen Themas sehe ich keine innovativen und richtungsweisenden Ideen. Das EU-Budget bzw. die längerfristige Budgetplanung wird fast ausschließlich unter dem Aspekt behandelt, dass Österreich nicht mehr zahlen möchte. Aber gerade als Präsidentschaft sollte man Vorstellungen entwickeln, welche politischen Schwerpunkte das EU-Budget zum Ausdruck bringen und umsetzen soll. Es gilt doch zuerst die Inhalte zu definieren und danach über die Zahlen zu reden. Die EU-Präsidentschaft sollte klären, was die EU innerhalb der Gemeinschaft und außenpolitisch bewirken möchte. Das EU-Budget sollte ja die politischen Prioritäten der EU abbilden. Aber von dieser Debatte ist keine Spur zu sehen.

Und auch was Österreichs Rolle in der Eurozone betrifft, so ist die österreichische Regierung mit eigenen Widersprüchen konfrontiert. Einerseits pflegen einige Regierungsmitglieder besonders enge und herzliche Kontakte zum starken Mann Italiens, Innenminister Salvini. Anderseits würde gerade auch das finanziell disziplinierte Österreich unter einer disziplinlosen Schuldenpolitik Italiens, wie sie genau dieser Minister Salvini betreiben möchte, leiden.

Die österreichische Präsidentschaft hätte darüberhinaus den jüngsten UN-Bericht zur Klimaveränderung zum Anlass nehmen können, neue umweltpolitische Initiativen zu setzen. Die EU ist wahrscheinlich der fortschrittlichste globale Akteur, was die Umwelt und die nachhaltige Entwicklung betrifft. Aber dennoch darf es hier keinen Stillstand geben. Anstatt allerdings neue Ideen einzubringen, hat man in Österreich versucht -und zum Teil auch durchgesetzt -, die Mitwirkungsrechte von Umweltverbänden zu beschneiden. Und was die konkreten Maßnahmen im Bereich der erneuerbaren Energie betrifft, ist noch nicht klar, ob die EU da zu entscheidenden Fortschritten kommt.

Die derzeitige Regierung ist zum Teil ins Amt gewählt worden, weil sich manche Wählerinnen und Wähler an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen und als sozial benachteiligt empfinden -und es vielfach auch sind. Die EU hat nun mit Mühen und gegen viel Widerstand sozialpolitische Initiativen gesetzt und vor allem auch Maßnahmen gefordert, die den Schwächeren am Arbeitsmarkt helfen sollten. Es gibt also Ansätze, die soziale Dimension der Europäischen Union zu forcieren.

Ein besonderes Beispiel ist die vorgeschlagene Europäische Arbeitsbehörde. Sie solle vor allem dafür sorgen, dass die Mobilität der Arbeitnehmer korrekt und ohne Nachteile für einige Arbeitnehmergruppen vor sich geht. Für Österreichs Regierung ist sie aber keine Priorität. Dabei waren und sind gerade Österreichs Arbeitnehmer immer wieder besorgt, wegen unfairer Konkurrenz durch niedrig entlohnte Arbeitskräfte bzw. durch "kostengünstige" Arbeitsbedingungen -unter dem durchschnittlichen EU-Standard.

Der Ausbau der sozialen Dimension und insbesondere die Etablierung einer europäischen Arbeitsbehörde wären auch eine große Chance, die EU jenen Schichten näherzubringen, die ihr skeptisch gegenüberstehen, weil sie in ihr nur Wirtschaftsinteressen vertreten sehen. Man hätte erwarten können, dass gerade Österreich als ein Land, das immer für seine soziale Verständigung und auch seine Sozialpartnerschaft bekannt und anerkannt war, diesbezüglich aktiv wird. Aber stattdessen wird in Österreich selbst die Sozialpartnerschaft abgewertet und abgebaut.

Rückwärtsgang für die EU eingeschaltet?

Europäische Politik und Innenpolitik sind immer miteinander verbunden. Und wenn die Innenpolitik eher einen Rückwärtsgang einlegt, dann hat das auch auf die Europapolitik seine Auswirkungen. Hinzu kommt, dass eine solche Bremsung bzw. ein solches Rückwärtsfahren auch den Stimmungen in vielen anderen Staaten entspricht. In Ländern wie Ungarn und Polen gibt es viel stärkere Gefährdungen der Demokratie als in Österreich. Und gesellschaftliche Spaltungen gibt es nicht nur zwischen Ländern, sondern auch innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten.

Deshalb würde die EU Vorsitze benötigen, die wieder nach vorne schauen und den Zusammenhalt innerhalb der EU und auch der europäischen Gesellschaft anstreben. Leider ist diesbezüglich von der nächsten Präsidentschaft, jener Rumäniens, nicht viel zu erwarten, da das Land selbst enorm gespalten ist. So fällt weder der Blick auf die bisherige österreichische noch auf die zukünftige rumänische Ratspräsidentschaft erfreulich aus. So kann es sein, dass die österreichische Präsidentschaft genau so zu bewerten ist, wie viele andere vor ihr und wahrscheinlich viele andere nach ihr. Das ist aber weder gut für Österreich noch für die EU insgesamt.

Während China wirtschaftlich und politisch erstarkt, Trump sein "America First" weiterführt und Putin eine größere globale Rolle spielt, verstärkt sich der Nationalismus in vielen Ländern Europas. So denken viele Politiker -auch in Österreich - lieber an ihre kurzfristigen Interessen, als daran, Europas globale Rolle zu stärken.

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