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Ein zweischneidiges Werkzeug wirtschaftlicher Entwicklung

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Vietnam, Kambodscha und Kuba werben um West-Touristen: Für viele Länder der Dritten Welt ist der Fremdenverkehr die einzige Rettung vor sozialen Problemen und Schuldenlast.

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Vietnam, Kambodscha und Kuba werben um West-Touristen: Für viele Länder der Dritten Welt ist der Fremdenverkehr die einzige Rettung vor sozialen Problemen und Schuldenlast.

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Ein angenehmes, warmes Klima, unberührte Landschaften, exotische Traditionen: wichtige Ressourcen vieler Entwicklungslän-der, die sie auf dem Weltmarkt gut verkaufen - meist im Gegensatz zu ihren Agrar- und Industrieprodukten. Die Grundlagen dieses Wirtschaftszweiges können aber auch zerstört werden. Diese Gefahr wird gerne verdrängt, wenn sich Länder von Schulden und anderen sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten erdrückt und gezwungen sehen, den Tourismus rücksichtslos auszubauen. Sogar Vietnam, Kambodscha und Kuba wollen neuerdings Amerikaner und Europäer ins Land holen.

Fremdenverkehr wird mit Entwicklung gleichgesetzt, nichtökonomische Ziele wie Völkerverständigung, Bewahrung kulturellen Erbes und Natur werden dann zu Leerformeln. Wirtschaftliche Entwicklung durch Tourismus darf aber kein Strohfeuer sein, das seine eigene Grundlage vernichtet. Ähnliches gilt für die Sozialverträglichkeit. Der soziale Wandel durch die Konfrontation einheimischer Kultur mit westlicher vollzieht sich in verschiedenen Stufen und Geschwindigkeiten. Unter welchen Bedingungen werden traditionelle Lebensweisen und kulturelle Identität zerstört, erhalten oder transformiert?

Der Fremdenverkehr ist die größte Industrie der Welt - und die am schnellsten wachsende. Er beschäftigt weltweit 118 Millionen Menschen und weitere 295 Millionen in vorgelagerten Branchen. Er wird intensiver und breitet sich räumlich bis in entlegenste Gebiete wie etwa Bhutan aus.

Dieser rasante Prozeß bringt den Entwicklungsländern mit ihren Traditionen des Zusammenlebens, des umweltangepaßten Wirtschaftens und ihren religiösen und moralischen Vorstellungen Chancen und Probleme. Die Fachdiskussion darüber ist seit über 30 Jahren im Gang und hat eine Fülle von Analysen, Modellen und Literatur hervorgebracht. Um so

dringender ist eine monographische Aufarbeitung, wie sie jetzt Karl Vorlaufer in einem sachlichen, nicht moralisierenden Handbuch bietet.

Strukturen, Entwicklungen und Auswirkungen des Fremdenverkehrs in armen Ländern sind komplex. Nutznießer des Tourismus, Geschädigte sowie Kritiker vertreten entgegengesetzte Theorien. Vorlaufer referiert die Erklärungsmodelle, wie sie sich entfaltet haben: Nach einer euphorischen Phase in den sechziger Jahren, als man sich vom Tourismus einen Entwicklungsschub erwartete, brachte die Dependenztheorie eine oft pauschal negative Sicht hervor: Tourismus verfestige strukturelle Ungleichheit zwischen Industrie-und Entwicklungsländern wie auch innerhalb verschiedener Regionen in der Dritten Welt und zementiere Abhängigkeiten. Etwa seit 1985 ist eine dritte Phase konstruktiver, differenzierter Kritik und pragmatischer Lösungsversuche zu beobachten. Eine differenzierte Betrachtung ist auch dringend nötig. Denn die diversen Arten des Fremdenverkehrs wie Trek-kingreisen, stationäre Badeaufenthalte, Ethnotourismus, Einkaufs- und Vergnügungsreisen, Pilger- und Studienfahrten wirken sich auf regionale Ungleichheiten, nämlich Infrastruktur, kulturelle Identität, ökologische Belastung, Einkommenschancen, ganz unterschiedlich aus.

Fremdenverkehr ruft sozialen Wandel hervor. Das ist mindestens insoweit ein Problem, als er sich auf bestimmte Regionen konzentriert. Folge sind soziokulturelle Spannungen und Brüche, ganz abgesehen von der Frage, welchen Gruppen überhaupt die Einkünfte zufließen. Vorlaufer analysiert die globale Expansion der Tourismuswirtschaft, die Rolle transnationaler Konzerne wie Hotelketten, Faktoren, welche Tourismus fördern oder behindern, die Typen von Touristen und Reisearten, Probleme der Saisonalität, Migrationen und ethnische Konflikte, Gefährdung und Entfaltung kultureller Identität und Naturschutz - mit oder gegen die einheimische Bevölkerung.

Selbstverständlich gibt es auch hoffnungsvolle Aspekte. Beispiele beleuchten etwa, wie Nepal der Brennholz- und Müllprobleme im Mount-Everest-Nationalpark Herr werden will. Infrastruktur-Investitionen für den Fremdenverkehr können auch der einheimischen Bevölkerung und ihrer Entwicklung helfen. Auch wenn Monostrukturen prinzipiell gefährlich sind, ist der Tourismus für manchen kleinen Inselstaat, etwa die Seychellen, die einzige Entwicklungsmöglichkeit. Wo es Konflikte zwischen Naturschutz und Nutzungsinteressen Eingeborener gibt, können diese mit neuen Projekten auch kooperativ gelöst werden, wie Beispiele aus Afrika, Nepal und Peru zeigen. Von entscheidender Wichtigkeit ist ein gutes Naturschutz-Management: Tragfähigkeitsberechnungen, Kanalisierung der Touristenströme über die Preise, Minimierung von Nutzungskonflikten, Verrechnung externer Kosten in die einzelwirtschaftliche Bilanz, generell das Abwägen der konkurrierenden wirtschaftlichen, soziokulturellen und ökologischen Chancen und Gefahren.

Die gesellschaftliche Stellung und die beruflichen Chancen von Frauen werden ebenso differenziert beleuchtet wie Gefährdung oder Belebung so-ziokultureller Identität durch den 'Tourismus. Darum bietet das Buch keine pauschalen Hurra- oder Buh Rufe.

Der Autor, Geographie-Professor an der Universität Düsseldorf, befaßt sich seit über 20 Jahren mit den Wirkungen des Tourismus auf Entwicklungsländer und schöpft nicht nur aus seiner breiten Fachkenntnis, sondern auch aus eigenen Erfahrungen und Forschungen, besonders in Kenia und Sri Lanka. Seine Arbeit bietet auch eine gute Basis für Konzepte eines nachhaltigen Tourismus.

TOURISMUS IN ENTWICKLUNGSLÄNDERN

Möglichkeiten und Grenzen einer nachhaltigen Entwicklung durch Fremdenverkehr. Von Karl Vorlaufer. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1996. 257 Seiten, geb., öS 389,-

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