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Ein Zwischenwahlkampf muß geführt werden

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diefurche: Sie wollen die „Oktober-Wähler”, die jetzt - auch wegen des Sparpaketes - in den Umfragen nicht mehr zur ÖVP tendieren, zurückholen Wie wollen sie das machen? Schüssel: Ich habe gesagt, daß das Sparpaket notwendig war, aber der Verkauf war elendiglich. Das ist ein vorrangiger Fehler des früheren Finanzministers gewesen und sicher auch einer insgesamt fehlgegangenen Informationspolitik der Bundesregierung. Ich verstehe völlig, daß einzelne Gruppen, die Lehrer und Familien im besonderen, hier ge-strampft haben, weil das ganze Sparpaket überfallsartig gekommen ist. Man hat bis zur Wahl so getan, als ob wir in der besten aller möglichen Welten leben würden, und dann auf einmal galt das alles nicht mehr.

Ich bin für eine realistischere und nüchternere Darstellung der Problemlage, aber ich glaube, daß am Sparen kein Weg vorbeiführt. Wenn man das richtig erklärt, wenn man im Dialog auch die Gruppen einbindet, dann akzeptieren sie es auch. Man muß den Sparkurs fortsetzen, allerdings vom linearen Sparen weggehen. Die großen Brocken, Sozialleistungen, Personalaufwand, Transfers an Betriebe, Bus, Bahn etc. das muß durch intelligente Sparkonzepte ergänzt und abgestützt werden. Ich habe in meinem Ressort bewiesen, daß es möglich ist in sechs Jahren von 7.500 auf 6.300 Beamte herunterzukommen, ohne irgend jemandem weh zu tun, ohne jemanden kündigen zu müssen, einfach durch intelligente organisatorische Strukturreformen.

Das sind die Dinge, die jetzt notwendig sind. Ich kann durch geschickte Organisationsausgliederun -gen oder Umstrukturierungen sehr, sehr viel Geld sparen, Milliarden. Ich kann durch die raschere Ausgliederung oder Privatisierung der Post und der Bahn Wesentliches zur Sanierung des Budgets beitragen. Das Unglück ist, daß alle diese Bereiche im sozialdemokratischen Einflußbereich waren und vier Jahre lang verschlampt worden sind. Klima gibt es ja heute zu. Die Post ist, wenn der Staat nicht hilft, ein Sanierungsfall.

diefurche:: Wenn ein Hannes Androsch im Fernsehen sagt, daß ihn das Sparpaket nicht trifft, muß das nicht bei vielen Befremden erzeugen? schüssel: Es werden ihn einige Sachen massiv treffen. Ich nehme an, Hannes Androsch fährt auch Auto, ich nehme an, er geht oft auf Firmenspesen essen, die in Hinkunft nur mehr zu 50 Prozent absetzbar sind, ich nehme an, er ist auch sozialversichert und hat daher einige Beitragserhöhungen in diesem Bereich gespürt. Ich nehme an, er zahlt seine Lohn- und Einkommensteuer, wenn nicht, dann wird sich die Finanz um ihn kümmern. Dann wird man sehen, daß über die Progression, die in Osterreich nicht gerade schlampig ist, ein Effekt da ist, daß 20 Prozent der Lohn- und Einkommensteuerbezieher ungefähr 70 Prozent aller Lohnsteuereinnahmen zahlen. In Wahrheit wird ein sehr ordentlicher Solidarbeitrag von den Besserverdienern täglich abgegolten.

Wenn Herr Androsch das sagt, hat er es entweder verdrängt, oder er hat taktische Aussagen gemacht, die man nie unterschätzen soll - er bereitet ja auf manchen Ebenen ein politisches Comeback vor, ich kann mir schon vorstellen, daß manchen roten Gewerkschaftern so eine Aussage gefällt. Er ist herzlich eingeladen, sich einem freiwilligen Solidarfonds anzuschließen, den ich überhaupt gerne einrichten möchte, damit alle, die solche Sätze sagen, sich

ohne schlechtes Gewissen dort ihres Obolus entledigen können. Ich biete mich uneigennützig an, das Geld optimal zu verwerten.

diefurche: Ein Wifo-Forscher hat t vor dem EU-Beitritt gewarnt, wieviel Milliarden das Osterreich kosten wird Man hat das weggeschoben. Weiß man es nicht heute besser? schüssel: Das stimmt. Die Budgetauswirkungen haben wir insofern unterschätzt, weil wir den Finanzausgleich noch nicht fertiggehabt

haben, nämlich in den Monaten seit der Volksabstimmung und zwischen der Wahl und der Bildung der Regierung den härtesten Finanzausgleich der Geschichte Österreichs mit 50 Milliarden Umverteilung, und zweitens haben wir unterschätzt, daß zwar die Zahlungen der Gebietskörper nach Brüssel gehen, daß aber die Leistungen aus Brüssel, also der Beturn, nicht in die Kassen der öffentlichen Haushalte direkt fließt, sondern in die Kassen der Unternehmer, der Landwirte, der Arbeitnehmer, der Investoren und daß

zwar indirekte Budgeteffekte entstehen, daß der Nettosaldo Österreichs zwar gewahrt bleibt, wie wir gesagt haben, aber daß die Budgetsalden dadurch nicht dem entsprechen, sondern etwas anders ausschauen. Also der Beitritt ist sicher teurer, als wir geschätzt haben.

diefurche: Wie weit werden Sie, um der OVP Schwung zu geben, in die Landesparteien eingreifen? schüssel: Wir haben uns eine regionale Aufteilung vorgenommen, die drei Stellverteter werden sich spezifisch um einzelne Länder kümmern, dort auch einen direkten Kontakt herstellen. Ich habe verlangt, daß jede Woche ein Kontakt zwischen Landes-parteiobmann und dem Bundes-parteiobmann stattfindet, um den Kommunikations- und Informationsfluß zu verbessern. Ich habe mir zwei Generalsekretäre genommen, wie es auch jahrelang gut funktioniert hat, die müssen auch draußen sein vor Ort, müssen die Organisation motivieren weil ich zwei Hauptstoßrichtungen habe, einen Kreativteil „Freunde des 21. Jahrhunderts” als Talenteschmiede und Ideenpool und die Städtepartnerschaft oder Städteplattform, wo wir versuchen wollen, dort anzuknüpfen, wo vom Modell Wien bis zum Modell Graz oder Steiermark oder Aktion 20 ungeheuer viele Ideen herausgekommen sind.

Dazu muß die Partei auch ak-tionistischer werden, viel stärker das Straßenbild beherrschen. Ich habe von meinen Leuten verlangt, daß bis zum Sommer 300.000 Wähler persönlich kontaktiert werden müssen. Es muß ein Zwischenwahlkampf gemacht werden draußen in den Städten, den Bezirken, den Ländern, damit diese Oktoberwähler wieder das Gefühl haben: Der Haufen ist gefestigt, der Haufen hat ein Ziel, möchte die Nummer 1 werden, wir haben einen ganz wichtigen unverzichtbaren Platz, und sie wollen es besser machen mit neuen Leuten.

diefurche: Zu den vergrämten Oktoberwählern gehören sicher viele Familien. Sie haben am Parteitag ge-

sagt, es sollte in der Familienpolitik nicht nur ums Geld gehen.. schüssel: Ich habe generell eine Okonomisierung aller Lebensbereiche beklagt. Es klingt komisch, wenn das der Wirtschaftsminister sagt, aber vielleicht ist es deshalb besonders glaubwürdig. Man kann nicht alles in Geld umrechnen oder abrechnen oder ersetzen. Womit wir heute unglaublich kämpfen, ist dieser extrem übersteigerte Individualismus, der uns wahnsinnig zu schaffen macht. Wenn jeder seine Freiheit voll ausleben will, dann ruiniert er die Freiheit des anderen, dann ruiniert er vor allem das Hauptinteresse des Gemeinwohls.

Wenn ein Vater sein fünf Monate altes Kind so lange an die Wand drischt, bis ihm der Kopf aufplatzt, weil es geschrien hat, dann ist das nicht nur ein beklagenswerter Einzelfall, weil solche Einzelfälle immer häufiger passieren. Wenn einer, dem der Führerschein abgenommen wird, weil er besoffen durch die Gegend rast, heimfährt, sich mit Benzin anzündet und wie eine Fackel brennt, dann zeigt das, hier hat jemand den Fetisch Auto offensichtlich derart übersteigert, daß er gar nicht mehr weiß, was wirklich wichtig ist im Leben. Wenn im Fernsehen eine Orgie von Gewalt auf kleine Kinder und Jugendliche niederprasselt und wir im Modellversuch erproben, ob sich das auf die Gesellschaft eh nicht schlecht auswirkt, dann sind wir nicht zu retten. Und wenn in einer Radiosendung kleine Kinder gefragt werden, ob sie wissen, daß der Großvater gleichzeitig der Vater ist, dann sind alle Spielregeln verletzt worden.

Ich möchte hier das Bewußtsein schärfen. Das Wichtigste ist, daß wir eine Stimme für Kinder formulieren, für Familien, nicht nur um eine ausreichende Kinderbeihilfe, so wichtig das selbstverständlich ist. Die Lehrergewerkschaft muß sich darum kümmern, daß das Bildungsangebot stimmt, daß die Bildungsziele stimmen. Das halte ich für wichtig - oder daß man versucht, eine Solidaraktion Kinderlose für Kinderreiche zustande zu bringen, bevor man über den Staat mit einer Solidarabgabe jemanden abschröpft, damit man wieder was umverteilen kann. Das ist es: Verantwortlichkeiten wahrnehmen und neue schaffen.

diefurche: Wie sehen Sie das Verhältnis der ÖVP zu bestimmten Strömungen in der Kirche? schüssel: Ich habe am Parteitag gesagt: Die ÖVP muß die erste Adresse für weltoffene Christen sein. Wenn jemand überhaupt keinen Weltauftrag in sich spürt, dann sind wir kein Partner. Aber wer glaubt, seine christlichen Ideen einbringen zu können - wir sind die erste Adresse. Wer denn sonst? Die Heide Schmidt hat ein Bild der Kirche vom vorigen Jahrhundert. Die Grünen sind in einem Ausmaß anti-kirchlich fixiert, daß man sich nur wundern kann, die Freiheitlichen und Sozialdemokraten kann man in diesem Zusammenhang nur vergessen. Wenn, dann gibt es bei uns eine wirkliche Offenheit gegenüber weltoffenen Christen, das sollten wir ganz offen ausspielen - ohne Exklusivitätsanspruch.

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