Gergely Karacsony - © Foto: APA / AFP / Ferenc Isza

Eine Allianz der Widerborstigen

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Die Bürgermeister von Budapest, Warschau, Prag oder Bratislava haben eines gemeinsam: Sie stehen mit ihrer liberalen Politik in Konflikt mit ihren Regierungen.

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Die Bürgermeister von Budapest, Warschau, Prag oder Bratislava haben eines gemeinsam: Sie stehen mit ihrer liberalen Politik in Konflikt mit ihren Regierungen.

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Wer zu Hause keine Freunde hat, der muss sich woanders welche suchen. Das zumindest dürfte sich der gerade erst am 13. Oktober überraschend gewählte Bürgermeister von Budapest, Gergely Karácsony, gedacht haben. Der konnte zwar seinen Amtsvorgänger István Tarlós von der Partei Fidesz von Premierminister Viktor Orbán ablösen, dafür aber wird er, der Grüne Karácsony, seine Hauptstadt in Zukunft wie ein gallisches Dorf regieren müssen. Denn Orbáns Rechtspopulisten verfügen über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Orbán hatte bereits vor den Wahlen gedroht, im Fall eines Sieges der Opposition Budapest den Geldhahn zuzudrehen. Was nun?

Bürgermeister Karácsony muss kreativ werden – und er tut es. In der polnischen Gazeta Wyborcza kündigte der 44-Jährige jetzt an, einen Pakt der freien Städte ins Leben rufen zu wollen. Er meint damit die Hauptstädte der vier Visegrád-Länder (V4) – Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei. Seine Amtskollegen nämlich sind in ähnlich misslichen Situationen wie er: Als liberale, progressive Stadtfürsten sind sie – wenn auch in unterschiedlichen Schattierungen – in einem Konflikt mit den nationalkonservativen oder populistischen Regierungen ihrer Länder.

Für eine Allianz der Städte

Karácsony wünscht sich daher, dass eine Allianz der vier Hauptstädte sich in Brüssel dafür einsetzt, dass Fördergelder etwa für Infrastrukturprojekte aus der EU zukünftig direkt nach Budapest oder Prag gehen und nicht erst an die nationalen Regierungen, die sie dann verteilen. Es ist ein verwegener Plan, immerhin fordert hier ein Bürgermeister offen, nationale Regierungen in der EU zu umgehen. Karácsony aber sagt, er habe darüber bereits mit EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans gesprochen; und die Kommission sei demgegenüber „wohlwollend gestimmt“. Das könnte daran liegen, dass das Ganze in ein Konzept passt, das erst kürzlich in der Kommission diskutiert wurde – und zwar wegen eines seit Jahren andauernden Streits.

Seit 2015 schon liegt die europäische Exekutive mit Warschau über Kreuz. Der Grund dafür ist die sogenannte Justizreform, mit der sich die polnische Regierung die Kontrolle über die Gerichte des Landes verschafft. Damals, unmittelbar nach der Übernahme der Amtsgeschäfte, widmete sich die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zuerst dem Ver­fassungsgericht. Staatspräsident Andrzej Duda weigerte sich, zuvor gewählte Richter zu vereidigen. Klagen anderer Organe ignorierte er. Mit ihrer nun absoluten Mehrheit im Parlament drückte die PiS schließlich ihre Richterkandidaten durch. Mit Hilfe verschiedener institutioneller Tricks verbannten die Nationalkonservativen weitere ihnen unliebsame Richter von ihren Positionen. Am Obersten Gericht senkten sie das Renteneintrittsalter und der Jus­tizminister bekam dank einer Gesetzesnovelle 2017 zusätzliche Kompetenzen. Seitdem kann er etwa Vorsitzende von Gerichten auf allen Ebenen abberufen: eine enorme Machtfülle.

Ein Staatsrechts-TÜV

All das ist aus EU-Sicht eindeutig ein Verstoß gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit – was Warschau von sich weist. Polen zeigt sich stur, wie Ungarn. Auch gegen Orbáns Regierung wurde ein entsprechendes Verfahren eingeleitet. Beide Länder fühlen sich deswegen an den Pranger gestellt. Die designierte Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat deswegen einen neuen Mechanismus ins Spiel gebracht: eine Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in jedem Mitgliedsstaat der EU. Dieser Rechtsstaats-TÜV, sollte er denn kommen, dürfte nicht positiv für Warschau und Budapest ausfallen und könnte Strafmaßnahmen nach sich ziehen. Aber kann es gerecht sein, ein ganzes Land wegen der Verfehlung seiner Regierung abzustrafen? Genau an dieser Stelle setzt der Budapester Bürgermeister Karácsony an, auch wenn er nicht den Begriff Rechtsstaats-TÜV gebraucht.

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