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Eine neue Nation taucht auf

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Wird in Südafrika nach 50 Jahren institutioneller Ungerechtigkeit durch freie Wahlen die Versöhnung gelingen?

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Wird in Südafrika nach 50 Jahren institutioneller Ungerechtigkeit durch freie Wahlen die Versöhnung gelingen?

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El ine neue Nation taucht auf. Die Gewalttätigkeiten reißen i zwar nicht ab, aber im politischen und alltäghchen Leben bemerkt man, daß die rassistischen Barrieren in Südafrika fallen. Ein idyllisches Szenario? Die Geschichte könnte ganz anders ausgehen. Es ist vorstellbar, daß in Natal ein Bürgerkrieg zwischen Pro-ANC-Zulus und jenen Zulus ausbricht, die der Inka-tha nahestehen; oder daß es zu Attacken weißer Rechtsextremisten gegen Townships kommt, wo Mandela-Sympathisanten leben; oder daß es sezessionistische Versuche geben wird; oder Massaker unter Schwarzen; oder Gewalt von Schwarzen gegen fanatisierte Weiße, wie dies am 11. März in Bophuthatswana geschehen ist. Das wäre ein anderes Szenario, das Szenario der Katastrophe.

Der Erfolg der künftigen Regierung wird davon abhängen, ob es gelingt, die gewalttätigen Elemente des einen wie des anderen Lagers zu isolieren. Bis heute war die Allianz zwischen der Nationalpartei de Klerks und dem ANC Mandelas erfolgreich darin, die Situation unter Kontrolle zu halten.

Seit Beginn des Wahlkampfes hat der Wille zur Zurückhaltung jedoch gelitten. In den Townships hat die Gewalttätigkeit, die sich in den letzten sechs Monaten des Jahres 1993 vermindert hat, stark zugenommen. Gewalt ist oft die Konsequenz der Gegnerschaft von ANC und Inkatha.

Auch der Chef der Nationalpartei versuchte den ANC zu schwächen, um zu verhindern, daß der ANC in Zukunft allein regieren kami. Heute sieht die Sache anders aus. Mandela und seine Partei kontrollieren fast das gesamte Land. Mandelas Autorität, sogar unter der Mehrheit der weißen Bevölkerung, repräsentiert einen bestimmenden Faktor der Sta-bihtät.

Welche Kräfte könnten noch den Versöhnungsprozeß stören? Die extreme afrikanische Rechte ist eigentlich gespalten. Gruppen wie die AWB von Eugene Terreblanche stehen fast an der Grenze zum Untergrund. Die sogenannte legale extreme Rechte ist zweigeteUt: in die Sympathisanten von General Con-stand Viljoen, die an den Wahlen teilnehmen werden, und die Sympathisanten von Freddy Hatzenberg, dem Chef der Konservativen Partei, die nicht an den Wahlen teilnehmen wollen. Ihre Forderungen sind irreal. Wie kann man einen weißen Volksstaat in einem Land aufbauen, in dem die Mehrheit das nicht will?

AUSGEHANDELTE REVOLUTION

Inkatha bleibt aber sehr gefährlich. Die Partei Buthelezis, ursprünglich entschlossen, an den Wahlen teilzunehmen, ist plötzlich zurückgetreten. Aber Buthelezi steuert gegen die Wellen. Die Zulus sind kein mono-hthischer Block. Es scheint fast so, als ob die Mehrheit der Bevölkerung von Natal und KwaZulu für den ANC wäre. Und sollten sich die weißen Nationalisten, die eine AlH-anz mit der Inkatha bilden, rassistischer agieren, würde es für Buthelezi schwer werden, mit dieser Rechten weiterhin zusammenzuarbeiten. Zudem ist auch ein Teil der Inka-tha-Führer gegen den Wahlboykott. Und die Mehrheit der Zulus in Natal und KwaZulu möchte lieber unter einer Zentralregierung in Pretoria leben, als unter einem Mann, der mit der Apartheid „verbandelt" ist.

Es wird Wahlen geben. Die politische Gewalt wird auch weiterexistieren. Aber das Szenario vom Bürgerkrieg wird eher unwahrscheinlich. Ein einziger Akt allerdings könnte das alles zunichte machen und Südafrika in eine infernale und unkontrollierbare Situation führen: die Ermordung Nelson Mandelas, dieser lebenden Legende, die die Aspirationen eines ganzen Volkes inkarniert, durch einen Provokatetir.

Die weißen vermögenden Südafrikaner sind demoralisiert. Der Ausdruck ihrer Angst heißt LSD, was nichts mit Drogen zu tun hat, sondern Look, See - and Deposit bedeutet: 5chau, Such’ imd Zahl’ ein, nämlich Geld im Ausland.

Bevor die Schwarzen an die Macht kormnen, wollen die Weißen ihr Kapital noch illegal ins Ausland transferieren. Die 5,5 Millionen Weißen Südafrikas haben Angst vor der Zukimft, wohin körmen sie gehen?

Neben dem Kampf gegen die Gewalt wird die neue Regierung der nationalen Einheit auch die ökonomischen Barrieren beseitigen müssen, was fürchterlich schwer sein wird. Südafrika braucht ausländische Investoren. Unter der schwarzen Bevölkerung beträgt die Arbeitslosenrate mittlerweile bis zu 50 Prozent Das Durchschnittseinkommen eines Schwarzen ist zehtunal niedriger als jenes eines Weißen. 95 Prozent der schwarzen Familien haben ein monatliches Einkommen von nur 750 Rand (2.600 Schilling).

Optimistisch stimmen hingegen kann der Dynamismus der südafrikanischen Wirtschaft als Motor für die ökonomische Entwicklung des gesamten Kontinents. Ein anderer Faktor der Hoffnung ist das politische Personal: mit dem 76jährigen Nelson Mandela hätten die Südadri-kaner eine charismatische und integre PersönUchkeit als Präsidenten. Mit der Nationalpartei hat er erfolgreich die Befreiung der Schwarzen nicht durch einen blutigen Krieg, sondern durch eine „ausgehandelte Revolution" erreicht.

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