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Barack Obama hat vor seinem Besuch in Europa enorme Erwartungen ausgelöst - und er hat sie übertroffen. Der alte Kontinent hat nicht sein Antlitz verändert, aber Obama hat mit seinen Worten in London und in Prag eine neue Spur in die Zukunft gelegt. Das war mehr, als man erhoffte. Die Grundlagen dafür sind zwei Einsichten, zwei Bekenntnisse, die der neue Präsident der USA - für hiesige politische Verhältnisse äußerst ungewöhnlich - ablegte: Ja, er übernehme "die Verantwortung" dafür, dass die Finanzkrise "in den USA begonnen hat". Und ja, die USA hätten als jenes Land, das bisher als einziges Atomwaffen einsetzte, eine "moralische Verpflichtung", für eine atomwaffenfreie Welt aktiv zu werden und zu handeln.

Wohltuende Unterschiede

Die Unterschiede in den Reden Obamas zu jenen, die wir üblicherweise hören, ist enorm und wohltuend. Das hat seine Ursache nicht nur in dem Umstand, dass Obama in groben Zügen große Visionen zu skizzieren hat, während sich das hiesige politische Personal in den kleinen Grabenkämpfen des Alltags und der Klientelpolitik verheddert. Nein, es hat schon mit Denken und Haltung zu tun. Obama trifft seine Feststellungen - eben auch hinsichtlich eigener Verantwortlichkeit - bei den Themen Finanzkrise, Atomwaffen und Klimawandel in einer Klarheit, die hierzulande etwa in der Debatte um Vergangenheitsbewältigung, Opferentschädigung und Restitution lange gefehlt hat. Die österreichische Art der Bekenntnisse in eigener Sache lesen sich im Vergleich zu jenen Obamas wie das peinliche, kleinliche und verlegene Herumgedruckse Ertappter, die niemandem in die Augen zu blicken vermögen. Weder sich, dem anderen noch der Sache. Obama tut das, und das macht einen Unterschied, aber nicht den einzigen.

Politik hat mit Macht zu tun, wer wüsste das besser als die Führung der USA. Dem klassischen Politiker, gestählt und bewährt im Kampf um die Macht, darf man daher unterstellen, nur zwei Arten von Menschen zu kennen: Werkzeuge und Gegner. Genau dieses Machtgefälle lassen Minister und Mandatare hier oft erkennen. Zum Ärger der Betroffenen und zum Schaden an der Sache. Doch Obama spricht anders. Er sieht seine Verantwortung, aber auch die der anderen. Er erkennt seine Zuständigkeit an, aber er fordert Mitwirkung. Er weiß um die Bedeutung von Beziehungen, aber er betont die Formulierung und Einhaltung von Regeln und Plänen. Genau das macht den zweiten, wiederum wohltuenden Unterschied aus. Dem ein dritter folgt.

Neues Selbstverständnis der USA

Die USA scheinen ein neues politisches Selbstverständnis zu entwickeln. Ihre Bedeutung als Weltmacht hat weniger unter dem Verschwinden des einstigen Gegners im Kalten Krieg gelitten als unter ihrer eigenen Überdehnung. Je größer Reiche werden, desto stärker müsse das Zentrum sein, erkannten römische und chinesische Kaiser ebenso wie der letzte große Präsident der EU-Kommission, der Franzose Jacques Delors. Genau diese Kraft vermochte das Zentrum der Neuzeit, eben Washington, nicht mehr aufzubringen. Der Kontrollzwang scheiterte am Unvermögen, ausgelebt werden zu können. Heute sind die Kräfte der USA zersplittert und geschwächt. Darin hat das neue Selbstverständnis der USA, die Themen der Welt anzusprechen und rund um den Planeten Partner zu finden, seine Ursache.

Mit seinen Eingeständnissen, Visionen und Ansagen hat Obama jedenfalls eine Spur in die Zukunft gelegt. Die Themen sind benannt, der Weg ist beschildert, das Ziel ist anvisiert. Die Europäer sollten sich daran orientieren und nun ihre Hausaufgabe erledigen, die zuvorderst darin besteht, die Dinge beim Namen zu nennen und die programmatischen Debatten aufzugreifen und zu führen.

Es ist ja nicht nur die Finanzkrise selbst, die wenige Gewinner und viele Verlierer schafft. Es sind die vielen Maßnahmenpakete, welche die kleine Wirtschaftswelt in allen Staaten nochmals in Begünstigte und Benachteiligte zu teilen drohen. Klassische linke Kritiker des Kapitalismus bekommen Aufwind, formulieren neuerlich eine Art von Klassenkampf. Konservative haben dem noch wenig entgegenzusetzen. Sie könnten sich an Obama und den Unterschieden zwischen seiner und ihren Reden ein Beispiel nehmen.

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