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Eine Runde für Macmillan

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Als sich Anfang August die britischen Abgeordneten für die Dauer vor zwei Monaten von Westminster verabschiedeten und sich in den Urlaub begaben, herrschte in den Wandelgänger eine ganz andere Atmosphäre als vier Wochen zuvor. Die durch den Ward- Profumo-Fall ausgelöste Führungskrise in der Regierungspartei wurde durch die Verhandlungen um den Atomteststop in den Hintergrund gedrängt. In fairer Haltung gratulierte Oppositionsführer Harold Wilson dem Premier zu dem außenpolitischen Erfolg und machte damit seine bissige Bemerkung von Mitte Juli vergessen, in der er Macmillan als Hasadeur hingestellt hatte, als einen Politiker, der seine Bemühungen und seine Hoffnungen abwechselnd immer auf eine einzige Karte setzt. Dieser Vorwurf entspricht der Wahlstrategie der Labour Party, die in den Wählern den Eindruck hervorrufen möchte, daß die Politik der konservativen Regierung völlig konzeptlos sei.

Auf manchen innen- und wirtschaftspolitischen Gebieten erscheint dieser Tadel zumindest einer Diskussion wert, in der Außenpolitik entbehrt er hingegen jeder Grundlage. Wie ein roter Faden ziehen sich die Anstrengungen Macmillans, den kalten Krieg in ein weniger gefährliches Fahrwasser zu bringen, durch seine außenpolitischen Initiativen. Der Vertrag über den Atomteststop dürfte seine Bemühungen nun belohnen, und es darf nicht verwundern, wenn einzelne Abgeordnete und Leitartikler hier in England den Ausgang der Moskauer Verhandlungen zum Teil dem persönlichen Verdienst des Premierministers zuschreiben.

Das Bemühen um eine Entspannung im Ost-West-Konflikt entspricht freilich keiner persönlichen Marotte oder Phobie Macmillans, sondern liegt in der Natur der Sache begründet. Der katholische Publizist und frühere Parlamentsabgeordnete Christopher H o I- 1 i s hat wiederholt darauf hingewiesen, daß jeder britische Premierminister eine ähnliche, wenn nicht sogar gleiche Außenpolitik betreibe wie Macmillan, weil šie eben von der hach dem Ende des zweiten Weltkrieges entstandenen Lage diktiert wurde. Rufe die Vorstellung eines nuklearen Krieges wohl allgemein große Besorgnis hervor, so erzeugt sie in Großbritannien in den Einsichtigen Schrecken.

Blick nach Bonn

Neben diesen Beweggründen spielte im Konzept Macmillans und seiner Regierung zweifellos auch der Wunsch eine große Rolle, Deutschland den Weg zur Atombewaffnung auf längere Sicht zu versperren. Dieser Zweck des Moskauer Vertrages kam in der englischen Presse jedenfalls unausgesprochen — in einzelnen Zeitungen expressis verbis — immer wieder zum Vorschein. Einzelne Kommentatoren halten es sogar für möglich, daß die beiden westlichen Atommächte in den Moskauer Verhandlungen nur deshalb so weit von ihrer ursprünglichen Position (Inspektion, totale Abrüstung) abgerückt sind, damit ihre Weigerung, den Deutschen den Atom-,,trigger“ in die Hand zu drücken, künftig eine plausible Dek- kung findet.

Dieser Einstellung begegnet man häufig. Die Außenpolitik Macmillans entsprach (und entspricht) daher einem vitalen Bedürfnis Englands. Aber der verteidigungspolitische Aspekt erklärt das hartnäckige Festhalten des Premierministers und weiter politischer Kreise an der Entspannungspolitik nicht ganz. Zum (gewiß geringeren) Teil geht sie nämlich auf moralische Motive zurück. Das ist nicht etwa ein Argument, das nur offiziell vertreten oder lanciert wird.

Zwei Erscheinungen mögen diese These untermauern. Wohl in keinem andöreh Landl ‘dlß’am letztem ‘Krieg teilgenommen hat, gibt es1- wie in Großbritannien — eine solche nicht abreißende Kette von selbstkritischen Büchern über die moralische Begründung der Bombenangriffe auf nichtmilitärische Ziele, über die „attacks of Saturation“, zu denen man in Universitätskreisen heute etwa den Luftangriff auf Dresden zählt. Und in keinem anderen westlichen Land fand die „Campaign for Nuclear Disarmament (CND), die Bewegung für atomare Abrüstung, in der Bevölkerung ähnlichen Widerhall. (Daß die CND seit geraumer Zeit kommunistisch infiltriert ist, ändert nichts an der Tatsache einer zahlreichen Anhängerschaft, die sowohl altersmäßig als bezüglich der sozialen Herkunft weit gestreut ist.)

China gefährlicher als Rußland

Die Mehrzahl der außenpolitischen Kommentatoren der englischen Presse hat in den letzten Tagen das Moskauer Abkommen überaus positiv aufgenommen. Der politische Korrespondent des „Observer“ erwartet sogar, daß die westlichen Geheimdienste künfr tig China anstatt Rußland als wichtigstes Betätigungsfeld zugewiesen erhalten. Diesem Kommentar zufolge betrachten einige Beamte des Foreign Office nun China als potentiell gefährlicher als Rußland es je war. (Diese Ansicht deckt sich offensichtlich mit der amerikanischen.) „Aber’ es wird doch einige Zeit vergehen, bevor einzelne Regierungsämter sich damit ab- finden…, daß Rußland nach allem vielleicht doch ein Alliierter ist.“ Eine ähnliche Auffassung liegt einem Satz des linksgerichteten „New Statesman" zugrunde, wonach „die amerikanische Bereitschaft, entsprechende konventionelle Streitkräfte und strategische Atomwaffen für die Verteidigung Westeuropas zur Verfügung zu stellen, nun- mehij völlig von der deutschen H i q n a h m e (wenn nicht sogar offenen Unterstützung) einer d & t e n t e abhängt.“ Diese Meinung ist nicht etwa auf die Linke beschränkt, die noch immer dazu neigt, Deutschland, und nicht die Sowjetunion, als den Protagonisten zu sehen. Der konservative „Spectator“ schreibt, daß „im Augenblick die delikateste politische Frage die ist, wieweit Präsident Kennedy sich einer d ė t e n t e mit Chruschtschow annähern kann, ohne die Deutschen in solche Furcht zu versetzen, daß sie eine unversöhnliche gaullistische Stellung beziehen.“ Die Unterzeichnung des Abkommens über einen Atomteststop symbolisiere die Rückkehr der Sowjetunion in das „Konzert“ der Großmächte. Damit bestehe wieder ein weltweites System, dem anzugehören nur China zurückweise.

Die Spekulationen der englischen Publizisten — im augenblicklichen Stadium, ohne offizielle Erklärungen im Unterhaus, muß man ihre Kombinationen noch als Spekulationen bezeichnen — weisen aber schon weit über den Teststopvertrag hinaus. Allgemein wird nachdrücklich betont, daß er nur einen ersten Schritt darstelle, dem andere folgen müssen, wenn wirklich eine Entspannung herbeigeführt werden soll. Die öffentliche Meinung würde nur allzugern einen Nichtangriffspakt der NATO mit den Ländern des Warschauer Paktes begrüßen. Der außenpolitische Kommentar des unabhängigen „Guardian“ packt die Hoffnung der Optimisten in die Worte: „Ein Vertrag (Nichtangriffspakt) .

Warnung vor „euphorischem Taumel"

Manchmal kann man sich des Gefühles picht erwehren, daß in dieser optimistischen Haltung ein guter Teil Wunschdenken steckt. Man wäre der Fleetstreet gegenüber nicht fair, wenn man nicht auch von den kritischen Stimmen berichtete. Sir William H a y- te r, Professor für Politik in Oxford, überschreibt seinen regelmäßigen Kommentar zur weltpolitischen Lage im „Observer“ mit „Trugbild eines Tau- ens“. „Ist der kalte Krieg zu Ende?“ fragt er sich. Seine Antwort enthält eine massive Warnung an seine Landsleute, nicht in einem euphorischen Taumel die Realität zu vergessen. Diese Wirklichkeit enthält nämlich noch immer die kommunistische Drohung. Mit ausführlichen Zitaten aus Reden, die Chruschtschow in den letzten Wochen gehalten hat, weist er nach, daß für die Sowjetunion der Westen Gegner Nr. 1 geblieben ist. In seinem Kampf gegen „offene Feinde“ habe Chruschtschow freilich auf gewisse Waffen verzichtet. „Aber dies bedeutet nicht, daß der kalte Krieg beendet ist“, und Hayter mahnt schließlich, „sich von dem sino-sowjetischen Druck nicht zu viel beeindrucken zu lassen.“ Größtenteils sei es nämlich eine Frage der Semantik. Friedliche Koexistenz bedeute für die Sowjetunion nichts anderes als „die Verstärkung des internationalen Klassenkampfes, des Kampfes aller kommunistischen Parteien für einen Triumph der sozialistischen Ideologie".

Die Worte eines russischen Journalisten, wiedergegeben in einem Interview in der „Sunday Times“, sekundieren dieser Ansicht. Darnach sind das Abkommen über einen teilweisen Atomteststop und der Vorschlag eines Nichtangriffspaktes keine neuen Anregungen. „Die sowjetische Regierung wiederholt einfach ihre Vorschläge von 1958, die damals in allen Einzelheiten verkündet wurden.“ Nach sowjetischer Anschauung unterscheiden sich die westlichen und östlichen Ideologien zu ausgeprägt, um die Unterschiede zu überbrücken. Koexistenz bedeute nämlich die Fortsetzung des „Versuches, die Überlegenheit unserer (der sowjetischen) Ideologie zu beweisen“ und in der Übereinstimmung der beiden Blöcke, sich nicht gegenseitig in die Luft zu sprengen.

Ein Porträt der öffentlichen Meinung Großbritanniens über die jüngste Entwicklung der Ost-West-Beziehungen wäre unvollständig ohne einen Hinweis auf den wechselweisen Zusammenhang zwischen der Außen- und Innenpolitik eines Landes. Diese Verbindung wurde in den meisten Kommentaren allerdings kaum berührt. Aber gerade in einer gut funktionierenden parlamentarischen Demokratie kann die Bedeutung dieses Zusammenhanges nicht ge- nung betont werden.

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