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Digital In Arbeit

Eine verständliehe, spontane Musik

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Medienkomposition und angewandte Musik: Ein neues Studienfach. Ein Gespräch mit Professor Sattler, der unterrichten wird, über Musik in den Medien heute.

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Medienkomposition und angewandte Musik: Ein neues Studienfach. Ein Gespräch mit Professor Sattler, der unterrichten wird, über Musik in den Medien heute.

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DIKFlJRCHE: Herr Professor Sattler, Sie komponieren Musik für den Medienbereich und gestalten Musikdesign für Radio und Fernsehen Wie hat sich Ihr künstlerischer Weg gestaltet3 Klaus-Peter Sattler: Ich wollte schon früh Angewandte Musik komponieren. Diese Form der Musik war ja bis zum 18. Jahrhundert vorherrschend. Sie wurde im Auftrag des Adels oder der Kirche geschrieben und hat immer einem bestimmten Zweck gedient. Die Angewandte Musik unserer Tage wird vorwiegend für die Medien geschrieben. In erster Linie ist es Filmmusik, sie wird aber auch für den Bedarf des Fernsehens und der Werbung komponiert. Filmmusik interessiert mich persönlich am meisten.

DIEFURCHE: Was ist „Musikdesign”? Sattler: Fernseh- und Rundfunkanstalten benützen diese Art von Musik als Mittel, eine Identität mit dem Sender oder mit dem Programm aufzubauen. In Zeiten, wo alles austauschbar ist, also alle Sender früher oder später dieselben Filme abspielen, versucht man über das Visuelle in der Graphik und über das Akustische in der Musik eine Identität zu schaffen. Auch die Werbung braucht heute ein ungeheures Ausmaß an Musik. Das sind Bereiche, die enorm expandieren.

DIEFURCHE: Für welche Serien haben Sie Hintergrundmusik geschrieben3 Sattler: Vor drei Wochen lief im ORF der Film „Die Straßen nach Istanbul”, zu dem ich die Musik gemacht habe. Im August läuft eine 15teilige Fernsehserie an mit dem Titel „Duell zu Dritt”. Mein Erstling war die Musik zu dem amerikanischen Film „Leo Beurmann”, der heute noch in den USA gezeigt wird und der für den „Oscar” nominiert wurde. -

UIEFURCHE: Wie läuft die Arbeit an einer Filmmusik ab?

Sattler: Hier geht es um einen sehr lebendigen Prozeß von Aktion und Reaktion. Ich setze mich mit Regisseur und Produzenten auseinander, lese das Drehbuch, gehe zu den Dreharbeiten, um etwas von der Atmosphäre des Films mitzubekommen. Dann sehe ich den Rohschnitt, in weiterer Folge bekomme ich ein Video des Feinschnitts, mit dem ich arbeite.

DIEFiirchE: Haben Sie beim Komponieren ein bestimmtes Ziel im Auge? Sattler: Mein wesentliches Ziel ist es, Menschen zu unterhalten. Man kann dem Elend der Welt nicht die ganze Zeit über mit Ernst begegnen. Schubert hat beispielsweise neben seinen „großen” Werken über 500 Tänze geschrieben, die man heute als Unterhaltungsmusik bezeichnen würde. Viele bedeutende Meister haben nebeneinander „hohe” und „populäre” Werke geschaffen, ohne deshalb in Konflikt zu geraten bzw. ästhetische Ansprüche preiszugeben. Ich selbst habe keine Berührungsängste zwischen der sogenannten Unterhaltungsmusik und der ernsten Musik. Im 19. Jahrhundert passierte dieses unglückselige Auseinanderdriften der beiden Musikarten. Mein Wunsch ist es, einen Beitrag zur Zusammenführung zu leisten.

DIEFURCHE: War die Entwicklung der Musik in unserem Jahrhundert rasanter als die früherer Jahrhunderte? SATTLER: Ja, die Musikentwicklung unserer Zeit kann man mit der des 19. Jahrhunderts keinesfalls vergleichen. Wir stecken in einer so unglaublich rasanten Entwicklung, in der, bildlich gesprochen, kein Stein auf dem anderen bleibt. Die Musikentwicklung, die wir erleben, ist ein wahres „Furioso”, wenn auch ein sehr chaotisches. Ich würde sie als posteruptive Phase nach der Eruption des Materials bezeichnen: Es wurden so gut wie alle Grenzen gesprengt, und viele herkömmliche Kriterien verloren ihre Gültigkeit. Alle Parameter wie Klangfarbe, Tonhöhe, Bhythmus und Dynamik wurden ins Grenzenlose ausgeweitet. Der Einfluß der elektronischen Musik hat sicher eine entscheidende Rolle gespielt. Nach dieser Explosion des Herkömmlichen kann man nicht mehr so komponieren wie früher.

DIEFURCHE: Wie erleben Sie sich selbst in dieser Zeit des Umbruchs? Sattler: In diesem Chaos, in dem es keine gesicherte Basis gibt, braucht es einen Typus des Komponisten, der so etwas wie eine Goldgräbermentalität hat. Ein Eremit, ddr versucht, die Dinge aufeinander abzustimmen. Es muß viel Experimentelles passieren. Das entspricht aber nicht so sehr meiner Mentalität, weil ich ein ungeduldiger Mensch bin. Für mich ist Musik vor allem Kommunikation mit der Voraussetzung, daß sie ein großes Maß an Verständlichkeit und Spontaneität hat.

DIEFURCHE: War Ihre Karriere hart, oder hatten Sie es leicht? sattler: Sowohl als auch. Der Anfang war wie ein Traum, als die Musik zu meinem ersten Film für den Oscar nominiert wurde. Später gab es auch Rückschläge, vor allem in der Zeit als ich für den amerikanischen Markt gearbeitet habe. Die Verhältnisse dort sind ganz anders als in Europa. Von hier kann man keine Welterfolge starten, aber es geht alles viel konstanter.

DIEFüRCHE: Sie werden sich ab Herbst vermehrt auf Ihre Lehrtätigkeit, konzentrieren Wer hat Sie im Hinblick auf diesen Berufgeprägt3 Sa'ITI ,ER: Ich habe bei Karl Schiske, Gottfried von Einem und Friedrich Cerha studiert. Von den dreien hat mich Gottfried von Einem sehr nachhaltig beeinflußt. Er war nicht nur ein idealer Lehrer, sondern auch ein wunderbarer Mensch und väterlicher Freund. Ich versuche vieles von dem, was ich von ihm erfahren habe, heute in mein Unterrichtskonzept einzubringen. Für ganz wichtig halte ich es,, den Studenten zu helfen, ihre Individualität optimal zu entwickeln und auf sie so einzugehen, daß nicht nur die handwerklich-technischen Dinge gefördert werden, sondern daß auch ein Klima entsteht, in dem sich eine Begabung entwickeln kann.

DIEFlJRCHE: Wie groß ist die Nachfrage nach dem Kompositionsstudium? SATTLER: Gottfried von Einem hat zu meiner Zeit nur fünf Studenten aufgenommen. Ich wollte acht nehmen, es sind aber inzwischen 18 geworden. Der Bedarf an Medienkomposition und Angewandter Musik ist groß. Wenn man es gut macht, kann man auch gut davon leben. Zur Hochschule insgesamt meine ich, daß sie zu unkontrolliert gewachsen ist. Als ich studierte gab es 700 Studenten. Jetzt sind es über 2000. Es gibt den Satz: Was Gott zerstören will, macht er groß. Ich hoffe, daß da ein Umdenken Platz greift.

DIEFüRCHE: Ist der Zuwachs an der Hochschule ein Zuwachs an Talenten3 SATTLER: Es gibt viele interessante Leute, deren Entwicklung natürlich noch nicht ganz voraussehbar ist. Ich sehe meine Aufgabe darin, „Talent zu riechen”.

DIEFüRCHE: Läßt sich Karriere und Familie vereinbaren3 SATTLER: Privat beansprucht der Beruf des Komponisten derart, daß Familienleben darunter leidet. Gewisse Dinge im Leben sollten einfach ungeteilte Zuwendung haben, eine erfolgreiche Komponistentätigkeit gehört da zweifellos dazu.

DlEFllKCHE: Ihr Erfolgsrezept3 SaitleR: In diesem Beruf ist ein solides handwerkliches Können unbedingte Voraussetzung. Aus diesen Reserven kann man immer schöpfen. Ich kann nur sagen, daß ich das gemacht habe, von dem ich das Gefühl hatte, daß ich es gut kann. Ich kenne meine Grenzen und bemühe mich, das, was ich tue, mit Freude zu tun. Vor allem tue ich es unbelastet von sinnlosen Denkmalspekulationen und Kulturverordnungen! Ein Genie, das alles verändert, ist für mich in der gegenwärtigen Phase der Selbstfin-dung der Musik weit und breit nicht in Sicht. Daher sind wir doch letztlich bestenfalls nur „Fußnoten” in der Geschichte der Musik der Jahrtausendwende. Mit diesem Umstand kann ich aber sehr gut leben.

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