"Emotional heraushalten"

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Ein Gespräch mit Marion Feik, der Leiterin der Katastrophenhilfe der Caritas Wien, derzeit im Einsatz bei der Flüchtlingshilfe in Mazedonien.

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Ein Gespräch mit Marion Feik, der Leiterin der Katastrophenhilfe der Caritas Wien, derzeit im Einsatz bei der Flüchtlingshilfe in Mazedonien.

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Marion Feik, Jahrgang 1946, ist als Tochter eines Beamten an der österreichischen Botschaft in Belgrad in Jugoslawien aufgewachsen. "Bis zu meinem 16. Lebensjahr bin ich in Belgrad und dann in Laibach zur Schule gegangen", erzählt Marion Feik in ihrem Arbeitszimmer im Haus der Caritas in der Trauttmannsdorffgasse in Hietzing. Dann kommt Familie Feik nach Wien zurück, Marion muß alle Prüfungen für das Wiener Gymnasium nachholen, denn hierzulande erkennt man keine Schulzeit in Jugoslawien an. "Das war so, wie wenn ich für die Wiener Schulbehörde noch nie in die Schule gegangen wäre ...", sagt Feik. Jusstudium in Rekordzeit, Anstellung im gehobenen Dienst im Verkehrsministerium. Einer gutbürgerlichen Karriere steht nichts im Weg - bis auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach sozialem Engagement.

Die promovierte Juristin wird Stationsgehilfin in verschiedenen Wiener Spitälern und leistet soziale Basisarbeit. "Ich habe kaum weniger verdient als im Ministerium und war jedenfalls zufriedener mit dieser Arbeit", sagt Marion Feik. In Schwesterntracht stellt sie sich bei der Caritas Wien vor und wird Leiterin des Bahnhofssozialdienstes. "Das bin ich eigentlich noch immer, nun schon seit 25 Jahren, aber ich habe gelernt, Aufgaben zu delegieren, meine 15 Mitarbeiter selbständig arbeiten zu lassen", sagt sie. Seit 1990 leitet sie zusätzlich, oder eigentlich hauptsächlich, die Katastrophenhilfe der Caritas Wien, ist "Emergency Aid Manager", wie es ihre Visitenkarte ausweist.

Erster Einsatz im Jänner 1990 in Rumänien ("da waren die Medien so voll mit Berichten und Aufrufen, da haben wir in einem Monat 100 Millionen Schilling hereinbekommen an Spenden", sagt sie), dann begleitet sie Christine von Kohl erstmalig in den Kosovo. Frau Kohl vom Helsinki-Komitee für Menschenrechte führt eine "fact finding mission" im Kosovo durch, Feik soll speziell die soziale Lage der Kosovo-Albaner beurteilen und darüber berichten.

Titos Erbe Slobodan Milosevi'cs historischer Auftritt am Amselfeld, wo vor 600 Jahren das Türkenheer die Serben vernichtend besiegte, signalisierte das Ende der albanischen Autonomie in Sprache, Kultur und Politik des Kosovo. Die unter Staatschef Tito eingeführte albanische Autonomie und Dominanz hatte andererseits bewirkt, daß große Teile der serbischen Minderheit das Land verlassen hatten. Die ethnischen Spannungen eskalieren, als die nunmehr serbisch verwaltete Provinz "Kosovo und Metojia" (Metojia bedeutet "Kirchenbesitz" - große Teile der Provinz waren Besitz der serbisch-orthodoxen Klöster, wie überhaupt im Kosovo die meisten serbischen Klöster stehen) von den staatlich angestellten Albanern "Loyalitätserklärungen" verlangt, die letztendlich auf eine Preisgabe der albanischen Identität hinauslaufen.

"Als wir im Herbst 1990 im Kosovo waren, gab es die erste Entlassungswelle", berichtet Marion Feik, "staatliche Firmen setzten die albanischen Angestellten oft mit geradezu obskuren Begründungen frei. Lehrer an Schulen und Hochschulen sind von der Polizei manchmal mit Gewalt entfernt worden, Schüler und Lehrer hat man hinausgeworfen, wenn nicht nach serbischen Lehrplänen unterrichtet wurde". Damals entstand ein paralleles albanisches Schulsystem, oft toleriert, manchmal schikaniert. "In vielen Orten hat man sich geeinigt, vormittags bzw. nachmittags getrennt für Albaner und Serben zu unterrichten. Manchmal hat man einfach eine Mauer im Schulhaus aufgezogen, um getrennt unterrichten zu können", erzählt Feik.

Letztes Jahr ist Marion Feik viel im Land herumgekommen. "Das Land war total gespalten, es war eine Art Stagnation in diesem ,Parallelsystem' zweier Ethnien eingetreten - es war eine Art weißes Apartheidsystem. Die Armut stieg explosionsartig, wir hatten eigentlich immer zuwenig an Hilfstransporten. Meine Prioritäten waren und sind die Organisation, das Management humanitärer Hilfe. In dieser emotionsgeladenen Atmosphäre erschienen und erscheinen mir politische Diskussionen mit den unmittelbar Betroffenen wenig sinnvoll."

Wahrheit & Krieg Fast täglich wird Feik von alten Bekannten aus Belgrad angerufen, hört deren Ängste und Wut der letzten Bombennächte. "So sehr ich mit denen mitleide und betroffen bin über die NATO-Bombardements, so sehe ich doch einen Unterschied zu den Vertreibungen, wo die Leute oft mitansehen müssen, wie ihre Häuser niedergebrannt werden, sie persönlichen Übergriffen ausgesetzt sind, in Zügen gepfercht über die Grenze kommen, geschockt und traumatisiert, die Familien auseinandergerissen ... Aber das kann ich nicht meinen Freunden aus Belgrad am Telefon sagen. Ich muß mich da einfach emotional heraushalten", erklärt sie. Marion Feik ist auch nicht bereit, Journalisten gegenüber zu den Meldungen über organisierte Massenvergewaltigungen in Armeelagern und serbische KZ's Stellung zu nehmen. Allein in Skopje sind an die 2.000 (!) Journalisten akkreditiert. Hotels und Bars haben Hochbetrieb, der Dollar, die D-Mark rollen. Dolmetscher, Fahrer, Ortskundige verdienen schnelles Geld. Wie im Bosnienkrieg und auch in Albanien boomt das Geschäft mit Schwarzhandel, mit Alkohol, Frauen, Drogen. Die Jagd nach Sensationen verleitet zu nicht verifizierbaren Berichten, die Gerüchteküche brodelt in den Hotelbars. Verantwortungsvolles Hinterfragen, Recherchen sind zumeist unmöglich und werden selten versucht.

Caritas-Hilfe in Mazedonien: PSK 7.700.004

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