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Entwurf, aber kein Wurf

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Die Exekutive der SPÖ hat im vergangenen Juni ihren Mitgliedern den Vorentwurf für ein Regierungsprogramm vorgelegt. Dieses Dokument soll bis 31. Jänner 1966 von den unteren Parteiorganisationen diskutiert und mit eventuellen Zusatz- und Änderungsanträgen vervollständigt an die Parteivertretung übermittelt werden. Das so erstellte Programm soll von der SPÖ verwirklicht werden, wenn sie bei den kommenden Nationalratswahlen die Stimmen der Mehrheit der Wähler erhalten würde. Als der Entwurf beim jüngsten Parteitag der SPÖ vorgelegt wurde, wußte man noch nicht, daß die Koalitionsregierung auseinanderbrechen würde und daß bereits im März 1966 Wahlen abgehalten werden sollen. Somit wurde erst recht zu einer nicht unwichtigen propagandistischen Manifestation, mit deren Hilfe die SP just eben jene Mehrheit erringen will, die sie instandsetzen soll, dieses Programm zu verwirklichen. Gleich jetzt muß aber gesagt werden, daß der Entwurf zumindest in seiner jetzigen Gestalt für einen so wichtigen Zweck nicht gut genug ist.

Er ist sichtlich von einem oder wenigen mit der Tagespolitik vollbeschäftigten Zentralfunktionären hastig zusammengeschrieben worden und zeigt bei weitem nicht so viel Durchdachtheit und Gewicht wie der Parteiprogrammentwurf von 1957 des verstorbenen Benedikt Kautsky. Der jetzige Entwurf ist dort nebulos-phrasenhaft, wo er deklarativ ist; dort, wo er sich mit konkreten einzelnen Zielen beschäftigt, handelt es sich häufig um unwesentliche und oft auch fragwürdige Details aus der Tagespolitik.

Überforderung der Diskutanten

Diese mangelnde Qualität soll nun gewiß durch die mündlichen Diskussionen der Unterorganisationen und die schriftlichen der Publizisten (im theoretischen Organ der Partei, der „Zukunft“) verbessert werden. Man fragt sich jedoch, ob beiden damit nicht zuviel und etwas zugemutet wird, das von den Verfassern des Vorentwurfes zugunsten dessen ganzer Entwicklung verlangt werden hätte müssen.

Wie uns denn überhaupt der ganze Verlaß auf die Diskussion und deren Zufälligkeiten, mit denen solche Dokumente (auch bei anderen Parteien hierzulande) zustande kommen, einigermaßen beunruhigen. Handelt es sich doch im vorliegenden Fall um nicht weniger als um ein Programm zur Gestaltung des Schicksals der gesamten Nation für eine ganze Regierungsperiode, deren Auswirkungen ja immer viel weiter reichen.

Wer kann mitreden?

Drücken nun für einen so immens wichtigen Zweck die Vorbringungen der Aktivisten einer Partei (was sind das heute für Leute?) wirklich die gesamten wichtigsten Anliegen, Bestrebungen und Erfordernisse der Nation aus? Und besitzen jene wirklich alle nötigen Qualifikationen, um die entsprechenden Lösungen der Probleme zu formulieren und einzuleiten?

Mit dieser letzten Frage müßte man sich einmal speziell beschäftigen. Hier ist jetzt nicht der Raum dafür da. Nichtsdestoweniger ergibt sich die Frage in Verbindung mit diesem Entwurf, weil er so unvollkommen ist und keine ausreichenden Voraussetzungen zum Aufriß der gesamten österreichischen Problematik bietet.

Der Vorentwurf kann hier nicht seinem ganzen Inhalt nach aufgerollt und diskutiert werden. Wohl aber können durch Zitierung von Einzelheiten sein Geist, seine eigentümlichen Schwächen wie überhaupt der ganze oben bereits ausgesprochene Eindruck illustriert werden.

„Was könnte noch gut sein?“

Was an den 32 Seiten des Entwurfs zum „Programm für Österreich“ so besonders auffällt, ist, daß unter den Haupttiteln

• In Frieden leben;

• Rechtssicherheit — Rechtsschutz für alle;

• Tor auf für die Jungen;

• Ein reicheres Österreich — Sicherheit und Wohlstand für alle oft ganz zufällige Detailforderungen und nicht die eigentliche Problematik des betreffenden Gebietes herausgestellt werden, daß keine dessen Gebiet umfassende und durchdringende Konzeption auch nur als Skizze formuliert wird.

So heißt es zum Beispiel unter „Europa“:

„Eine Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines hohen Beschäftigungsniveaus und ständigen Wirtschaftswachstums ist die Teilnahme Österreichs an der europäischen Integration.“

„Die Bestrebungen zur wirtschaftlichen Integration Europas sollen letzten Endes der Verwirklichung eines großen gemeinsamen Marktes der EWG- und EFTA-Länder von 300 Millionen Menschen dienen, ohne daß es dadurch zu einer Abschlie-ßung Österreichs gegenüber anderen

Märkten (Sperrung vom Verfasser) kommt!“ Aus. Das ist alles!

Ist damit die gegenwärtige Problematik der europäischen Integration auch nur angedeutet? Müßte man in einem Regierungsprogramm der SPÖ, dieser ehemaligen Verfechterin internationalistischer Zusammenschlüsse, nicht einige Sätze über den politischen Zusammenschluß Europas als einer wichtigen Voraussetzung zur Verbrüderung der Völker erwarten können? Besonders heute, da sich die längste Zeit schon wieder dunkle Schatten des Nationalismus über Ost und West und auch über die Organisation der Vereinten Nationen senken.

Statt Ideen den Rechnungshof

Die besondere konzeptionelle Schwäche der SPÖ auf einigen Gebieten ist schon lange auf dem der Kultur offensichtlich. So ist's daher kein Wunder, daß sich das in dem Vorentwurf wie folgt äußert. Unter „Bild von Österreich“ heißt es:

„Die kulturellen Leistungen sind für das internationale Ansehen eines Landes von ausschlaggebender1 Bedeutung. Daher (Sperrung vom Verfasser) muß der kulturellen Außenpolitik besondere Bedeutung geschenkt werden.“ Man sollte eher annehmen, daß nach jenem „Daher“ etwas darüber folgen müßte, wie wir zu solchen kulturellen Leistungen gelangen sollten, die uns solch ein Ansehen einbringen könnten. Es geschieht aber nicht.

Setzen wir jedoch unsere Hoffnungen auf den Titel „Tor auf für die Jungen“, unter dem das Gebiet Kultur eingehender behandelt wird. Hier treffen wir aber alsbald auf die altbekannte Überschätzung quantitativer oder administrativer Maßnahmen, insbesondere im Unterrichtswesen (gegen die an sich nichts einzuwenden wäre, wenn sie nur eine fundamentalere Grundauffassung als die soziologische als Ausgangbasis hätte). Doch sogar hierbei ist im Entwurf nichts von der so lange ausständigen Reform des mittleren Unterrichtswesens und dessen Transformierung auf ein Erziehungswesen auf Grund der neuen gesellschaftlichen und familiären Erfordernisse zu finden. Nicht davon zu reden, daß es sich in Österreich heute um eine neue ideelle Programmatik des gesamten Unterrichtswesens handelt, um dessen Nachziehung an die in anderen vorgeschritteneren Ländern erreichten geistigen und organisatorischen Standards sowie um die Überholung unserer gesamten Tätigkeit auf geistigen und künstlerischen Gebieten.

So wird zum Beispiel im SPÖ-Ent-wurf an für den Aufbau des österreichischen Filmwesens nötigen Maßnahmen nicht mehr als die folgende verlangt:

„Die Förderung für ,den österreichischen Film ist durch einen autonomen Fonds zu verwalten, der der Rechnungshofkontrolle unterliegt.“

Ein solcher Satz gehört in ein eigens zu errichtendes Museum für kulturpolitischen Anachronismus unserer Zeit. Dem Mann, der ihn formulierte, ist anscheinend nicht aufgefallen, daß es die längste Zeit in Österreich zwar ausländische, nicht aber österreichische Filme gibt, und daß kein autonomer Fonds und keine Rechnungshofkontrolle etwas daran ändern werden, solange nicht Klarheit darüber geschaffen wird, wa$ der Film in Österreich überhaupt sein und daß er sphärenweit dem Zugriff der groben Unfug treibenden Gelegenheitsmacher entzogen werden muß. Das Wunder des 1945 scheinbar urplötzlich emporgeschossenen italienischen Films ist nur zustande gekommen, weil die Fellini, Visconti, de Sica und andere schon Jahre und Jahrzehnte vorher zäh und leidenschaftlich in einer Filmzeitschrift darüber diskutiert hatten, was sie sich unter Film vorstellten.

In diesem Zusammenhang wird man daran erinnert, daß die SPÖ sich beim ganzen Kapitel „Kultur“ bewußt werden müßte, daß sie, um hierin zu modernen Konzeptionen zu gelangen, gutmachen müßte, was sie durch die Auflassung ihrer einzigen Kulturzeitschrift, „Heute“, vertan hat.

Ignoriert der SPÖ-Entwurf beim Film die Notwendigkeit zu eingehender Diskussion, so verkennt er beim Kapitel „Rundfunk“ hartnäckig die hunderten Diskussionsbeiträge, Entwürfe und Aktionen, die rund um den Rundfunk entstanden sind. So hat der Entwurf zu dem Ganzen nur zu sagen, daß „die Freiheit von Rundfunk und Fernsehen ... durch die Volksvertretung zu gewährleisten (ist), damit nicht einzelne oder Gruppen sich ihrer für ihre eigensüchtigen Zwecke bedienen können“. Die SPÖ hat offensichtlich noch zu lernen, daß das Parlament in einem demokratischen Staat kein Monopol auf die Eigenschaft der Uneigennüt-zigkeit besitzt, und daß diese sehr wohl auch anderen, außerparlamentarischen, aber nichtsdestoweniger ebenfalls demokratischen Formen zugetraut werden kann, ja soll, weil eben solche Vielförmigkeit die Demokratie eher stärkt als schwächt. So sind es in so alten Demokratien wie Britannien und den USA private Organisationen und Komitees, welche in den wichtigsten Angelegenheiten der Nation eine bedeutende Rolle spielen und dabei höchlich von Kongreß und Parlament respektiert und unterstützt werden.

Rekruten und Experten, gesund auf der Brust

Auf dem für die SPÖ so problematischen Gebiet der Wehrpolitik begnügt sich der Entwurf verständlicherweise mit so dürren Forderungen wie der nach Verkürzung der Dienstzeit auf sechs Monate, nach Berücksichtigung des Gesundheitszustandes der Rekruten (man verzichtete auf die im Entwurf verwendete neudeutsche Bezeichnung „Jungmänner“), nach einer zu wenig verpflichtenden „zweckmäßigen und einheitlichen Ausrüstung“ sowie nach einer Zusammenfassung aller das Gebiet betreffenden gesetzlichen Normen in einem Landesverteidigungsgesetz. Dabei ließ sich der Entwurf eine so saftige Forderung wie der nach der längst fälligen grundlegenden Revision der bisherigen Ausrüstungspolitik für das Heer entgehen. Kein Wunder, hätte sich doch jener, der sie stellte, vorerst den Kopf darüber zerbrechen müssen, wie Österreich überhaupt verteidigt werden soll; sicherlich ist das sehr schwer für jemanden, der in bezug auf das „ob überhaupt“ von wehrwilligen Parteigenossen einerseits und wehrunwilligen anderseits gezerrt wird. Somit konnte auch im Entwurf nicht die Vorstellung auftauchen, daß man, ehe man sich zu einem Landesverteidigungsgesetz zusammensetzt, erst ein Konzept der gesamten Landesverteidigung ausarbeiten müsse, in welchem auch die nichtmilitärdsche, darunter die innen-und außenpolitische, eingeschlossen werden müßte.

Punktesieg der Nationalökonomen

Die besten und meisten Beiträge zur Diskussion des Vorentwurfs sind bisher zu den nationalökonomischen Teilen in der „Zukunft“ veröffentlicht worden. Zweifellos ist die SPÖ bei ihren Ökonomen am stärksten auf der Brust. Anscheinend ist das Selbstbewußtsein der ökonomischen Experten der SPÖ das am meisten gehobene von allen anderen, weil sich im Bereich der Wirtschaft das Fachwissen und Fachkönnen leichter gegen die Parteiführung zu behaupten vermag.

Gerade deshalb wäre es aber sehr wünschenswert, daß auch die anderen im Entwurf berührten Gebiete (insbesondere die in diesem Artikel genannten) wesentlich und ausgiebig durch der SPÖ nahestehende Fachleute mehr als nur „aufgefüllt“, sondern daß jenen vielfach erst Sinn und Gehalt verliehen werden. Die Österreicher legen im allgemeinen nicht viel Wert auf Programmatik. Sie beziehen ihre Wertungen nur zu oft aus psychologischen und perso-nalistischen Beweggründen. Was manchesmal gar nicht so schlecht ist. Nichtsdestoweniger können auch gute Beispiele ansteckend wirken. Wir meinen damit, daß ein gutes Regierungsprogramm der SPÖ selbst dann von nicht geringer Bedeutung sein könnte, wenn die SPÖ infolge des Ausganges der bevorstehenden Wahlen gar nicht in die Lage käme, es als mit der Mehrheit ausgestattete Regierung zu verwirklichen. Wir wissen aus anderen Ländern, daß die Staatsbürger gar nicht schlecht fuhren, wenn eine Regierung sich gezwungen fühlte, der Minderheit das Programm zu stehlen.

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